I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 235

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Ausschnitt aus: „NEUES WIENER JOURNAL“
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S.DEZ.

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Hinter den Kulissen.
„Fränkein Else“ oder? — Die offene Hand. — Hasenbraten. — Der
Schwimmlehrer.
Im Theater in der Josefstadt hat in Schnitzlers Novelle
„Fräulein Else“ der Ernst Lothar sehr geschickt dramatischen
Atem eingehaucht hat, ein neuer Schauspieler debütiert, der dem
Vernehmen nach ein Tiroler Landwirt sein soll und den Namen
Kaspar Brandhofer führt. Der Neuling auf der Bühne, der
allgemein durch die wuchtige Stärke seines Ausdrucks überrascht
hat, spielt in der dramatisierten Novelle einen Antiquitäten¬
händler, der von Else, der Tochter eines in finanziellen Nöten
befindlichen Wiener Rechtsanwalts, für die Sanierung ihres
Papas ein Opfer verlangt, das einigermaßen an die Forderung
erinnert, die in Maeterlincks „Mona Vanna“ der siegreiche Belagerer
der Stadt an die Titelheldin stellt. Wie vor jeder Premiere,
wurde natürlich auch darüber debattiert, ob der Titel zugkräftig
genug sei. So wurde unter anderem der Vorschlag gemacht, das
Stück nach einem in der vorjährigen Saison sowohl von der
Exl=Bühne als dann mit Paul Hörbiger in der Scala gespielten
Stücke „Der Brandhofer (statt wie dort Brandner) Kaspar schaut
ins Paradies“ zu nennen.
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WIEN, I.,
Wollzeile 11 : Telephon R 23-0-43
Ausschnitt aus
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FDEZ.
Ragabe
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(Theater in der Josefstadt.) Schnitzlers Novelle
„Fräulein Else“ ist in Form eines Selbstgespräches ge¬
schrieben, das mehr als 130 Seiten umfaßt. Aber es ist nicht so,
als spräche Else wirklich mit sich selbst, sondern als zögen die
Gedanken des armen Kindes an dem Leser vorbei. Der Dichter
läßt uns in seiner Novelle einen langen Blick in die geheimsten
Winkel einer Seele tun — und es ist eine arme Seele. Wenn
auch ihr Vetter Paul sie als „hochgemut“ bezeichnet, ist sie in
Wahrheit ein verirrter, völlig einsamer Mensch, der weder in
sich noch außer sich einen Halt hat. Die Tragödie des Fräulein
Else, die einen alten Herrn ihrer Bekanntschaft um Geld bittet,
um ihren leichtsinnigen Vater vor dem Gefängnis zu retten,
und der dieses Geld nur unter entehrenden Bedingungen zu¬
gesagt wird, ist nicht die Tragödie der beleidigten Frauen¬
würde, sondern jene der Einsamen und Ratlosen. Schnitzlers
Novelle ruht auf dem Verhängnis, daß Else keinen Menschen
besitzt, der sie „ein wenig gern hat“, also keinen, dem sie
vertrauen kann. So flattert sie wie ein gejagter Vogel
richtungslos umher und zerschellt an der Fensterscheibe, hinter
der eine trügerische Freiheit lockt. Schnitzler, der Kenner der
menschlichen Seele und literarischen Kunstformen, wußte sehr
wohl, warum er aus „Else“ eine Novelle und kein Theaterstück
machte: weil die Einsamkeit einer armen Seele nicht auf der
Bühne darstellbar ist. Indem die Dramatisierung Ernst
Lothars Else die Möglichkeit gibt, zu einem andern
Menschen zu sprechen, rettet sie das Werk für die Bühne, reißt
es aber zugleich aus seinem natürlichen Boden. Und es kommt
dann schon nicht mehr darauf an, daß die Bearbeitung aus
dem bei Schnitzler spielbesessenen und genialen Rechtsanwalt,
der sich an Mündelgeldern vergreift, einen Fanatiker der
Menschenliebe macht, der, nur um zu helfen, ein bei ihm hinter¬
legtes Depot antastet. Der Schnitzlersche Vater, der zweifellos
ein Schwächling mit bezaubernden Umgangsformen ist, dürfte
mit hohlen Redensarten jedem Gedanken an eine Erniedrigung,
der sich seine Tochter um sein llen aussetzen könnte, ab¬
gewehrt haben. Der Vater des Stückes aber, der in Basser¬
manns Darstellung zu einer ganz großen Gestalt wird.
konnte nie zulassen, daß sein Kind auch nur einen Schritt
auf einem Weg mache, der schlüpfrig sein könne. Und so fällt
im Theaterstück auf die bei Schnitzler durchaus nicht sympathi¬
schen Nebengestalten der Handlung viel zu viel freundliches
Licht. Die Schauspieler dürfen sich darüber freuen, daß manches
Peinliche gemildert und vieles, das dem packenden Ausdruck
dienlich ist, verstärkt wurde, zum Teil sogar ganz neu hinzu¬
gekommen ist. Dies gilt von Else selbst, die von Rose
Stradner mit Jungmädchenanmut und am ergreifendsten
in jenen Augenblicken gespielt wird, in denen sie, allein mit
sich selbst, sich jeden Schritt abringt, der sie dem Verhängnis
entgegenführt. In der Rolle des alten Mannes, der an die
Käuflichkeit des Genusses und der Schönheit glaubt, stellt sich
Kaspar Brandhofer vor. Sein Herr v. Dorsday ist eine
außerordentlich starke Leistung, ein Gewaltmensch, der das
Leben rücksichtslos auspreßt wie eine Frucht. Er läßt dabei die
Angst des Alternden erkennen, die ihn zwingt, so rücksichtslos
zu sein. Else Bassermann als Tante Emma brachte den
Egoismus, das Nichtzuhörenkönnen dieser Frau, sehr gut zum
Ausdruck: ein Mensch, mit dem man plaudern, aber nicht
sprechen kann. Der bereits erwähnte Rechtsanwalt Albert
Bassermanns, eine neue Prachtfigur des großen
Künstlers, fand in Lilia Skalla eine ausgezeichnete
Partnerin. Adrienne Geßner als Frau Mohr, Erik Frey
als Elses Vetter Paul, Lina Woiwode als offizielle
Freundin des Herrn v. Dorsday und die übrigen Gäste und
Angestellten des Hotels Fratazza in San Martino rundeten
das Bild einer Gesellschaft, die sich nicht langweilen, aber auch
nichts ernst nehmen will. Das Publikum bezeigte durch lang¬
anhaltenden Beifall, daß es mit der Dramatisierung der
Novelle einverstanden war.
E. P.