I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 253

lesten, zwei Tage illier i Priste erngen
ließ, hat im Laufe der
Die Affäre hat nun schließlich zu einer Versammlung der Schauspieler
gegeben, die gestern um 18 Uhr
des Theaters in der Josefstadt Anlaß
und nicht einmal der Direktion
stattfand, aber streng geheimgehalten
zugänglich war.
geweiht, daß er sich auf diese
Versammlung hinter
Weise die Bestätigung seines
verschlossenen Türen.
künstlerischen Wertes ver¬
Die Versammlung nahm
schaffen wolle. Er, der seit
vorübergehend einen dramati¬
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drei Jahren nicht imstande
Leo Reuß mit Vollbart
schen Verlauf, da sich zwischen
(Kaspar Brandhofer)
war, ein festes Engagement zu
Der Schauspieler Leo Reuß
jenen Schauspielern, die es nicht
erhalten, sah keinen anderen
für richtig fanden, daß ein Bühnendarsteller die Maske, die er vor
Weg mehr als den, den er sich schließlich erdachte. Reuß
dem Publikum während der Vorstellung aufsetzt, auch im Privat¬
war von der Idee besessen, alle davon zu überzeugen, welche
leben weitertrage, und jenen, die für Leo Reuß eintraten, wieder¬
Fähigkeiten zum Schauspieler in ihm steckten. Ihm selbst sei dee
holt Kontroversen ergaben. Ein großer Teil der Schauspieler stellte
Komödie im Innersten zuwider gewesen.
sich auf den Standpunkt, daß es sich im Falle Reuß um den Ver¬
zweiflungsakt eines Kollegen handle, der vergeblich versucht hatte,
einen Wirkungskreis zu finden. Zwar billigten auch sie nicht die
Methode, zu der er gegriffen hat, doch scheint es ihnen nicht, daß
W

durch dieses Vorgehen die Standesehre des Schauspielers verletzt
worden sei. Keineswegs wollten sie durch einen Beschluß die Ver¬
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antwortung für die Existenz eines Kollegen übernohmen, der sein
Können in der Tat bewiesen hat. Die Direktion des Theaters sei
es, die Kaspar Brandhofer auf Grund seiner künstlerischen
Sieg einer Maske.
Qualitäten engagiert habe, und es sei nun auch weiterhin eine
Von
Angelegenheit der Direktion, darüber zu entscheiden, wie sie das
Vertragsverhältnis mit dem Schauspieler Leo Reuß, der über
Leo Perry.
die gleichen Qualitäten verfüge, in Hinkunft gestalten wolle. Dem¬
Der Fall des Schauspielers Kaspar Brandhofer gehört zu
gegenüber machten sich Stimmen geltend, die erklärten, daß das
den seltsamsten Dingen, die sich je auf dem Theater ereignet
Vorgehen des Leo Reuß mit der Standeswürde des Schauspielers
haben. Ja, man könnte fast sagen, daß er alle Theaterweisheit, auf
nicht restlos vereinbar sei. Auch sie verstünden es wohl, die mensch¬
die man sich im Reich der Schminke so gern zu berufen
lichen Hintergründe seiner Handlungsweise zu würdigen, doch müsse
pflegt, glatt über den Haufen wirft. Schon das Debüt dieses
Bedacht darauf genommen werden, ob durch die Affäre Brandhofer
Schauspielers erregte Staunen und Verwunderung.
nicht möglicherweise ein Präzedenzfall geschaffen werde, wenn man
Anton Edthofer, der für eine der Hauptrollen in der
sie ohne weiteres hinnehme.
jetzigen Novität des Theaters in der Josefstadt, in der Drama¬
Majorität für Leo Reuß.
tisierung von Schnitzlers Monolog „Fräulein Else“ ausersehen
warz führte sichn abgespannt. An seiner Stelle
Schließlich siegten doch die Argumente für Leo Reuß und die
kam ein neuer Mann auf die erste Probe, ein völlig unbekannter,
Versammlung faßte eine Resolution, die den Standpunkt der
ein Herr mit einem angewachsenen Vollbart, wie ihn Schau¬
Direktion billigt und erklärt, daß die Schauspieler im Theater
spieler sonst nicht zu tragen pflegen. Er soll übrigens auch gar
in der Josefstadt die menschlichen und künstlerischen Erwägungen,
kein Schauspieler sein, erzählt man sich in den Garderoben,
die die Direktion zu dem Entschluß geführt haben, aus der Affäre
ondern sich bisher als Landwirt betätigt haben, in Tirol. Max
keine Konsequenzen zu ziehen, verstehen und gutheißen.
Reinhardt hat den merkwürdigen Mann für die Bühne entdeckt
Nach dieser Resolution ist Leo Reuß die Möglichkeit gegeben
und damit auch seine theatralische Sendung legitimiert. Der
seine schauspielerische Tätigkeit im Theater in der Josefstadt fort¬
risch aus den Diroler Bergen auf die Bühne des Josefstädter
zusetzen. Er erscheint ab heute auf dem Programmzettel unter dem
Theaters gewehte Darsteller nennt sich Kaspar Brandhofer.
Der Name klingt bedenklich nach Pseudonym. Kaspar
deckung seiner wahren Identität seine bisherige Maske als Kaspar
Brandhofer! An wen erinnert doch nur dieser Name? Richtig,
Brandhofer beibehalten.
der Erzherzog Johann, der volkstümlich gewordene steirische
Johann, der die Ausseer Postmeisterstochter Anna Plochl ge¬
Der mysteriöse Kaspar
Brandhof, diesen Namen, wenn er ein Inkognito brauchte.
Altenberger.
Gut, es ist also ein Mann da, der sich Brandhofer nennt.
In den Garderoben sieht man etwas sleptisch dem hals¬
brecherischen Sprung zu, den der neue Kollege auf die Bühne
Reuß.
wagt. Aber gleich nuch der ersten Probe merkt man, daß der
Die Angelegenheit des Schauspielers Leo Reuß, der unter
Mann mit dem Vollbart nichts Dilettantenhaftes an sich hat,
dem falschen Namen eines Kaspar Brandhofer in „Fräulein
daß er sich auf der Bühne zu Hause fühlt, daß er in allem
Else“ debütierte, beschäftigt nun auch die Polizei. Das Zentral¬
Bescheid weiß. Sehr sonderbar ist das. Irgendetwas stimmt mit
meldungsamt hat festgestellt, daß der Schauspieler sich vom
diesem Kaspar Brandhofer nicht.
November 1935 bis Mai 1936 in der Cottagegasse 63 unter dem
Wenige Tage nach der Premiere, die dem Debütanten
Namen Kespar Altenberger einquartiert hatte. Unter dem
einen verdienten Erfolg bringt, lüftet er selbst sein Geheimnis.
gleichen Namen wohnte er nachher bis zum 12. November im
Der Kaspar Brandhofer gibt sich zu erkennen. Der Vollbart hat
Hotel Höller in der Burggasse. Seit 14. November wohnt „Kaspar
eine Physiognomie verdeckt, an die man sich in Wien erinnert.
Altenberger“ im 13. Bezirk, Titlgasse 15, bei der Pianistin
Der Vollbart verbirgt ein Antlitz, das einmal glattrasiert war
Melitta Kauser=Ritscher. Die Polizei sieht in diesen Tat¬
und dem Schauspieler Leo Reuß gehörte. Es ist jetzt ungefähr
achen den Tatbestand der Falschmeldung gegeben,
fünfzehn Jahre her, daß Leo Reuß an der Neuen Wiener Bühne
wofür dem Schauspieler eine Geldstrafe bis zu 200 Schilling droht.
unter der Direktion Emil Geyer engagiert war. Leo Reuß war
Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß Kaspar Alten¬
ein junger, sympathischer Mann, hatte ziemlichen Erfolg, fiel
berger wirklich lebt. Er ist der Verwalter des Gutes, das Leo Reuß
jedich nicht weiter auf. Dann ging er nach Deutschland. Man
gehört. Der Schauspieler ist mit seinen Dokumenten nach Wien
hörte einigemal von ihm. Seine Name wurde genannt im Zu¬
gekommen.
sammenhang mit jenen kühnen Inszenierungen, wie sie von
Jeßner, Piscator und anderen neue Wege suchenden Regisseuren
Was „Brandhofers“ Quartiergeberin erzählt:
versucht wurden. Man vernahm noch, daß Leo Reuß der Gatte
Ein Besuch bei der Quartiergeberin Leo Reuß', der Pianistin
der in Berlin groß gewordenen Schauspielerin Agnes Straub
Kaufer=Ritscher, bei der er ein Zimmer bewohnt, gibt einen
vurde und dann verschwand sein Name und wurde vergessen.
interessanten Aufschluß über die Beweggründe, die den Schau¬
„Comeback.“
spieler zur Annahme eines fremden Namens und eines blonden
Bartes bestimmten. Die Pianistin erzählt, Reuß habe sie ein¬
Hie und da geschieht es, daß ein Künstker, nach einer Pause