I, Erzählende Schriften 30, Casanovas Heimfahrt, Seite 40

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asanovas Heinfahr
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trug und die schmählichste Bestechung, indem er
die Notlage des Jüngeren, der für eine Spiel¬
schuld sein Ehrenwort verpfändet hat, ausnutzt,
ihm das von diesem Rollentausch nichts ahnende
Mädchen für ein paar Stunden abkauft, immer
noch in der eitlen Hoffnung, die Betrogene
werde dies Quiproquo, wenn sie ihn erkenne,
mit Jubel und Entzücken gelten lassen. Statt
dessen muß er am Morgen in ihren von Ent¬
setzen und Verachtung erstarrten Augen lesen,
daß sie in ihm nur den palten Mann= sieht, der
sich in dieser Nacht mit List gegen Vertrauen,
mit Lust gegen Liebe, mit Alter gegen Zugend
namenlos und unsühnbar vergangen hat. Da
fühlt er sich gerichtet und abgetan. Der nächt¬
liche Zweikampf, den er dann noch, nackt Mann
gegen Mann, mit dem ihm auflauernden Lo¬
renzi auszufechten hat, ist nur noch eine äußere
symbolische Vollstreckung dieses Urteils: zwar
sticht Casanova den jungen Offizier nieder und
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entkommt ungestraft nach Venedig, aber der da
tot auf dem Rasen liegt, das ist eigentlich er,
Vestermanns Monatshete, Braunsel
der Casanova von einst, ist seine Jugend, sein
Glück und sein Glanz, seine Ritterlichkeit und
Osrthur Schnitzler hat als Dramatiker
sein Ruhm. Hatte er doch gleich bei der ersten
T wie als Röbemnst kange geschwiegen. Gleich
Begegnung in Lorenzi sein eignes um dreißig
fals hätte er sich mit seinem Ich in diesen Schick¬
Jahre verjüngtes Bild erkannt. Bin ich etwa in
Lalsjahren unsers Volkes nicht hervorgewagt,
seiner Gestalt wiedergekehrt? hatte er sich bei
Fals hätte er gefühlt, daß er uns jetzt nichts zu
seinem Anblick gefragt. Aber nein, da müßte
Ksagen habe. Auch wenn er nun mit einer län¬
ich doch vorher gestorben sein! Und es durch¬
igeren, fast einen Romanband füllenden Novelle
bebte ihn: Bin ich's denn nicht seit lange? Was
hervortritt, mag er auf die Maske nicht ver¬
ist denn noch an mir von Casanova, das jung,
zichten. „Casanovas Heimfahrt= (Ber¬
schön und glücklich war? ...
lin, S. Fischer) — das ist kein symbolischer Titel
Hier liegt die Angel seiner Schuld und Tragik,
für eine Liebesgeschichte aus dem heutigen Wien,
daß er trotz dieser Erkenntnis sich gegen den
nein, was da erzählt wird, hat wirklich den be¬
Willen der Natur auflehnte und zu ertrotzen
rühmten Abenteurer, Glücksritter und Frauen¬
oder zu erlisten suchte, was sie dem Alternden
verführer Jakob Casanova, Chevalier de Sein¬
verweigerte. Oder vielmehr: hier hätte die
galt, zum Helden. Zum Helden? Ist es noch
Angel liegen müssen, wenn Schnitzler es ver¬
ein Held, der sich da als Dreiundfünfzigjähriger
ssucht hätte, eine Novelle mit innerer Handlung
auf gestrandetem Boot in den Hafen einer Al¬
und seelischer Verknüpfung zu geben. Aber so
tersversorgung zurückzieht und nicht mehr so
hoch ging diesmal sein Chrgeiz nicht. Er glaubte
viel Stolz aufbringt, den Antrag seiner Vater¬
sich mit einer „Novelle= im altitalienischen
stadt Venedig, die ihn einst in die Bleikammern
Sinne des Wortes begnügen zu solle, die ihre
sperrte, auf einen kümmerlich belohnten Spionen¬
Erfüllung in dem geschickten Vortrag einer =sich
und Spitzeldienst abzuweisen? Moralisch gewiß
ereigneten unerhörten Begebenheite sucht. Ja,
nicht. Aber vielleicht ein Mann und Held in
der Vortrag ist ihm scheinbar die Hauptsache.
andrer Beziehung? Ja, ehe er sich hinter
Manchmal geht die Zeitflucht des Stils, die
den Ofen duckt, rafft er, vom Glück begünstigt,
Verleugnung des eignen Selbst in Sprache und
wie stets im Leben, noch einmal alle seine ver¬
Satzbau so weit, daß man — wenn die Namen
führerischen Künste zusammen, um im Liebes¬
und Zeitumstände des 18. Jahrhunderts nicht
wettstreit um ein scheinbar ebenso unschuldiges
wären — an eine Übersetzung aus Bandello oder
und schönes wie frommes und kluges junges
Boccaccio denken möchte. Vielleicht trägt schon
Mädchen über einen glänzenden Offizier von
der umständliche, verwickelte Periodenbau, die
zwanzig zu triumphieren. Und wirklich, es erkünstelte epische Gelassenheit Schuld daran,
gelingt ihm, während einer Nacht Lorenzis daß uns alles, was sich da zuträgt, trotz der
Stelle zu vertreten — aber mit welchen Mitteln äußeren Spannung, die es erregt, so fern und
und auf welchem Wege! Nicht mehr durch den
so fremd bleibt. Schließlich aber ist es doch
einst so unwiderstehlichen Zauber seiner Persön= die deutsche Sprache, in der dies geschrieben,
lichkeit, sondern durch den jämmerlichsten Be= ist es ein deutscher Schriftsteller, der es, wie er