Kriminal notwendig, nackt den Augen eines
gleichgültigen Mannes verkauft hat.
Eine zärtliche Untergangsstimmung der
alten Gesellschaft bestimmt den Ton dieser
Schnitzler-Novelle, die, auflagenreich, ihren
Dichter stärker und weiter ins Publikum
trug als etwa eille der wunderbaren Erzäh
lungen von früher. Weil er hier in einer sozu¬
sagen prickelnden Stimmung zu einer keines¬
wegs alltäglichen und gewagten Pointe kam
ist nach etlichen
denn „Fräulein Else“
Dutzend Druckseiten Überlegung den Preis
in wienerischer Boccaccio-Münze zu zahlen
bereit, geistige und körperliche Nacktheit
offenbaren sich in Wunsch und Erfüllung,
die Mentalität einer Society wird sichtbar
lie zu bisten und zu zahlen gewohnt, sich
durch nichts verblüffen läßt, die berühmten
Genüsse kennt und genau weiß, was sie
kosten.
Reizend und von erzählerischer Größe wie
Schnitzler hier um die Stimmung eines jun¬
gen Mädchens in solcher Lage Bescheid
weiß, mit welcher Genauigkeit er Regungen
esthält und notiert. Bald flüstert es in Else
von selbstgefälliger Geheimnistuerei, bald
schreit die Qual des Entschlusses aus ihr,
zwischen Plauderei über Wiener Gesellschaft
in Bergferien geben eich seelische Raffine¬
ments kund, ein Mädchen schwätzt aus der
Schnitzler-Schule, in die es mit Eifer gegan¬
gen, die Erna aus dem „Weiten Land“ mel¬
det sich, die jungen Geschöpfe aus der spä¬
teren Zeit plädieren für Freizügigkeit, Chri¬
stine und Schlager-Mizzi in der Einfachheit
ihres Fühlens und Sich-Gedanken-machene
gehören nicht hierher. Denn hier herrscht
schon bestimmend eine Virtuosität der Em¬
findung, die Resultate einer aufschlu߬
reichen Lebensschau einer reiferen, welt¬
süchtigen Erziehungsmethode aus den Glas
häusern des Cottage.
Nach Artur Schnitzler heißt es auf dem
Theaterzettel. Ernst Lothar hat die Novelle
vorerst seinem eigenen und damit dem
Theater überhaupt geschenkt. Mit Bravour
holt er aus dem Monolog Fräulein Elses
Geschehen auf Geschehen, rückt jede Szene
dem Theater zurecht und wahrt mit deli¬
kater Vorsicht und eigendichterischem Emp¬
finden den Duft des Originals. Keine
Scherenarbeit, die etwa dramatisch zuschnei
det, sondern eines Dramatikers szenischer
Bau, der geistig in der Schnitzler-Luft auf¬
gewachsen, Menschen und Landschaftskreis
beherrscht und derart fähig ist, aus seine
Kenntnis, Charaktere von Schnitzler ange¬
deutet, aufzufüllen und auszubauen. Man¬
ches mußte er aus eigenem hinzutun, „die
dramatische Schlagkraft der Novelle zu er
höhen, so die glänzend gemachte Szene des
Vaters und viele verbindende Worte, erklä¬
render Details. Höchstes Lob dieser Bear¬
beitung: daß alles von Schnitzler ist, auch
das, was nicht von Schnitzler ist.
Interieurs und Landschaft dahinter stam¬
men von der Hand Niedermosers, der durch¬
aus wienerisch hier im Rahmen und im Sinn
der Novelle, Fräulein Else in den Stimmun¬
gen spazieren läßt, die ihr zukommen.
Immer wieder erstaunlich, wie er aus dem
Raum dieser Bühne schöpferisch gestaltet,
wvie er hier einen Tennisplatz und die Halle
des Dolomitenhotels in ungemein interes¬
santer Architektur aufbaut.
Hans Thimig hat die Regie des Abends,
leicht und anmntig im klingenden Spiel der
Worte glückt es ihm, Atmosphäre zu schaf¬
fen, das Gedämpfte, oft Schattenhafte an¬
zudeuten, das Wienerische beizubehalten,
las nur in der Bassermann-Szene klimatisch
ein wenig abhanden kommt.
Im morbiden Garten dieser Jugend ist
Fräulein Else gewachsen, die Rose Stradner
spielt. Ein sublimes Geschöpf von gemessen¬
Eise ihren stärksten Wiener Ertoig.
Adrienne Geßner gibt eine Schnitzler¬
Dame, die ihren jeweiligen Lebensinhalt aus
einer Sommerbeziehung schöpft, Profil der
Wirklichkeit. Man glaubt eine dieser gesell¬
schaftstüchtigen Wesen auf der Bühne, wo
esauf kurzem Urlaub aus dem Leben, zu
begegnen: so verblüffend nahe formt
Adrienne Geßner diese Cissy Mohr. Lina
Woiwode spielt eine üppig und reich ange¬
zogene Frau Winawer, echt in der Ver¬
raulichkeit ihrer Tisch- und zeitweisen
Daseinsgemeinschaft mit dem Antiquitäten¬
händler ihrer Wahl, Eric Frey als ein jun¬
ger Mann guter Manieren und guter Klei¬
der bringt glänzend die schlamperte Leich¬
igkeit in Dingen der Beziehungen, Ge¬
schlecht ohne viel Charakter, Else Basser¬
nann, eine Tante, überall dabei, verwaltet
geschäftig Familienressorts für Versorgung
und Finanzen. Beachtenswert die bürgerliche
Distinktion der Frau Skalla und Herrn Bre¬
becks Portier, der wirklich nichts als ein
Portier ist, aber ein vollkommener.
Ereignis des Theaters, wie Albert Basser.
mann den Rechtsanwalt, den Vater Elses in
einer Szene zu steiler Höhe ergreifendster
Anteilnahme führt, wie er schauspielerisch
ind menschlich einen Mann an gefährlicher
Wegkreuzung sehen läßt, wirklich Schnitz¬
erisch in seiner Verbundenheit mit dem
Schicksal.
Kaspar Brandhofer, nach dem Legenden¬
kranz seiner Herkunft und seines Auf¬
ruchs zum Theater zu einem großen Erfolg
verpflichtet, erspielt sich ihn auch. Ein
Schauspieler, der einen blonden Bart an¬
angs wie eine Maske trägt, aber bald seine
Legitimität dokumentiert. Er bestimmt sein
Gesicht und seine Bühnenfunktionen, er ver¬
birgt sich hinter ihm und teilt sich dennoch
durch ihn mit. Schon auf den ersten Blick
ist dieser Dorsday von Brandhofer ein
Mensch drohend und gefährlich, wohl ge¬
eignet, bürgerliche Zäune glattweg nieder¬
zureißen, sich seine eigene Welt mit der
Hände und des Geldes Kraft zu schaffen.
In den Dialogen enthüllt er sich als ein
Schauspieler von charakteraufschließender
Gewandtheit und überrascht als gewitzter
Techniker des Handwerks. Rätselhaft,
woher er es hat; hat er es wirklich aus
diesen paar Wochen Proben, dann muß es
ihm blitzschnell zugeflogen sein, wie nur
dem Genie. Brandhofers Sprechen, sein
Stummdasitzen und im Nichtsreden ver¬
nehmlich werden, ist allerhand. Wie er zu
ähem Heißlauf der Stimme und des ganzen
Menschen ansetzt, um gleich wieder in
Konversationston weiter zugehen, sein
Mit-dem-Rücken-spielen, der anspringende
ang, das beklemmende Animalische im
Kontakt mit Else, das alles ist erstaunlich
ind mehr als Leistung eines Mannes, der
neu auf dem Theater. Man weiß nicht, ob
es wirklich vom lieben Gott oder von
Werner Krauß herkommt.
Der Erfolg, den „Fräulein Else“ gestern
vor einem ausverkauften Haus erlebte, war
der Applaus lang andauernd ein. Nach
Schluß des Stückes gab es stürmische Kund¬
gebungen, namentlich für Rose Stradner,
Albert Bassermann, dem Regisseur
Hans Thimig und Ernst Lothar, der
mmer wieder gerufen wurde.
Siegfried Geyer.
re
„österreichische Kunst“ — Abonnentenprämie
937. Beachten Sie im Dezemberheft (Weih¬
nachtsnummer) das in den nächsten Tagen er¬
scheint, die Abonnentenprämien. Jahresabonne¬
ment S 28.— in jeder guten Buchhandlung.
Admin., I., Hohenstaufengasse 9, Tel U 25-403.
gleichgültigen Mannes verkauft hat.
Eine zärtliche Untergangsstimmung der
alten Gesellschaft bestimmt den Ton dieser
Schnitzler-Novelle, die, auflagenreich, ihren
Dichter stärker und weiter ins Publikum
trug als etwa eille der wunderbaren Erzäh
lungen von früher. Weil er hier in einer sozu¬
sagen prickelnden Stimmung zu einer keines¬
wegs alltäglichen und gewagten Pointe kam
ist nach etlichen
denn „Fräulein Else“
Dutzend Druckseiten Überlegung den Preis
in wienerischer Boccaccio-Münze zu zahlen
bereit, geistige und körperliche Nacktheit
offenbaren sich in Wunsch und Erfüllung,
die Mentalität einer Society wird sichtbar
lie zu bisten und zu zahlen gewohnt, sich
durch nichts verblüffen läßt, die berühmten
Genüsse kennt und genau weiß, was sie
kosten.
Reizend und von erzählerischer Größe wie
Schnitzler hier um die Stimmung eines jun¬
gen Mädchens in solcher Lage Bescheid
weiß, mit welcher Genauigkeit er Regungen
esthält und notiert. Bald flüstert es in Else
von selbstgefälliger Geheimnistuerei, bald
schreit die Qual des Entschlusses aus ihr,
zwischen Plauderei über Wiener Gesellschaft
in Bergferien geben eich seelische Raffine¬
ments kund, ein Mädchen schwätzt aus der
Schnitzler-Schule, in die es mit Eifer gegan¬
gen, die Erna aus dem „Weiten Land“ mel¬
det sich, die jungen Geschöpfe aus der spä¬
teren Zeit plädieren für Freizügigkeit, Chri¬
stine und Schlager-Mizzi in der Einfachheit
ihres Fühlens und Sich-Gedanken-machene
gehören nicht hierher. Denn hier herrscht
schon bestimmend eine Virtuosität der Em¬
findung, die Resultate einer aufschlu߬
reichen Lebensschau einer reiferen, welt¬
süchtigen Erziehungsmethode aus den Glas
häusern des Cottage.
Nach Artur Schnitzler heißt es auf dem
Theaterzettel. Ernst Lothar hat die Novelle
vorerst seinem eigenen und damit dem
Theater überhaupt geschenkt. Mit Bravour
holt er aus dem Monolog Fräulein Elses
Geschehen auf Geschehen, rückt jede Szene
dem Theater zurecht und wahrt mit deli¬
kater Vorsicht und eigendichterischem Emp¬
finden den Duft des Originals. Keine
Scherenarbeit, die etwa dramatisch zuschnei
det, sondern eines Dramatikers szenischer
Bau, der geistig in der Schnitzler-Luft auf¬
gewachsen, Menschen und Landschaftskreis
beherrscht und derart fähig ist, aus seine
Kenntnis, Charaktere von Schnitzler ange¬
deutet, aufzufüllen und auszubauen. Man¬
ches mußte er aus eigenem hinzutun, „die
dramatische Schlagkraft der Novelle zu er
höhen, so die glänzend gemachte Szene des
Vaters und viele verbindende Worte, erklä¬
render Details. Höchstes Lob dieser Bear¬
beitung: daß alles von Schnitzler ist, auch
das, was nicht von Schnitzler ist.
Interieurs und Landschaft dahinter stam¬
men von der Hand Niedermosers, der durch¬
aus wienerisch hier im Rahmen und im Sinn
der Novelle, Fräulein Else in den Stimmun¬
gen spazieren läßt, die ihr zukommen.
Immer wieder erstaunlich, wie er aus dem
Raum dieser Bühne schöpferisch gestaltet,
wvie er hier einen Tennisplatz und die Halle
des Dolomitenhotels in ungemein interes¬
santer Architektur aufbaut.
Hans Thimig hat die Regie des Abends,
leicht und anmntig im klingenden Spiel der
Worte glückt es ihm, Atmosphäre zu schaf¬
fen, das Gedämpfte, oft Schattenhafte an¬
zudeuten, das Wienerische beizubehalten,
las nur in der Bassermann-Szene klimatisch
ein wenig abhanden kommt.
Im morbiden Garten dieser Jugend ist
Fräulein Else gewachsen, die Rose Stradner
spielt. Ein sublimes Geschöpf von gemessen¬
Eise ihren stärksten Wiener Ertoig.
Adrienne Geßner gibt eine Schnitzler¬
Dame, die ihren jeweiligen Lebensinhalt aus
einer Sommerbeziehung schöpft, Profil der
Wirklichkeit. Man glaubt eine dieser gesell¬
schaftstüchtigen Wesen auf der Bühne, wo
esauf kurzem Urlaub aus dem Leben, zu
begegnen: so verblüffend nahe formt
Adrienne Geßner diese Cissy Mohr. Lina
Woiwode spielt eine üppig und reich ange¬
zogene Frau Winawer, echt in der Ver¬
raulichkeit ihrer Tisch- und zeitweisen
Daseinsgemeinschaft mit dem Antiquitäten¬
händler ihrer Wahl, Eric Frey als ein jun¬
ger Mann guter Manieren und guter Klei¬
der bringt glänzend die schlamperte Leich¬
igkeit in Dingen der Beziehungen, Ge¬
schlecht ohne viel Charakter, Else Basser¬
nann, eine Tante, überall dabei, verwaltet
geschäftig Familienressorts für Versorgung
und Finanzen. Beachtenswert die bürgerliche
Distinktion der Frau Skalla und Herrn Bre¬
becks Portier, der wirklich nichts als ein
Portier ist, aber ein vollkommener.
Ereignis des Theaters, wie Albert Basser.
mann den Rechtsanwalt, den Vater Elses in
einer Szene zu steiler Höhe ergreifendster
Anteilnahme führt, wie er schauspielerisch
ind menschlich einen Mann an gefährlicher
Wegkreuzung sehen läßt, wirklich Schnitz¬
erisch in seiner Verbundenheit mit dem
Schicksal.
Kaspar Brandhofer, nach dem Legenden¬
kranz seiner Herkunft und seines Auf¬
ruchs zum Theater zu einem großen Erfolg
verpflichtet, erspielt sich ihn auch. Ein
Schauspieler, der einen blonden Bart an¬
angs wie eine Maske trägt, aber bald seine
Legitimität dokumentiert. Er bestimmt sein
Gesicht und seine Bühnenfunktionen, er ver¬
birgt sich hinter ihm und teilt sich dennoch
durch ihn mit. Schon auf den ersten Blick
ist dieser Dorsday von Brandhofer ein
Mensch drohend und gefährlich, wohl ge¬
eignet, bürgerliche Zäune glattweg nieder¬
zureißen, sich seine eigene Welt mit der
Hände und des Geldes Kraft zu schaffen.
In den Dialogen enthüllt er sich als ein
Schauspieler von charakteraufschließender
Gewandtheit und überrascht als gewitzter
Techniker des Handwerks. Rätselhaft,
woher er es hat; hat er es wirklich aus
diesen paar Wochen Proben, dann muß es
ihm blitzschnell zugeflogen sein, wie nur
dem Genie. Brandhofers Sprechen, sein
Stummdasitzen und im Nichtsreden ver¬
nehmlich werden, ist allerhand. Wie er zu
ähem Heißlauf der Stimme und des ganzen
Menschen ansetzt, um gleich wieder in
Konversationston weiter zugehen, sein
Mit-dem-Rücken-spielen, der anspringende
ang, das beklemmende Animalische im
Kontakt mit Else, das alles ist erstaunlich
ind mehr als Leistung eines Mannes, der
neu auf dem Theater. Man weiß nicht, ob
es wirklich vom lieben Gott oder von
Werner Krauß herkommt.
Der Erfolg, den „Fräulein Else“ gestern
vor einem ausverkauften Haus erlebte, war
der Applaus lang andauernd ein. Nach
Schluß des Stückes gab es stürmische Kund¬
gebungen, namentlich für Rose Stradner,
Albert Bassermann, dem Regisseur
Hans Thimig und Ernst Lothar, der
mmer wieder gerufen wurde.
Siegfried Geyer.
re
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937. Beachten Sie im Dezemberheft (Weih¬
nachtsnummer) das in den nächsten Tagen er¬
scheint, die Abonnentenprämien. Jahresabonne¬
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