I, Erzählende Schriften 30, Casanovas Heimfahrt, Seite 37

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asanovas Heinfahrt
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CE Maan
„XVII. 1
Deutsche Rundschau, Berlin
Noch während des Krieges nahm sich Arthur Schnitzler die Fxeiheit, eine
Novelle, „Casanovas Heimfahrt“!), hekäulszugeben, womit wohl gesagt sein
sollte, daß der alte Glücksritter und Frauenjäger vermittelst seiner unerschütterlichen
Tatsächlichkeit imstande war, einen würdigen Leser schweren Stunden des Leids
und der Sorge zu entrücken. Wenn dieses Geschenk also einen freimütigen Dank
bedeutet, so haben wir zugleich eine Opfergabe von edler Bildung empfangen, ein
überaus wohlgeratenes Stück deutscher Prosa, das in haltbarster Form zu dauern
verspricht. Die vornehme Kunstform der Novelle war uns ja wie manche andere
Aberlieferung verloren gegangen; der Naturalismus hatte sie zur bloßen Beobachtung
plattgetreten, der Impressionismus sie in psychologische Pünktchen aufgelöst, und
der Expressionismus, der überhaupt nicht erzählen kann, machte aus den Scherben
ein bizarres Gefäß für seine brunsterregenden Rauschgetränke. Schnitzler stellt
Maß und Rhythmus der ebenmäßig fortschreitenden Erzählung wieder her, ohne
wie andere Erneuerer die Muster der Kleist. Tieck, Cervantes um eine chronik¬
artige Simplizität zu beleihen, die wir einmal verloren haben, und so braucht er
auch nicht die Mitwirkung der psychologischen Analyse zu verhehlen, die wir
Modernen zu keiner Rechenschaft mehr entbehren können.
Mit einer zwanglosen, auch gegen Casanova selbst behaupteten Freiheit und
Eigenart, mit einer edlen Geläufigkeit des Satzes, die in gesunder Atemverteilung
zum lauten Lesen förmlich auffordert, wird uns das letzte dem alternden Glücks¬
ritter geschenkte Abenteuer erzählt. Wie der umhergetriebene und gerupfte Nach¬
fahre des eigenen Nuhmes auf der demütigenden Heimkehr in die Vaterstadt ein
junges Mädchen kennen lernt, das von seinem Zauber nichts mehr weiß; wie er
die schöne und kluge Marcolina in einem unwürdigen Handel ihrem Geliebten
abkauft, wie er den glücklichen Rivalen tötet und den Toten doch sehnsüchtig be¬
wundert als das, was er selbst gewesen ist, als die unverschämt siegesgewisse,
frech überzeugende Jugend. Wer aber die Novelle richtig liest, der wird nicht
nur von einem romantischen Abenteuer Ker# is nehmen, das der große Frauen¬
jäger zur Bereicherung seines Kontos gewin nicht braucht, sondern es wird ihn
vor allem die Tragik des alternden Mannes anrühren, der seine Rolle sich selbst
nachspielen muß. Dieser Casanova könnte schließlich ein Mime, ein Künstler, ein
Doet sein; denn er wird alles, was Abrüstung, Abstieg, Abschied bedeutet und
die traurige Heimfahrt nach jenem dunklen Tor, vor dem die Zypressen stehen.)
So sagt diese Geschichte, obgleich vor jeder Verallgemeinerung gehütet, mehr als
in ihr gesagt wird; sie wächst in der Empfängnis des Lesers über sich selsst
hinaus, und ihre reine kunstmäßig gebundene Form schmückt sich mit dem mglan¬
cholisch edlen Schein der Dinge, die in der eigenen Schönheit zu ruhen bestimm sind.
Arthur Elogsser.
1) Berlin, S. Fischer. 1919.
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