I, Erzählende Schriften 30, Casanovas Heimfahrt, Seite 45

Casanovas Heimfahrt
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Neues vom Büchertisch#
Von Dr. Paul Weiglin
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Arthur-Schnitzler: Casanovas Heimfahrt (S. Fischer, Berlin) — Peter Ber¬
gell: Die nke=Landgräfin (Mar Hesse, Berlin) — Ludwig Diehl: Wilphilde
(Strecker & Schröder, Stuttgart)
— Werner Jansen: Gudrun (Georg Westermann,
Braunschweig) — Peter Michel: Die Geschichte von der Butter (Albert Langen,
München) — Erich Marcks: Männer und Zeiten (Quelle & Meyer, Leipzig)
ANTRUETUTTN
GTechtRISEFErDLEEBREESSSSEHEHEEERERSEHSERSLSERDEGFETREA
Bancher Leser wird die neue Schnitz¬
Scheidens, und der Abschied ist es, der auch
AIlersche Novelle „Casanovas
den Vorwurf dieser Novelle bildet, freilich
)Heimfahrt mit einem Ge¬
nicht der Abschied von der Geliebten — wie
misch von Bewunderung und Wi¬
käme ein Mann wie Casanova dazu, eine
derwillen aus den Händen legen.
solche Alltäglichkeit ernst zu nehmen?
Es wird ihm gehen wie dem Geschichtsfor¬
sondern der Abschied vom Leben mit all
scher, der eigentlich immer noch nicht weiß,
seiner Fülle.
was für ein Mensch der venezianische Aben¬
Schnitzlers Casanova steht im dreiund¬
teurer gewesen ist. War er nur ein verwe¬
fünfzigsten Lebensjahr. Längst jagt ihn
gener Glücksritter und begabter Hochstapler?
nicht mehr die Abenteuerlust der Jugend,
Oder zählt er zu den ergreifenden Gestalten
sondern die Ruhelosigkeit nahenden Alters
der Ruhelosen, der Ewig=Unbefriedigten?
durch die Welt. Seit einem Vierteljahr¬
Darf er sich den Don Juan und Faust als
hundert, seit der berühmten Flucht aus den
verwandten Schlages gesellen oder ist er ein
Bleikammern, ist er aus seiner Vaterstadt
durchtriebener Erzschelm? Ist er mit seinen
verbannt, aber mit wachsender Inbrunst
Vorzügen und Lastern der Ausdruck eines
sehnt er sich nach der Heimfahrt und wartet
unendlich reichen, aber innerlich verfaulten
ungeduldig in Mantua den Bescheid auf eine
hrhunderts, oder wandelt er bloß als
erneute Eingabe an den Rat von Venedig
eine sonderbare Mißgeburt über die Bühne
ab. Er ist ein herabgekommener Schlucker
seiner Zeit? Die vielbändigen Erinnerungen
geworden, der von Almosen oder vom Glücks¬
Casanovas geben auf diese Fragen keine un¬
spiel lebt und dem es wie ein höchstes Glück
zweideutige Antwort. Sie sind berüchtigt
erscheint, in der Vaterstadt „als der geringste
als lasterhaft und erschrecken in der Tat
ihrer Bürger, als ein Schreiber als ein
durch die völlig ungeistige Art, mit der der
Bettler, als ein Nichts — sein einst so pran¬
gealterte Verfasser die unabsehbare Reihe
gendes Dasein zu beschließen“. Der Lebens¬
seiner Liebesgeschichten überblickt. Und den¬
künstler von ehedem ist ein Grillenfänger
noch stehlen sich in die Erzählung, welche
geworden, der ein paar Liebeshändel ohne
auf lange Strecken wirkt, als habe sie ein
Vergnügen und nur nach alter Gewohnheit
Prahlhans in der Kunst der Liebe oder viel¬
betreibt und dem die Welt sinnlos und wider¬
mehr der Lust geschrieben, andere Töne, die
wärtig erscheint. Da kreuzt Herr Olivo sei¬
uns aufhorchen lassen, wenn wir der Bett¬
nen Weg, ein alter Bekannter, dessen Glück
abenteuer des Helden müde werden. Es
er vor sechzehn Jahren begründet hat. in¬
sind Töne unbändiger Lebensfreude und
dem er der Schwiegermutter des guten
verhaltener Schwermut, vor allem aber einer
Mannes, nachdem er sie und ihre Tochter
oft
großartig wirkenden Unbefangenheit.
sehr genau und doch nur flüchtig kennen ge¬
Und diese Töne hat Arthur Schnitzler ver¬
lernt, hundertfünfzig Goldstücke zur Aus¬
nommen, als er seine Novelle schrieb.
steuer des jungen Paares spendete. Er folgt
Anderes, Wienerisches, Schnitzlersches kam
der freundlichen Einladung Olivos auf sein
hinzu, um diesen Eindruck zu vertiefen. Man
Landgut, um sich dort einige Tage des War¬
hat in einem Gassenhauer die Stimmung
tens zu verkürzen. Amalie, Olivos Gattin,
der Donaustadt ausgedrückt gefunden: „Es
empfängt ihn mit den zärtlichsten Gefühlen,
wird schöne Madeln geben, und wir werden
aber er achtet ihrer nicht, denn schon der
nimmer leben.“ In diesen platten Worten
Name Marcolinas, einer Nichte Olivos, er¬
finden sich Daseinslust und Abschiedsweh zu
füllt seine Einbildung mit heißen Wünschen,
einem gefühlsseligen Einklang, und dieser¬
und als er das zierliche Mädchen sieht, packt
Einklang beherrscht weithin auch das Schnitz¬
ihn die fieberhafte Sehnsucht, es zu besitzen.
lersche Schaffen. Die Lust ist angekränkelt
Der stürmische Sieger in unzähligen Liebes¬
von Todesfurcht, versüßt von Todessehnsucht.
schlachten stößt auf Widerstand. Marcolina
Der Dichter liebt die weichen Spätsommer¬
pflegt eine so wenig weibliche Liebhaberei
abende, in deren laue Luft ab und zu be¬
wie höhere Mathematik, und als ihr Herr
reits die Schauer des kommenden Heröstes
Casanova, Chevalier von Seingalt, vorge¬
stoßen. Schildernswerter als die truntene
stellt wird, lächelt sie nicht anders, als wenn
Wonne des Sichfindens zweier Liebenden
man ihr irgendeinen gleichgültigen Namen
erscheint ihm die schmerzliche Wollust des genannt hätte, in dem kein Klang von Aben¬