I, Erzählende Schriften 30, Casanovas Heimfahrt, Seite 47

30.
Casanovas Heimfahrt.
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Sanunean Man 1.
106 sDr. Paul Weiglin: 88880
Gesinnung haben ihn gereizt, sie einer „Hi= oder gar eine Anleitung, wie sie am besten
storie“ zugrunde zu legen. Er will an der einzurichten sei. An mehr als einer Stelle
Hand dieses einzigartigen geschichtlichen Bei= betont der Verfasser, daß es sich hier um
spiels ergründen, ob es möglich sei, daß eine einmalige Begebenheit handle, die in
die Seele eines Mannes gleichzeitig zwei der Weltgeschichte nicht ihresgleichen finde,
Frauengemüter erfüllt, so daß zwei „syn= und sicher ist er mit Luther der Meinung,
chrone glückliche Einehen mit allen den wun¬
daß die groben Bauern dem Exempel nicht
derbaren ethischen Vorzügen der Monogamie
zu folgen haben. Um so drolliger wirkt es,
erfolgreich dahinfließen“. Er berichtet nun wenn er sich in seiner Liebe zum Gegenstand
mit urkundlicher Genauigkeit die zahlreichen
vergißt und in staunender Bewunderung
Schwierigkeiten, die sich Philipps Plan ent¬
vor Christines großherzigem Entschluß aus¬
gegenstemmen, und wie er es endlich doch
ruft: „Eine jüngere und kühnere Sarah war
erreicht, das Fräulein Margarete von der
in der deutschen Fürstin erstanden, vielleicht
Sale als zweite, mit der ersten gleichbe¬
ein Vorbild, späteren Generationen den Weg
rechtigte Gattin heimzufuhren. Casanova
zu weisen zu höherer menschlicher Vollen¬
würde nie begriffen haben, wie ernst Philipp
dung.“ Von den Kämpfen, die dieses „Vor¬
von Hessen die Angelegenheit nimmt, und
bild“ geschaffen, erfahren wir kein Wort.
es spricht wirklich für den sittlichen Gehalt
Bergell hat nach der Vorrede das Buch aus
des Mannes, daß er in zähem und klugem
rein stofflichen Gründen geschrieben, um des
Ringen den Widerspruch geistlicher und welt¬
Sittenbildes willen, das sich da, unabsichtlich
licher Gewalten zum Schweigen brachte.
fast, ergab. Auf geschichtliche Treue kommt es
Seltsam berührt uns heute das sittsame
dem Verfasser vor allen Dingen an, auch in
Mäntelchen, das der Landgraf sich umhängte
der Sprache. Er führt deshalb nicht nur aus
und das auch in Luthers Augen seine Blöße
Briefen und Urkunden wörtlich an, sondern
deckte. Seine eine Ehe befriedigt ihn nicht;
sprenkelt auch seine eigene Sprache mit früh¬
um sich und seine Seele aus einem Lotter¬
neuhochdeutschen Brocken, ein nicht unbedenk¬
leben zu retten, schließt er die zweite. Der
liches Verfahren, denn dieser gemischte Stil
kühne Schritt hat Erfolg. Die zweite Ehe,
läßt den Leser in Unsicherheit darüber, ob er
die in rei er Liebe, aus „bewegenden Ur¬
es mit einem Werk gelehrter Forschung pdey
sachen“, nicht aus bloßer Brunst geschlossen
schöpferischer Dichtung zu tun hat.
wird, reinigt die erste, und glücklicher als
Einen geschichtlichen Roman nach demt
alttestamentarische Vorbilder findet Philipp
bewährten Muster von Hauff und Scheffel
auch den äußeren Rahmen, in dem sich seine
hat ein neuer Mann namens Ludwig
Doppelehe abspielt: getrennte Haushaltun¬
Diehl geschrieben. Die Erzählung, wie sie
gen, zwischen denen er in längeren Zeit¬
sich bescheiden bezeichnet, heißt Wilp¬
räumen wechselt, weil die schnelle Umschal¬
hilde und spielt in Oberschwaben zur
tung der Empfindungen die Seele verbraucht.
Zeit Konradins, des letzten Hohenstaufen.
Bergell bewundert den Landgrafen. Er
Diehls Erfindungsgabe ist nur schwach. Was
schreibt seinem Herzen eine sonderlich starke
sich auf den 300 Seiten seines Buches er¬
Liebesfähigkeit zu, die sich auf zwei verschie¬
eignet: Turnier und Römerzug, Fehde zwi¬
dene Wesen mit gleicher Innigkeit einstellen
schen Rittern und Städtern, dazu ein bi߬
konnte. Was der Leser vermißt, ist freilich
chen Liebe, hält sich ganz in den überlieferten
die Hauptsache. Der Mann steht in dieser
Formen der Geschichten, die im „Jugend¬
dreieckigen Geschichte scharf umrissen vor
freund' das Entzücken unserer Knabenjahre
uns. Die Frauen dagegen verschwimmen
bildeten. Wenn das Buch trotzdem an dieser
in einem ungewissen Dämmerlicht. Wie sie
Stelle empfohlen wird, so geschieht das Vor¬
sich mit der Doppelehe abgefunden haben,
zügen zuliebe, die selten geworden sind, ob¬
erfahren wir nicht. Zu offenem Zwist ist
wohl sie selbstverständlich sein sollten: es ist
es freilich nicht gekommen, und als Philipp
deutsch und es redet deutsch. Der Verfasser
von Karl V. in harter Haft gehalten wurde,
liebt sein Vaterland und seine Geschichte.
haben sie beide nach ihren Kräften an seiner
Mit herzinniger Freude malt er eine Boden.
Befreiung gewirkt. Aber der Fußfall, den
seelandschaft oder schildert den Glanz eines
Christine, die rechte Gattin, vor dem Kaiser
ritterlichen Festes. Er geht dabei gar nicht
tat, den tat sie, will uns scheinen, vor allem
großzügig vor, aber treu und gewissenhaft.
als Landgräfin, und wenn es der Verfasser
Abhold jeder Kunsttheorie kitzelt es ihn,
als ein Wunder preist, daß Philipp mit zwei
seine mittelalterliche Geschichte mit kleinen
Frauen glücklich wurde, so dünkt es uns noch
Anspielungen auf neudeutsche Politik zu
ein größeres, daß sich zwei Frauen an einem
spicken, und wir freuen uns seiner mann¬
Mann in Frieden genügen ließen. Bergell
haften Rede, die da raten läßt: „Rüstet!
behauptet, das sei der Fall gewesen; seine
rüstet! und mißtraut!“ Wenn wir an das
Urkunden sprechen offenbar nicht dagegen.
Buch zurückdenken, erscheint es uns wie ein
Aber den Weg zu diesem außerordentlichen
mit etwas dünnen Wasserfarben sehr an¬
Ergebnis beleuchtet er bei weitem nicht so
dächtig und reinlich gemaltes Bild, in dem
hell wie die staatsmännischen Kniffe des
wir ein Stück von unserm Besten wieder¬
verschlagenen Landgrafen.
finden, und dafür sei Ludwig Diehl bedankt.
Kein Verständiger wird aus dem Buch
Ist Diehls Begabung ganz auf dem Boden
eine Empfehlung der Doppelehe herauslesen
des alten Deutschlands erwachsen, strebt er