I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 277

31. Fraeulein Else

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Ausschnitt aus
e
siksgeitung
vom
937
Brandhofer=Reuß wegen
Falschmeldung verurteilt.
Unter allen Anzeichen einer Sensation gin
gestern in Hietzing die Verhandlung gegen
den
Schauspieler Leo Reuß,
dessen
7150
Täuschungsmanöver Publikum und Presse in
außerordentlicher Weise beschäftigt hat, vor
Dr. Rauscher sah eine Menge Gäste:
Pressevertreter, Photographen, Neugierige.
Tiroler Bauer mit dem Bart.
Im Dezember 1936 brachte das Theater in
der
Josefstadt die Dramatisierung von
Schnitzlers Novelle „Fräulein Else“ in der
Bearbeitung von Dr. Lothar. Unter den
Künstlern fiel der Darsteller des Dorsay auf
Dieser Schauspieler, der auf dem Theater¬
zettel als Kaspar Brandhofer aufschien,
in Wirklichkeit Kaspar Altenberger hief
Bühne stand. Dieser „Tiroler Bauer“ hatte
einen schönen blonden Vollbart, den er um
keinen Preis opfern wollte, und die Wiener
wußten nicht, was ihnen mehr imponieren
solle: der Bauer, der so gut Theater spielte,
oder seine Treue zum Bart.
Kurz nach der Premiere aber gab es eine
In einem an den
neue Sensation:
Präsidenten des Ringes der Bühnenkünstler
Comma gerichteten Brief gab der „Tiroler
Bauer“ zu. mit dem bekannten Schauspieler
Leo Reuß identisch zu sein, und erzählte
daß er sich dieses Tricks bedient habe, um
in Wien ein Engagement zu
finden. Er habe jahrelang in Berlin ge¬
arbeitet, könne aber jetzt im national¬
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Kleine Volks=Zeitung
sozialistischen Deutschland nicht auftreten und
habe daher versucht, in Oesterreich unter¬
ukommen. Als ihm das nicht gelang, ließ er
ich von dem Verwalter des Gutes „Sonn¬
Kaspar Altenberger,
berg“,
Personaldokumente geben, ließ sich einen
Bart wachsen und legte als Kaspar Alten¬
berger die Prüfung beim Ring der Bühnen¬
künstler ab. Seine Täuschungskunst war voll¬
kommen. Durch Empfehlung Reinhardts kam
er zu Direktor Lothar. Weder Helene Thimig
noch Reinhardt, mit denen L. Reuß in Berlin
zehn Jahre lang im Verkehr gestanden war,
noch auch der Vorsitzende der Prüfungs¬
kommission des Ringes der Bühnenkünstler
Dr. Emil Geyer, unter dessen Direktion
Reuß nach dem Krieg in Wien aufgetreten
war und auch nicht Direktor Röbbeling,
der in Hamburg von Reuß den „Jedermann“
inszenieren und spielen ließ, erkannten ihn.
Da die Erhebungen ergaben, daß Reuß sich
auch unter dem falschen Namen Altenberger
gemeldet hatte, wurde gegen ihn die Anklag
nach § 320 StG. (Uebertretung der Melde¬
vorschriften) erhoben.
In furchtbarer seelischer Depression.
Leo Reuß, ein sehr elegant gekleideter
Mann mit dunkeln Augen, blondem Vollbart
und blondem, leicht angegrautem Haar, gal
an, 1891 in Dolina (Galizien) geboren und
taatenlos zu sein. Im Alter von drei Jahren
kam er schon nach Wien, maturierte am
Währinger Gymnasium und frequentiert
auch in Wien die Hochschule. Den Krieg
machte er als Deutschmeister mit. Nach den
Krieg trat er in Wien im Komödienhaus und
in der Neuen Freien Bühne auf. Dann kam
er nach Deutschland, wo seiner Karriere die
ieuen Gesetze des Dritten Reiches ein Ende
nachten.
Richter: Heißen Sie Leis oder Reuß.
Ungekl.: Reis. Aber mein Künstlername
Reuß. Auf Befragen gibt Reuß dann an, daß
r ein Monatseinkommen von 1000 S habe
ind im Hotel Fürstenhof auf dem Neubau¬
jürtel wohne.
Richter: Wann sind Sie in den Besitz der
Dokumente des Herrn Altenberger ge¬
kommen? — Angekl.: Anfang 1936. Ich habe
sie aber nur bei der Gesellschaft des Ringes
der Bühnenkünstler vorgelegt. Sonst habe ich
ie nie verwendet. — Richter: Dort haben Sie
— Angekl.:
eine Prüfung abzulegen gehabt?
Ja, diese Prüfung habe ich als Altenberger
— Richter: Erzählen Sie uns
abgelegt.
warum Sie das gemacht haben? — Angekl.:
Ich war 16 Jahre lang ununterbrochen schau¬
pielerisch tatig. Ich hatte großen Erfolg
ogar im Dritten Reich haben national¬
ozialistische Zeitungen meine Fähigkeiten an¬
rkannt. Mit Rücksicht auf die Verhältnisse
bin ich dann nach Oesterreich. Ich habe
überall alles mögliche versucht, habe mich be¬
nüht, irgendeine Stellung, und sei sie noch
so gering, zu bekommen. Es ist mir aus¬
nahmslos nicht gelungen. Ich bin
seelische
in eine furchtbare
Depression geraten. Ich bekam der¬
artige Minderwertigkeits¬
jefühle, daß ich mir sagte, der Erfolg war
nur an meinen Namen geknüpft. Ich habe
aher diese Farce inszeniert, um
dahinter zu kommen, ob ich ein
Schauspieler bin oder nicht. Ich
habe mir gedacht, ich werde als unscheinbarer
Landmann beim Ring der Bühnenkünstler
neine Prüfung machen. Da werde ich sehen,
b man mich als Schauspieler anerkennt oder
nicht
Richter: Und da haben Sie die fremden
Dokumente vorgewiesen? — Angekl.: Ja,
Nr. 20 — Seite 11
nur da. Ich war in einer furchtbaren
Situation, und sie war um so größer, als
ich im Krieg österreichischer Offizier gewesen
in und jetzt in Oesterreich nirgends unter¬
kommen konnte.
Ueber weitere Fragen des Richters ver¬
icherte Reuß, daß ihm hauptsächlich darum zu
tun war, sein Talent anerkannt zu sehen. Es
väre mir, sagte er, nichts daran gelegen, zu
erhungern, aber dann als Schau¬
pieler.
Selbst die Sache aufgedeckt.
Verteidiger Dr. Zitter bekundete, daß
Reuß vor der Premiere einen Brief bei ihm
hinterlegte der erst nachher zu öffnen war.
Nach der Premiere kam Reuß wieder zu ihm
und gestand ihm, wer er war. Der Richter
konstatiert aus dem Brief, daß Reuß darin er¬
klärt, daß er aus seelischer De¬
pression zu diesem Mittel gegriffen habe,
um sich selbst zu beweisen, daß er ein Schau¬
pieler sei.
Richter: Sehen Sie ein, daß Sie unrichtig
gehandelt haben? — Angekl.: Ich sehe ein,
daß ich trotz meiner schweren Situation un¬
ichtig gehandelt habe. Ich möchte nur noch
ermähnen, daß ich selbst die Sache auf¬
gedeckt habe und daß ich mich unmittel¬
bar danach sofort umgemeldet
habe.
Der staatsanwaltschaftliche Funktionär be¬
antragte Bestrafung des Angeklagten, da durch
einen angeblichen seelischen Notstand kein
unwiderstehlicher Zwang im Sinne des Ge¬
etzes gegeben sei.
Der Verteidiger Dr. Wolfgang Polaczek
verwies darauf, daß man hier wohl einen un¬
widerstehlichen Zwang annehmen könne, da
die seelische und materielle Not des
Sinne des Gesetzes zu betrachten ist als die
Gesetzesverletzung durch die Falschmeldung.
100 Schilling, bedingt.
Der Richter erkannte Reuß im Sinne der
Anklage schuldig und verurteilte ihn zu
00 S Geldstrafe oder 48 Stunden
Arrest, bedingt mit zweijähriger Be¬
währungsfrist. In der Begründung sagte er,
aß eine seelische Depression nie so weit gehen
dürfe, daß ein Gesetz verletzt werde.
Reuß hörte das Urteil ruhig in strammer
Haltung an, nur seine Hände, die er am
Rücken hielt, waren verkrampft. Er erklärte:
„Ich nehme die Strafe an.“