I, Erzählende Schriften 30, Casanovas Heimfahrt, Seite 38

30. Casanovas Heinfahrt
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Die Dichter von 1900.
Von Karl Georg Wendriner.
Gerhart Hauptmann: „Der Ketzer von Soana“ (Verla## Fischer, Berlin). — Clara Viebig: „Töchter
der Hekuba“ (Verlag Egon Fleischel & Co., Berlin). — Rirarde Huch: „Luthers Glauben“, „Der Sinn
der Heiligen Schrift“ (Insel=Verlag, Leipzig). — Hermann Hesse: „Märchen“. — Emil Strauß: „Der
Spiegel“. — Peter Altenberg: „Mein Lebensabend“. — Arthur Schnitzler: „Casanovas Heimkehr
nach Venedig“ (Verlag G. Fischer, Berlin).
□m Herbst 1889 begann die letzte Epoche deutscher
Heute wissen es alle, auch die jüngsten, mit denen wir
O Literaturgeschichte. Dichtungen des Auslands, die
in unserer Bewunderung für Rilke und Werfel eins sind:
daß er unser Größter ist.
Dramen Ibsens, die Romane Zolas, die Kunst der großen
Russen hatten den Weg gewiesen. Die „Freie Bühne“
Houptmanns „Der Ketzer von Soana“, im letzten
brachte die Erstaufführung der sozialen Tragödie „Vor
Kriegsjahre erschienen, steht nicht am Ende seiner Ent¬
Sonnenaufgang“ und entdeckte Gerhart Hauptmann.
wicklung. Der Dichter erzählt, daß er die Novelle unter
Wir, die Söhne der achtziger Jahre des neunzehnten
alten Papieren fand, sie nur für sich drucken ließ und
Jahrhunderts, haben Hauptmanns „Einsame Men¬
von seinen Freunden bestimmt wurde, sie zu veröffent¬
schen“ heimlich gelesen, da wir Gymnasiasten waren,
lichen. Hauptmann hat uns Persönlicheres geschenkt.
wir haben seinen „Michael Kramer“ als Studenten in
Aber er hat nie ein im Aufbau, in der Form vollendeteres
unserer Tasche getragen und sind nie irre geworden
Kunstwerk geschaffen. Wie ein antiker Tempel, ausgegraben
in unserer Liebe zu dem Dichter der „Weber“. Eine
aus griechischer Erde, errichtet der Gottheit aller irdischen
neue Generation wuchs heran. „Hauptmann ist tot“,
Fruchtbarkeit, baut sich die Dichtung auf. Kunstvoll wird
schrie sie uns ins Gesicht. Stefan George, Rainer
die Novelle in eine Rahmenerzählung eingeschlossen, ver¬
Maria Rilke, Heinrich Mann wurden auf den Schild
schwimmen zum Schluß Dichtung und Wahrheit, Erzählung
erhoben. Der Krieg zog durchs Land. Die Menschen
und Erleben ineinander, gleichsam die göttliche Reinheit
starben in den Schützengräben und in der Heimat. Und
des Geschehnisses offenbarend. Die Menschen und die
die Überlebenden suchten nach einem Dichter, in dessen
Tiere, die Wiesen und die Steinwerke der Bildhauer werden
Worten sie Trost finden konnten für das Unfaßbare ihres
in dieser Dichtung zu Symbolen irdischer Sinnlichkeit,
Erlebens, ihrer Trauer. George? Heinrich Mann? Frauen,
göttlicher Fruchtbarkeit. Die Ziegen schleppen ihre Euter
deren Söhne und Brüder vor Verdun, an der Somme
schwer hinter sich her, die schreienden Fischadler kreisen
gefallen waren, entdeckten den „Emanuel Quint“. Und
hochzeitlich über den Felsen, die gelben Wiesenhlumen
erlebten Gerhart Hauptmann wie ein neues Wunder, stürmen gegen die verrufene Schwello des blutschänderischen
Reclams Universum
Leipzig
3771 1519