I, Erzählende Schriften 30, Casanovas Heimfahrt, Seite 39

Casanovas Heimfahrt
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Die besonders gut gelungene, sorgfältiger einmal jung sein —! Doch, man war's ein=n
nal! —
durchgearbeitete und geistig belebtere erste Hälfte
Die Novelle ist in einen sorglich gefeilten Stil
des Romans charakterisiert mit einer heutzutage
gegossen; wie in einer, geschliffenen Schale sind
allzu seltenen, wohltuenden Nüchternheit die
Spiel und Gegenspiel gemischt und in Farben
patriotische Kriegsbegeisterung ebenso wie das
getaucht, die abendliches Leuchten sind. Ita¬
Treiben kommunistischer Revolutionäre als
lienische Landschaft und südliches Leben sind so
einen nahezu pathologischen Rauschzustand. An
wahr und wach gebildet, daß man sich wohl den¬
der Heilung des immer weiter und gefährlicher
ken kann, der Dichter sei an Ort und Stelle ge¬
sich ausbreitenden „Weltrausches“ mitzuarbeiten,
wandelt, und sein Held an seiner Seite: er sei
erscheint dem Verfasser heute als die heiligste und
selbst unter den Kastanienbäumen gesessen vor
dringendste Aufgabe jedes Mannes der sich sei.
des Grafen Marazzani altem Schlosse; sei in
nen klaren Kopf und lauteren Willen bewahrt
Marcolinas Nachtgemach gestiegen, habe mit
hat.
Lorenzi spielend und tödlich die Klinge ge¬
Kluge Worte von erfreulicher Deutlichkeit fal¬
ist eine schöne Kunst der Darstel¬
kreuzt.
len über Krieg, Sieg und äußeres Heldentum,
lung, die selbst Zynismus und Lüsternheit noch
über jede Art von Rausch als einen verächtlichen
adelt.
Rückfall in die tierische Epoche des Menschen¬
Das ist die Tragik dieses letzten Abenteuers,
tums, über die militärischen Machtanbeter wie
daß Casanova, der Held der Liebe, die Liebe
über die kommunistischen Weltverbesserer und das
schändet. Wie in einem venezianischen Maslen¬
vom Geldrausch besessene Schiebertum. Manche
spiel erschleicht er im Dunkel der Nacht den Ge¬
sind als scharfe Sentenz geprägt: „Alle Freiheit
nuß der jungen Schönen, in der vertauschten
ist nur ein Streben, kein Zustand“ „Man führt
Rolle des jungen Liebhabers, den er dann nieder¬
den Krieg der Worte im Plakatstil, das ist das
streckt. Alter hat sich gegen Jugend unsühnbar
Verderben.“ „Der ärgste Tyrann, der böseste,
vergangen. Im letzten Abenteuer enthüllt sich
menschenfressende Moloch ist der Begriff der
Casanova die Erkenntnis, daß Glanz und
trennenden Grenze.“ „Eine Revolution kann
Triumph Larve und Lüge gewesen. Sein eige#
auch eine Reaktion sein und die Kultur zurück¬
nes klägliches Spiegelbild speit ihm die Nidge¬
schlagen.
lage ins Gesicht. Dr. E. Hohenstattee
Es wäre zu wünschen, daß dieses aufrechte,
Jvachim Delbrück: Spiel in MollEin
verständige Buch als eine Mahnung zur Selbst¬
Chopin=Roman. Verlag von Ullstein & Co.,
besinnung in die Hände recht vieler Berausch¬
Berlin 1919.
ter“ fällt. Zuweilen kann auch ein Roman der
nicht begeistertsondern nür ernüchtert. Gutes
Künstler=Romane, die um historische Persön¬
K. M.
lichkeiten geschrieben werden, genießen mit Recht
Mißtrauen. Gebunden durch geschichtliche Tat¬
adas Heim¬
sachen, wie sie von den Forschern aufgestapelt;
Se, Bertin 1919).
TR
werden, den Blick getrübt durch Anekdoten, worin
der „Deutschen Rundschau“
Im Oktob
Stimmungen nervöser Erregungen, skurrile
n Schnitzlers „Die Schwe¬
berden Lust
Eingebungen dämonischer Künstlerlaune, die
eit übergeben. Anmutig
stern“ der L
mit dem Augenblicke verfliegen, zu typischen
uer Casanovas und die
ersteht ein
Eigenschaften des Künstlers geprägt werden,
Seligkeit wie Casanovas
Rede ist erf
bringen die Verfasser entweder ein mühselig Ge¬
int sich in letzter Zeit mit
Leben. Schnitz
stammel notdürstig verbundener Einzelheiten zu¬
s zu beschäftigen man er¬
dem Stoffe bes
sammen oder aber phantastische Schilderungen,
e Beziehungen zwischen dem
kennt auch
deren Gegenstand mit dem Künstler nur den
lle. Casanova wird in
Lustspi
Namen gemein hat. Die Abwesenheit dieser
scharfen Zügen,
hnlich, mit
beiden
Merkmale erhebt Delbrücks Chopin=Roman
Im Lust¬
swert, geze
nicht
Spiel in Moll weit über die greulichen Bei¬
schil¬
a in seine
epiel
spiele dieser Art von Künstlerromanen, die zu¬
mit
ovelle der ge¬
dert,
mal über Musiker verbrochen worden sind. Es
des
und tiefen Fal
bösen
ist Delbrück erstannlich gut gelungen, die Ergeb¬
aber
ermatteten, ergrauten Liebl
nisse der Chopin=Forschung — gewissenhaft führt
ars,
auch durch das Lustspiel in der
er die benützten Werke am Schlusse seines
und schließlich kann man als Motto beider
Werke nebmen die Worte des Spiels: „Noch Buches auf — in die dichterische Form des Ro¬
3c 1. 1919
Mtachener Neueste Nackreiten
München
I L 14 -# 10
Seielisches Contralbiat, Loinzlc
Geschichtliche Romaneund Erzählungen.
zlerAArthur, Casanovas Heimfahrt. Novelle. Berlin,
1918—8. Fischer. (171 S. 8.) „4 4, 50; geb. 4 6, 50.
Eine gewisse Aehnlichkeit zwischen Anatol und Casanova
hat für die Schnitzlerkenner immer schon bestanden. Auch
hatte man das bestimmte Gefühl, daß der Wiener Anatol
sich in seinen späteren Jahren zu einer Art Casanova durch¬
gelebt und durchgeliebt hätte, wenn er nicht doch von einer
anderen Rasse und Kultur und wenn er in einer anderen
als der Wiener Umwelt geboren worden wäre. Casanovas
Blut floß in des jungen Anatols Adern und so erscheint
es auch begreiflich, daß Schnitzlers dichterisches Schaffen an
einer so ausgeprägten Persönlichkeit, wie es Casanova war,
nicht vorübergehen konnte. Die vorliegende, fesselnd ge¬
schriebene Novelle, die uns von dem 53jährigen Casanova,
von dessen Heimreise von Mantua nach Venedig und von
den Schicksalen der schönen Marcolina und des jungen Leut¬
nants Lorenzi erzählt, wird manchen Leser nur gegen das
Ende zu nicht vollkommen befriedigen. Es macht hier den 1
AU WI
Eindruck, als ob die Gestalt Casanovas plötzlich aufgehört
hätte den Dichter zu interessieren, doch das mag vielfach
Empfindungssache sein. Wie dem auch sei, das jüngste Werk,
Schnitzlers bedeutet in seinem Schaffen einen erfreulichey“
Merkstein.
Rudolf Huppert.)