31.
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Fraeulein Else
#. a. — — 1 — an n
„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZELLE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
einge Valben
vomz) 20. UAN. 1937
Mii
GERICHT.
Der Schauspieler mit den vier Namen.
Gestern wurde der Schauspieler Leo Reuß, der im Theater an der Josefstadt unter
dem Namen „Kaspar Brandhofer“ aufgetreten ist, vom Bezirksgericht Hietzing
wegen Falschmeldung zu 100 Schilling Geldstrafe bedingt verurteilt.
Wie aus Leo Reuß ein Kaspar Altenberger wurde.
nicht auftreten und habe daher versucht, in
Unter allen Anzeichen eines Sensations¬
Oesterreich unterzukommen. Als ihm das nicht
prozesses ging gestern die Strafverhandlung
gelang, habe er sich vom Verwalter des Gutes
gegen den Schauspieler Leo Reuß recte Reis,
Sonnberg“ Kaspar Altenberger, die
dessen recht seltsam anmutendes Täuschungs¬
Personaldokumente geben lassen.
manöver Publikum und Presse im Dezember
Da sich Reuß eien Bart zugelegt hatte,
vorigen Jahres in außerordentlicher Weise be¬
konnte er, von seinen Berufskollegen un¬
chäftigt hat, beim Bezirksgericht
erkannt, die Schauspielerprüfung beim Ring
Hietzing vor sich. Der Verhandlungssaal
der Bühnenkünstler ablegen. Durch Empfehlung
des Strafrichters Dr. Rauscher sah eine
Max Reinhardts, der ebenfalls durch den
Menge Gäste: Pressevertreter, Photographen
„Tiroler Bart“ des Emigranten getäuscht
und Neugierige. Die Affäre Brandhofer=Reuß
wurde, kam Reuß zu Direktor Lothar. Mittler¬
ist eine der tollsten Komödien, die die Wirk¬
weile ergaben aber die Erhebungen, daß sich
lichkeit jemals geschrieben hat.
Reuß auch unter dem falschen Namen Alten¬
Im Dezember vorigen Jahres brachte das
berger polizeilich gemeldet hatte, weshalb
Theater in der Josefstadt die Dramatisierung
gegen ihn die Anklage nach § 320 g
von Artur Schuitzlers Novelle „Fräulein
Str6. (Uebertretung der Meldevorschriften
Else“ in der Bearbeitung von Hofrat Doktor
derjenigen, die sich eines fremden Ausweises
Ernst Lothar heraus. Unter den Künstlern
bedienen) erhoben wurde.
fiel der Darsteller der Rolle des Dorsay
wie es hieß — neuer Schauspieler.
„Seelische Depression“ als Verant¬
auf, ein —
Dieser Darsteller, der auf dem Theaterzettel
wortung.
als „Kaspar Brandhofer“ aufschien,
Leo Reuß ist ein Mann mit dunklen Augen,
wurde als Tiroler Bauer bezeichnet, der
blondem Vollbart und blondem, leicht an¬
in Wirklichkeit Kaspar Altenberger heiße
gegrauten Haar. Vor dem Richter gab er an,
und der zum erstenmal in seinem Leben
im Jahre 1891 in Dolina in Polen geboren
auf der Bühne stehe.
und staatenlos zu sein. Wie wir erfahren, ist
Brandhofer hatte einen blonden Voll¬
er der Sohn eines jüdischen Tierarztes, hat
bart, den er um keinen Preis opfern wollte.
sich aber später in Wien taufen lassen. Reuß,
der mit drei Jahren nach Wien gekommen war,
Kurz nach der Premiere aber gab es eine
Den
tudierte hier an der Kunstakademie.
neue Sensation: In einem an den Präsidenten
Krieg machte er als Deutschmeisteroffizier
der Bühnenkünstler, Hans
035
mit. Nach dem Kriege trat er in Wien in der
Homma, gerichteten Briefe gab der „Tiroler
„Komödie“ und in der „Neuen Freien Bühne“
Bauer“ zu, mit dem aus Deutschland emigrier¬
auf. Dann kam er nach Deutschland, wo seiner
ten Berufsschauspieler Leo Reuß identisch
Bühnenkarriere die Nassengesetze des Dritten
zu sein.
Reiches ein Ende machten.
Er habe sich, so gab er an, dieses Tricks
Richter: Heißen Sie Neis oder Reuß?
bedient, um in Wien ein Engagement zu
Angekl. (leise): Reis. Aber mein Künstler¬
finden.
name ist Neuß. — Richter: Welches Einkom¬
Jahrelang hatte er in Berlin gearbeitet, könne
men haben Sie? — Angekl.: 1000 Schilling
aber jetzt im nationalsozialistischen Deutsch¬
im Monat. — Nichter: Wann sind Sie in den
land infolge seiner semitischen Abstammung
Nr. 20 — Seite 9
Besitz der Dokumente des Herrn Altenheimer
gekommen? — Angekl.: Anfang 1936. Ich habe
sie aber nur beim Ring der Bühnenkünstler vor¬
gelegt Sonst habe ich sie nie verwendet.
Richter: Dort haben Sie die Schauspielerprü¬
fung abzulegen gehabt? — Angekl.:
Ja, diese Prüfung hasse ich als Allen¬
berger abgelegt.
Im weiteren Verlauf des Verhöres suchte
der Angeklagte seine Handlungsweise auf fol¬
gende Weise zu erklären: „Ich habe mich
Oesterreich bemüht, irgendeine Stellung, und
sei sie noch so gering, zu bekommen Es ist nir
ausnahmslos nicht gelungen. Ich bin in eine
furchtbare seelische Depression
geraten. Ich bekam derartige Minderwertig¬
keitsgefühle, daß ich mir sagte, mein früherer
Erfolg war nur an meinen Namen geknüpft.
Ich habe daher diese Farce inszeniert, um
dahinter zu kommen, ob ich ein Schauspieler
bin oder nicht. Ich habe mir gedacht, ich werde
als unscheinbarer Landmann beim Ring
meine Prüfung machen. Da werde ich sehen,
ob man mich als Schausvieler anerkennt oder
nicht. Es wäre mir nichts daran gelegen, zu
verhungern, aber dann als Schauspieler.
Eine Selbstanzeige.
Der Verteidiger gab an, daß der Ange¬
klagte vor der Premiere im Theater an der
Josefstadt einen Brief bei ihm hinterlegt
habe, der erst nachher geöffnet werden sollte.
Der Schauspieler sei auch nach der Premiere
zu ihm in die Kanzlei gekommen und habe
ihm gestanden, wer er war. Dieser Brief wurde
dem Richter vorgelegt; der Nichter stellte fest,
daß der Angeklagte darin erklärte, daß er aus
ge¬
seelischer Depression zu diesem Mittel
griffen habe, um sich selbst zu beweisen, daß er
ein Schauspieler sei.
Nichter: „Sehen Sie ein, daß Sie unrichtig
gehandelt haben? — Angekl.
Ich sehe ein, daß ich trotz meiner schweren
Situation unrichtig gehandelt habe.
Ich möchte nur noch erwähnen, daß ich selbst
die Sache aufgedeckt habe und daß ich mich
—
unmittelbar danach sofort umgemeldet habe.
Damit war das Beweisverfahren geschlossen.
Der staatsanwaltschaftliche Funktionär bean¬
tragte die Bestrafung des Angeklagten,
durch seinen angeblichen seelischen Notstand
kein unwiderstehlicher Zwang im Sinne des
Gesetzes gegeben sei.
Das Urteil.
Der Richter erkannte Leo Reis im Sinne
der Anklage schuldig und verhängte über
ihn eine Geldstrafe von hundert
Schilling, im Nichteinbringungsfall eine
Arreststrafe von 48 Stunden. Mit Rücksicht auf
die bisherige Unbescholtenheit des Angeklagten
wurde die Strafe mit zweijähriger Bewäh¬
rungsfrist bedingt ausgesprochen. In der
Urteilsbegründung sagte der Richter, daß eine
eelische Depression nie so weit gehen dürfe,
daß ein Gesetz verletzt werde.
Reis hörte das Urteil ruhig und in stram¬
mer Haltung an. Er erklärte, die Strafe an¬
nehmen zu wollen.
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Fraeulein Else
#. a. — — 1 — an n
„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZELLE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
einge Valben
vomz) 20. UAN. 1937
Mii
GERICHT.
Der Schauspieler mit den vier Namen.
Gestern wurde der Schauspieler Leo Reuß, der im Theater an der Josefstadt unter
dem Namen „Kaspar Brandhofer“ aufgetreten ist, vom Bezirksgericht Hietzing
wegen Falschmeldung zu 100 Schilling Geldstrafe bedingt verurteilt.
Wie aus Leo Reuß ein Kaspar Altenberger wurde.
nicht auftreten und habe daher versucht, in
Unter allen Anzeichen eines Sensations¬
Oesterreich unterzukommen. Als ihm das nicht
prozesses ging gestern die Strafverhandlung
gelang, habe er sich vom Verwalter des Gutes
gegen den Schauspieler Leo Reuß recte Reis,
Sonnberg“ Kaspar Altenberger, die
dessen recht seltsam anmutendes Täuschungs¬
Personaldokumente geben lassen.
manöver Publikum und Presse im Dezember
Da sich Reuß eien Bart zugelegt hatte,
vorigen Jahres in außerordentlicher Weise be¬
konnte er, von seinen Berufskollegen un¬
chäftigt hat, beim Bezirksgericht
erkannt, die Schauspielerprüfung beim Ring
Hietzing vor sich. Der Verhandlungssaal
der Bühnenkünstler ablegen. Durch Empfehlung
des Strafrichters Dr. Rauscher sah eine
Max Reinhardts, der ebenfalls durch den
Menge Gäste: Pressevertreter, Photographen
„Tiroler Bart“ des Emigranten getäuscht
und Neugierige. Die Affäre Brandhofer=Reuß
wurde, kam Reuß zu Direktor Lothar. Mittler¬
ist eine der tollsten Komödien, die die Wirk¬
weile ergaben aber die Erhebungen, daß sich
lichkeit jemals geschrieben hat.
Reuß auch unter dem falschen Namen Alten¬
Im Dezember vorigen Jahres brachte das
berger polizeilich gemeldet hatte, weshalb
Theater in der Josefstadt die Dramatisierung
gegen ihn die Anklage nach § 320 g
von Artur Schuitzlers Novelle „Fräulein
Str6. (Uebertretung der Meldevorschriften
Else“ in der Bearbeitung von Hofrat Doktor
derjenigen, die sich eines fremden Ausweises
Ernst Lothar heraus. Unter den Künstlern
bedienen) erhoben wurde.
fiel der Darsteller der Rolle des Dorsay
wie es hieß — neuer Schauspieler.
„Seelische Depression“ als Verant¬
auf, ein —
Dieser Darsteller, der auf dem Theaterzettel
wortung.
als „Kaspar Brandhofer“ aufschien,
Leo Reuß ist ein Mann mit dunklen Augen,
wurde als Tiroler Bauer bezeichnet, der
blondem Vollbart und blondem, leicht an¬
in Wirklichkeit Kaspar Altenberger heiße
gegrauten Haar. Vor dem Richter gab er an,
und der zum erstenmal in seinem Leben
im Jahre 1891 in Dolina in Polen geboren
auf der Bühne stehe.
und staatenlos zu sein. Wie wir erfahren, ist
Brandhofer hatte einen blonden Voll¬
er der Sohn eines jüdischen Tierarztes, hat
bart, den er um keinen Preis opfern wollte.
sich aber später in Wien taufen lassen. Reuß,
der mit drei Jahren nach Wien gekommen war,
Kurz nach der Premiere aber gab es eine
Den
tudierte hier an der Kunstakademie.
neue Sensation: In einem an den Präsidenten
Krieg machte er als Deutschmeisteroffizier
der Bühnenkünstler, Hans
035
mit. Nach dem Kriege trat er in Wien in der
Homma, gerichteten Briefe gab der „Tiroler
„Komödie“ und in der „Neuen Freien Bühne“
Bauer“ zu, mit dem aus Deutschland emigrier¬
auf. Dann kam er nach Deutschland, wo seiner
ten Berufsschauspieler Leo Reuß identisch
Bühnenkarriere die Nassengesetze des Dritten
zu sein.
Reiches ein Ende machten.
Er habe sich, so gab er an, dieses Tricks
Richter: Heißen Sie Neis oder Reuß?
bedient, um in Wien ein Engagement zu
Angekl. (leise): Reis. Aber mein Künstler¬
finden.
name ist Neuß. — Richter: Welches Einkom¬
Jahrelang hatte er in Berlin gearbeitet, könne
men haben Sie? — Angekl.: 1000 Schilling
aber jetzt im nationalsozialistischen Deutsch¬
im Monat. — Nichter: Wann sind Sie in den
land infolge seiner semitischen Abstammung
Nr. 20 — Seite 9
Besitz der Dokumente des Herrn Altenheimer
gekommen? — Angekl.: Anfang 1936. Ich habe
sie aber nur beim Ring der Bühnenkünstler vor¬
gelegt Sonst habe ich sie nie verwendet.
Richter: Dort haben Sie die Schauspielerprü¬
fung abzulegen gehabt? — Angekl.:
Ja, diese Prüfung hasse ich als Allen¬
berger abgelegt.
Im weiteren Verlauf des Verhöres suchte
der Angeklagte seine Handlungsweise auf fol¬
gende Weise zu erklären: „Ich habe mich
Oesterreich bemüht, irgendeine Stellung, und
sei sie noch so gering, zu bekommen Es ist nir
ausnahmslos nicht gelungen. Ich bin in eine
furchtbare seelische Depression
geraten. Ich bekam derartige Minderwertig¬
keitsgefühle, daß ich mir sagte, mein früherer
Erfolg war nur an meinen Namen geknüpft.
Ich habe daher diese Farce inszeniert, um
dahinter zu kommen, ob ich ein Schauspieler
bin oder nicht. Ich habe mir gedacht, ich werde
als unscheinbarer Landmann beim Ring
meine Prüfung machen. Da werde ich sehen,
ob man mich als Schausvieler anerkennt oder
nicht. Es wäre mir nichts daran gelegen, zu
verhungern, aber dann als Schauspieler.
Eine Selbstanzeige.
Der Verteidiger gab an, daß der Ange¬
klagte vor der Premiere im Theater an der
Josefstadt einen Brief bei ihm hinterlegt
habe, der erst nachher geöffnet werden sollte.
Der Schauspieler sei auch nach der Premiere
zu ihm in die Kanzlei gekommen und habe
ihm gestanden, wer er war. Dieser Brief wurde
dem Richter vorgelegt; der Nichter stellte fest,
daß der Angeklagte darin erklärte, daß er aus
ge¬
seelischer Depression zu diesem Mittel
griffen habe, um sich selbst zu beweisen, daß er
ein Schauspieler sei.
Nichter: „Sehen Sie ein, daß Sie unrichtig
gehandelt haben? — Angekl.
Ich sehe ein, daß ich trotz meiner schweren
Situation unrichtig gehandelt habe.
Ich möchte nur noch erwähnen, daß ich selbst
die Sache aufgedeckt habe und daß ich mich
—
unmittelbar danach sofort umgemeldet habe.
Damit war das Beweisverfahren geschlossen.
Der staatsanwaltschaftliche Funktionär bean¬
tragte die Bestrafung des Angeklagten,
durch seinen angeblichen seelischen Notstand
kein unwiderstehlicher Zwang im Sinne des
Gesetzes gegeben sei.
Das Urteil.
Der Richter erkannte Leo Reis im Sinne
der Anklage schuldig und verhängte über
ihn eine Geldstrafe von hundert
Schilling, im Nichteinbringungsfall eine
Arreststrafe von 48 Stunden. Mit Rücksicht auf
die bisherige Unbescholtenheit des Angeklagten
wurde die Strafe mit zweijähriger Bewäh¬
rungsfrist bedingt ausgesprochen. In der
Urteilsbegründung sagte der Richter, daß eine
eelische Depression nie so weit gehen dürfe,
daß ein Gesetz verletzt werde.
Reis hörte das Urteil ruhig und in stram¬
mer Haltung an. Er erklärte, die Strafe an¬
nehmen zu wollen.