I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 232

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Fraeulein Else

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ADEZ.
vom
„Fräulein Else“
Theater in der Josefstadt
Eine peinliche Affäre, diese Geschichte vom Fräulein Else,
das sich dem Alterstrieb eines reichen Mannes opfert, um
den Vater vor Gefängnis und Schande zu bewahren! Artur
Schnitzler, der sie in seiner Novelle als einen einzigen,
langatmigen Monolog des jungen Mädchens konstruiert hat,
läßt die Begebenheiten aus der Sphäre und den Lebens¬
anschauungen einer bestimmten Wiener Gesellschaftsschichte
herauswachsen, deren Dichter er ja war und in der allein
ie vielleicht möglich sind. Die Erzählung enthält zweifellos
dramatische Akzente und das mag Ernst Lothar zur Bühnen¬
bearbeitung bewogen haben. Ein rundes Drama ist nicht
daraus geworden, nur die fast episch anmutende Aneinander¬
reihung bewegter Bilder, aus denen die Gestalten allerdings
in verschärften Umrissen hervortreten. Die Atmosphäre, in
der sie atmen, ist gleichwohl schlecht und stickig und Elses
Fall, „nackt“ ins grelle Bühnenlicht gerückt, bleibt schmierig
und schmutzig. Die geistige Haltung des novellistischen Ori¬
ginals wie die der Bühnenfassung mitsamt ihrer rücksichts¬
los entblößenden Psychologie sind uns im Innersten wesens¬
fremd, Erzählung und Stück typische Beispiele jener Kunst,
die wir entschieden ablehnen und bekämpfen.
Die Aufführung als solche und ihre Inszenierung durch
Hans Thimig ist rühmenswert. Daß etwas viel mit Briefen
hantiert und allzuviel telephoniert wird, darf wohl als
nicht völlig verarbeiteter Rückstand aus dem ursprünglichen
Monolog angesehen werden. Rose Stradner verleiht ihrer
Else einen Zug naiver Kindlichkeit, der durchaus sympathisch
und erfreulich wirkt, zumal auch der Gestalt die schwüle
Erotik der Novelle fern gehalten wird: ihre Liebe zum
ugendlichen Vetter Paul ist rein und natürlich. Auffassung
und Darstellung weisen ein paar große Momente auf, so im
eindrucksvollen stummen Spiel, in der nachtwandlerischen, wie
im Traum befangenen Haltung der letzten Szenen und ganz
besonders in der immer schwerer sich entringenden Sprache
des langsamen Sterbens. Kaspar Brandhofer, der den Gegen¬
spieler Dorsday gab, ist tatsächlich eine schauspielerische Ent¬
deckung; eine starke Begabung, etwas rauh, wohl noch nicht
völlig frei und gelöst, aber voll urwüchsiger Kraft und
Eigenart im Ausdruck der Mine und Gesten.
Die bedeutendste darstellerische Leistung verdankt der Abend
wieder einmal Albert Bassermann. Er hat die Figur von
Elses Vater, die durch Ernst Lothar erst ins Spiel ein¬
geführt wurde, den unwahrscheinlich unvorsichtigen Rechts¬
anwalt, der aus reinem Altruis.us sich blind ins Verderben
türzt, glaubhaft gemacht und zu einem erschütternden Bild
nenschlicher Güte gestaltet. Die Szene, in der das alternde
Elternpaar beim Abendtisch auf den entscheidenden Anruf
der Tochter wartet, wird durch Bassermanns grandioses Spiel
zum Drama im Drama. Genannt werden müssen noch
Adrienne Geßner, eine noble Cissy Mohr, Erik Frey als ihr
junger Freund Paul und Else Bassermann, eine köstlich be¬
chränkte und ergötzlich geschwätzige Tante Emma.
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Publikum des Josefstädter Theaters, das auch das Lesepubli¬
kum Schnitzlers ist, klatschte Stück und Darstellung begeistert
Beifall:
E. H.