I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 224


scheinen, ein wimmelndes Heer von Schatten
das größere Macht hat als alle Wirklichkeit.
„Du willst wirklich nicht mehr weiterspielen
Else?“ ist das erste Wort der Novelle. So wird
Else gefragt, als es sich um eine Partie
Tennis handelt. Sie antwortet: „Nein, Paul.
ich kann nicht mehr. Adien!“ In dieser Frage


Goar
Stradner — Brandhofer
und Antwort ist der ganze Ablauf der Novelle
enthalten. Nur reifer Meisterschaft der An¬
schauung und der Sprache kann solche Ver¬
knüpfung gelingen. Denn Fräulein Else wird
der Mensch, der in der Partie des Lebens nicht
mehr weiterspielen will, der nicht mehr kann,
der allem Adien sagt. Und wieder ist es ein
Meisterstück Schnitzlers, wie die Forderung
ihm
Herrn von Dorsday, Else moge sich
ins
hüllenlos zeigen, aus dem rein Außerlichen
Sinnbildliche erhoben wird. Denn nicht nur
der Herr von Dorsday ist es, der an diesem
hrem Schicksalstag ihr die Kleider vom Leib
ziehen mochte, vielmehr überfällt es sie von
uberall her und reißt ihr, der Wehrlosen, alle
Illusionen, allen Glauben, alle Scham, alle
Verwurzeltheit wie eine Maske vom Gesicht
Der ausgesetzte, der in seiner Verlassenheit
frierende Mensch ist es, der mit Fräulein Else
untergehl.
Schnitzler setzte den Amoklauf des Fräuleins
Else in die Zeit vor dem Krieg und gab ihr
den Hintergrund einer überreifen Gesellschaft,
mit der es selber zu Ende geht. Das alles, wie
auch die Wahl der Novellenform für dieses
Übertragung des Erzählten ins Szenenmäßige.
Hier, in der Gliederung des Geschehens und
in der Verwandlung des Monolog ins Dialo¬
gische liegt das Beste der Bühnenbearbeitung,
Treue gegen den Dichter. Aber mit solchen
Handreichungen kann Ernst Lothar nicht aus¬
kommen, denn er weiß sehr genau das Grund¬
gesetzt eine Novelle gibt die Ausnahme, ein
Drama die Regel. Um zu diesem Ziel zu
kommen, bedarf es der „Brücken“ der Er¬
gänzungen, der Zufügungen. Und damit ver¬
vandelt sich unversehens Schnitzler — in
Theater, in griffiges, seiner Wirkung sicherers
und laut knallendes, auch wenn es nicht mit
Revolvern, sondern mit Moral schießt.
Es beginnt damit, daß die Geschehnisse in
unsere Zeit versetzt werden, obwohl inzwischen
die Preise für unverhüllte Körper durch
Revuen und Badestrand etwas gesunken sein
ürften. Die Eltern Elses — wie sieht man
sie bei Schnitzler, trotzdem sie nie sichtbar wer¬
den, in ihrer wurmstichigen Eleganz und i.
ihrer bedenkenlosen Oberflächlichkeit — wer¬
den hier zu Kleinbürgern einer ehrsamen
Advokatur verwandelt. Der Vater gar ist nicht
mehr ein altgewordenes leichtes Früchtel, dem
immer wieder vergeblich geholfen worden ist,
nein, er ist nur aus Edelmut in die Geld¬
klemme gekommen. Damit aber ist das Erd¬
reich der Schnitzlerschen Novelle nicht mehr
zenisch aufgelockert, sondern vollkommen ver¬
tauscht worden. Es geht jetzt darum, wie Elses
Vater verkündet, daß jeder jedem helfen solle,
daß aber niemand gezwungen werden dürfe,
sich selbst zu opfern. Es ist ein anderes Pro¬
blem und es ist anders zu lösen. Fräulein
Else aber stirbt, wie der Dichter es befahl. Ein
starkes, an die Nerven rührendes und packen¬
des Stück Theater in der Art der Franzosen,
wie Bernstein und Bataille, ist so entstanden.
Schnitzlers Novelle verhält sich dazu wie ein
olühender
Fliederstrauch zu einer kunst¬
gewerblichen Keramik, die Blumen darstellt,
womit nichts gegen den Gebrauchswert von
Keramiken und Theaterstücken gesagt sein soll.
Das Publikum will sie und begrüßt sie mit
Freude, wie auch dieser Abend zeigte.
Die Regie Hans Thimigs ist in netten
Interieurs, von Otto Niedermoser entworfen,
erfolgreich um starken Bühnenausdruck, um
charakteristische Details und um Lebensechtheit
emüht. Rose Stradner als Fräulein Else
entspricht wohl mehr den Anschauungen der
Bühnenbearbeitung als denen der Novelle.
Die Stradner spielt Mondänität, die sich zur
Rührung auflöst. Ob ihr Fraulein Else wirk¬
lich Veronal genommen hat? Ob sie nicht mit
dem Leben davonkommen wird? Um die
Schlußwirkung bringt sie sich durch ein
Kostüm, das sie als Greta Garbo stilisiert.
Kaspar Brandhofer, wie die Reportagen mel¬
deten, direkt vom Pflug aufs Theater geholt.
was teils an Cincinnatus, teils an Ferdmnand
Bruckner erinnert, spielt den dömonischen
Antiquitätenhändler Dorsday mit ungewöhn¬
licher, raubtierhafter Intensität und mit einer
besonders für einen Anfänger als der er
vorgestellt wird — verblüffenden Beherischung
der Bühne und aller ehrer Mittel. Kaspar
Brandhofer ist jedenfalls iin Schauspieler, dem
man Besessenheit und Leidenschaft zutraut
Albert Bassermann erhebt die Einlage von
Vater zu Virtuosenglanz. Seine
Elses
Noblesse gewinnt wie immer und sein
Schmerz hat die zermalmende Wucht eines
Wirbelsturmes des Theaters, wie er nur den
ganz großen Histrionen eigen ist. Adrienne
Geßner gibt mit raschen, witzigen Strichen
eine Dame, die nur dem Flirt lebt, Erik Frey
vermittelt jungenhafte Wohlerzogenheit, Lilian
Skala fällt durch vergrämte Mütterlichkeit
auf, Else Bassermann und Lina Woiwode
spielen mit Selbstverleugnung zwei unaus¬
tebliche Frauen. „Fräulein Else“ hat nun auch
das Theater erobert. Vielleicht wird sogar ein¬
mal aus ihr noch eine große Over. Wer aber
Schnitzler sucht, der wird zur Novelle greifen.
Oskar Maurus Fontana.