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31. Fraeulein Else
„
Seite 14
Sonntag
Bei Hant Geralby.
Von
Berta Zuckerkandl=Szeps.
Nach Südfrankreich, über Arles, Avignon, Marseille, dann
über Toulon nach Saint=Rafael. Die „Grande Ligue“ geht weiter.
Meutone, Nizza, Monte Carlo. Riviera, die der Gesellschaft
bekannt ist. Allen Leuten, die gerne Roulette spielen und sich
amüsieren wollen. In Saint=Rafael steigen doch viele aus. Denn
auch da ist ein kleiner Spielsaal. Und ein eleganter Strand.
Wenige aber verlangen dort den Expreßzug, um (sei es mit einer
kleinen Zweigbahn, der gegenüber die Lokalbahn Salzburg—Ischl
ein Luxuszug ist, sei es mit dem Auto) nach Beauvallon zu fahren.
Heute ist dieser zauberhafte Gartenstrand erst im Erblühen. Hat
noch seine Unberührtheit bewahrt. Heute noch? Schon weiß
Elite der Globetrotter, daß in dieser fjordartigen Bucht ein
reizendes Hotel gebaut wurde, weil der schönste Golfgrund sich
über die Hügel von Beauvallon breitet. Sie weiß, daß dort
in nahen Orten, wie Saint=Maxim, oder am anderen Ufer,
Beauvallon gegenüber, dem alten Fischerstädtchen Saint=Tropez,
eine andere Elite ihre Hütten gebaut hat. Berühmte Autoren und
Schriftsteller, große Maler und Architekten. Auch Schauspielerinnen
von Namen, die um diese Lichtquellen flattern. Jedes Jahr ver¬
größert sich der Kreis der vornehmen Kibitze.
Nur ein einziges Hotel. Aber Menschen, die sich heimisch
machen wollen, sind an der Arbeit, Beauvallon in eine Home¬
Kolonie zu wandeln, die dem kulturlosen Beispiel der Villengreuel
in Juan=les=Peins und anderen fashionablen Rivieraorten ein
künstlerisches Gegenbeispiel werden soll. Zum Teil aus der
Bautradition der Provence entwickelt, zum Teil aus dem heißen
Dreiklang von Himmel, Meer und Südsonne die Bauart der
marokkanischen Häuser nachempfindend, schmiegen sich diese „Villone“
dem Strand oder auf den mimosen=blühenden Hügeln intensir
jenem Stil an, der mit dieser Natur und alten Bräuchen
harmoniert.
So hell ist die Mondnacht, daß ich, als Paul Geraldy,
der mich in Saint=Rafael mit seinem Auto abgeholt hatte, in
raschem Schwung den Hügel hinauffuhr, die reizvolle und zart
nach innen gebogene Linie seines Hauses deutlich sah; an der
Fassade die schlanken Säulen, darüber die keusch zurücktretende
Loggia. Die konkave Kurve des flachen Daches, all dies Musik
einer Architektur, die ich wie eine Ouvertüre zur grandiosen
Symphonie des Südens empfand. Eben erst hat Paul Geraldy
sein Heim vollendet. Die weißgetünchte Halle, nach Sitte des
Landes zugleich Speise= und Wohnraum, von der eine weiße
Marmorstiege zu den oberen Räumen aufsteigt, ist noch nicht
ganz eingerichtet. „Ich habe“, sagte Geraldy, „wohl schon
lange diese Landschaft geträumt. Und als ich vor drei Jahren
zum erstenmal herkam, da war es mir wie eine Erfüllung. Meine
Weltanschaaung, das Ideal, dem ich als Dichter zustrebe, die
Harmonie, aus deren Klang mir meine Werke werden, hier fand
ich das alles bestätigt. Ich hasse jede Wirrheit, Finsternis, Hä߬
lichkeit, Ungebändigtes, selbst wenn es mächtig ist. Ich will den
Menschen Freude geben. Auch dann, wenn ich ihnen Trauer,
Schmerz, Erschütterung nicht verbergen kann. Immer soll Maß
und Klarheit darüber schweben. Hier schrieb ich den ersten Akt
von „Robert und Marianne“. Und wenn Carrier sagt: „Alles
bezauberte mich. Diese wieder heidnisch gewordene Welt, diese
Freiheit in Kleidung und Bewegung. Dieser Männer, dieser
Frauen Nacktheit, atmend in Luft und Grün; dieses Spiel der
Körper, der sommerliche Luxus, das Meer, der so moderne
so
Lebenszuschnitt auf dem antiken Hintergrund! Herrlich!“
habe ich ihm mein eigenstes Erleben aussprechen lassen.“
Ich lernte diese wieder heidnisch gewordene Welt gleich den
nächsten Morgen kennen. Automobile rasen die Straße am Meere
entlang. Alle Insassen sind im Badekostüm. Es ist Sitte, bei
Freunden, die ein Stück eigenen Strandes haben, zu baden. Ein
ehemaliger französischer Abgeordneter erbaute sich, zehn Minuten
von Beauvallon entfernt, ein marokkanisches Landhaus,
nnerer Hof von einem großen, orangefarbenen
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Neues Wiener Journal
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— „Wenn man Ihnen zuhört (meint Geraldy), dann begreist man
die Bedeutung, den Wert, die verführerische Lockung des Kritiker¬
berufs. =Und ich beneide Sie eigentlich um diese weltumspannende
Weite Ihres Schaffens.
Trübe lächelt der sonst so joviale,
erzensfrohe Bidou.
„Ich liebe meinen Beruf leidenschaftlich
Aberzich kenne seine Tragik. Ich will versuchen, sie in eine
Formel zu bringen: Les critique c’est un peintre qui fait
oujours les portraits des enfants des autres.“ (Der Kritiker
st in Maler, der stets nur die Porträts von Kindern der
andern malt.) Und Geraldy forscht weiter: „Wieso ist es, daß
wir, die Schaffenden, so selten für uns Fruchtbares einer Kritik
estnehmen önnen?“ Darauf Bidous Antwort: „C’est qu'il faut
rouver, est le Fantôme de la pièce qu'on critique. Ce
ue l’au ir a vu en germe et qulil n’a jamais pu faire
aussi bi Ne pas corriger l’oeurre. Ce n’est pas la
acheritique. Mais tenter de la reconstruire d’aprés
son ic
aitiale.“ — (Was der Kritiker entdecken muß, ist das
Schen
Stückes, über das man zu urteilen hat. Das, was
der A
ils Keim empfangen hat. Und was ihm nie gelungen
glühen zu lassen. Man soll ein Werk nicht ausbessern
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volle
as ist nicht die Aufgabe des Kritikers. Sondern man
Versuch machen, aus diesem Werk, nach dem uranfänglichen
soll,
Will
es Schaffenden, dessen erste Vision zu kristallisieren.)
ls Geraldy einen Augenblick abseits eine Flasche Wein
entt
frug mich Bidou, wann endlich „Robert und Marianne“
e,
inhardt gespielt werden würde. „Je trouve lä l’idee
ini
ie admirable. Que le plus fort est un faible!“ „Wir
en eben“, fährt Bidou zu Geralby fort, „von Ihnen. Ich
glaube aus allem, was ich von Ihnen kenne, zu entnehmen,
daß Sie zu jenen Schaffenden gehören, die unter Hemmungen
produzieren. Die es sich schwer machen?" „Gewiß, lächelt
Geraldy, „und nun will ich auch Ihnen die Tagik des
Schriftstellers in eine Formel bringen! „Un ecrivain est un
homme pour qui ecrire est plus difficile que pour un
autre.“ Ein Schriftsteller ist ein Mensch, für den Schreiben
schwerer ist, als für irgendwen.“
Bei Colette.
Colette ist die größte Prosaschriftstellerin des modernen
Frankreich. Wie Lasontaines Fabeln, so werden ihre Schil¬
derungen, aus dem Tierleben, werden diese köstlichen Gemmen
einen bleibenden Platz in der Weltliteratur einnehmen. Gerade
Beauvallon gegenüber liegt Saint=Tropez. Colette besitzt unsern des
Städtchens ein altes, provenzalisches Haus; einen wilden Garten
und Weinberge, die bis an das Meeresufer reichen. Dort lebt sie
das Leben ihrer Kindheit. Wenn man Colettes autobiographische
Romane liest: „Claudine“, das Buch ihrer Jugend, und „La
Vagabonde“, die tragische Schilderung ihres Frauenlebens, dann
offenbart sich ein Schicksal, das Himmel und Hölle durchwandert
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Nach Südfrankreich, über Arles, Avignon, Marseille, dann
über Toulon nach Saint=Rafael. Die „Grande Ligue“ geht weiter.
Meutone, Nizza, Monte Carlo. Riviera, die der Gesellschaft
bekannt ist. Allen Leuten, die gerne Roulette spielen und sich
amüsieren wollen. In Saint=Rafael steigen doch viele aus. Denn
auch da ist ein kleiner Spielsaal. Und ein eleganter Strand.
Wenige aber verlangen dort den Expreßzug, um (sei es mit einer
kleinen Zweigbahn, der gegenüber die Lokalbahn Salzburg—Ischl
ein Luxuszug ist, sei es mit dem Auto) nach Beauvallon zu fahren.
Heute ist dieser zauberhafte Gartenstrand erst im Erblühen. Hat
noch seine Unberührtheit bewahrt. Heute noch? Schon weiß
Elite der Globetrotter, daß in dieser fjordartigen Bucht ein
reizendes Hotel gebaut wurde, weil der schönste Golfgrund sich
über die Hügel von Beauvallon breitet. Sie weiß, daß dort
in nahen Orten, wie Saint=Maxim, oder am anderen Ufer,
Beauvallon gegenüber, dem alten Fischerstädtchen Saint=Tropez,
eine andere Elite ihre Hütten gebaut hat. Berühmte Autoren und
Schriftsteller, große Maler und Architekten. Auch Schauspielerinnen
von Namen, die um diese Lichtquellen flattern. Jedes Jahr ver¬
größert sich der Kreis der vornehmen Kibitze.
Nur ein einziges Hotel. Aber Menschen, die sich heimisch
machen wollen, sind an der Arbeit, Beauvallon in eine Home¬
Kolonie zu wandeln, die dem kulturlosen Beispiel der Villengreuel
in Juan=les=Peins und anderen fashionablen Rivieraorten ein
künstlerisches Gegenbeispiel werden soll. Zum Teil aus der
Bautradition der Provence entwickelt, zum Teil aus dem heißen
Dreiklang von Himmel, Meer und Südsonne die Bauart der
marokkanischen Häuser nachempfindend, schmiegen sich diese „Villone“
dem Strand oder auf den mimosen=blühenden Hügeln intensir
jenem Stil an, der mit dieser Natur und alten Bräuchen
harmoniert.
So hell ist die Mondnacht, daß ich, als Paul Geraldy,
der mich in Saint=Rafael mit seinem Auto abgeholt hatte, in
raschem Schwung den Hügel hinauffuhr, die reizvolle und zart
nach innen gebogene Linie seines Hauses deutlich sah; an der
Fassade die schlanken Säulen, darüber die keusch zurücktretende
Loggia. Die konkave Kurve des flachen Daches, all dies Musik
einer Architektur, die ich wie eine Ouvertüre zur grandiosen
Symphonie des Südens empfand. Eben erst hat Paul Geraldy
sein Heim vollendet. Die weißgetünchte Halle, nach Sitte des
Landes zugleich Speise= und Wohnraum, von der eine weiße
Marmorstiege zu den oberen Räumen aufsteigt, ist noch nicht
ganz eingerichtet. „Ich habe“, sagte Geraldy, „wohl schon
lange diese Landschaft geträumt. Und als ich vor drei Jahren
zum erstenmal herkam, da war es mir wie eine Erfüllung. Meine
Weltanschaaung, das Ideal, dem ich als Dichter zustrebe, die
Harmonie, aus deren Klang mir meine Werke werden, hier fand
ich das alles bestätigt. Ich hasse jede Wirrheit, Finsternis, Hä߬
lichkeit, Ungebändigtes, selbst wenn es mächtig ist. Ich will den
Menschen Freude geben. Auch dann, wenn ich ihnen Trauer,
Schmerz, Erschütterung nicht verbergen kann. Immer soll Maß
und Klarheit darüber schweben. Hier schrieb ich den ersten Akt
von „Robert und Marianne“. Und wenn Carrier sagt: „Alles
bezauberte mich. Diese wieder heidnisch gewordene Welt, diese
Freiheit in Kleidung und Bewegung. Dieser Männer, dieser
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Körper, der sommerliche Luxus, das Meer, der so moderne
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habe ich ihm mein eigenstes Erleben aussprechen lassen.“
Ich lernte diese wieder heidnisch gewordene Welt gleich den
nächsten Morgen kennen. Automobile rasen die Straße am Meere
entlang. Alle Insassen sind im Badekostüm. Es ist Sitte, bei
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von Beauvallon entfernt, ein marokkanisches Landhaus,
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die Bedeutung, den Wert, die verführerische Lockung des Kritiker¬
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„Ich liebe meinen Beruf leidenschaftlich
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oujours les portraits des enfants des autres.“ (Der Kritiker
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wir, die Schaffenden, so selten für uns Fruchtbares einer Kritik
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aussi bi Ne pas corriger l’oeurre. Ce n’est pas la
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Stückes, über das man zu urteilen hat. Das, was
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glühen zu lassen. Man soll ein Werk nicht ausbessern
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as ist nicht die Aufgabe des Kritikers. Sondern man
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es Schaffenden, dessen erste Vision zu kristallisieren.)
ls Geraldy einen Augenblick abseits eine Flasche Wein
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Colette ist die größte Prosaschriftstellerin des modernen
Frankreich. Wie Lasontaines Fabeln, so werden ihre Schil¬
derungen, aus dem Tierleben, werden diese köstlichen Gemmen
einen bleibenden Platz in der Weltliteratur einnehmen. Gerade
Beauvallon gegenüber liegt Saint=Tropez. Colette besitzt unsern des
Städtchens ein altes, provenzalisches Haus; einen wilden Garten
und Weinberge, die bis an das Meeresufer reichen. Dort lebt sie
das Leben ihrer Kindheit. Wenn man Colettes autobiographische
Romane liest: „Claudine“, das Buch ihrer Jugend, und „La
Vagabonde“, die tragische Schilderung ihres Frauenlebens, dann
offenbart sich ein Schicksal, das Himmel und Hölle durchwandert
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von diesem
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