28. Frau Beate und ihr Sohn
box 4/5
en d un een en ene den en en e en eien e eene erenacht den dede en en
Ausschnitt aus:
Berliner,4#
Heg, Berlin
vom:
Leben verlieren. Sie gehen gemeinsam in den
Tob.
neue Bucher.
Nicht daß die Natur ihr Recht fordert von
Frau Beaten; nicht daß die Leidenschaft souverän
Arthur Schnifler:
die Gesellschaft und ihre Gesetze vergißt —
Frau Beate und ihr Sohn.
das Merkwürdige dieses Schicksals. Aber daß
sich die reife, verständige, hochgesinnte Frau weg¬
Kaum ein anderer wie Schnißler weiß
wirft an einen Buben, der ihr Sohn sein könnte,
Wege des Labyrintk# so unheimlich klar zu be¬
das ist unerhört. Der ihr Sohn sein könnte....
lichten. Schnitzler in einer von denen, die die
Hier, gerade hier hat die Brücke, die ins Dunkle
menschliche Unterweit belauschen. Er hat un¬
führt, einen Stützpunkt: Mutter= und Weib¬
begreiflich feine Gehörsorgane der Seele, und
So kühl
triebe fließen ruchlos zusammen ..
sein Verstehen entschleiert die Geheimnisse der
und liebeentfremdet Frau Beate sich selbst schien,
in ihr dämmerten Dämonen der Sinne. Es hat
Mit dem äußeren 1 mriß einer Novelle ist sein
Bedeutung, daß sie glücklich gewesen ist in der
neuestes Werk. „Frau Beate und ihr
Ehe — gerade mit einem Schauspieler. Denn
Sohn“ (Verlag S. Fischer, Berlin) ein Roman.
der war nicht ein einzelner Mann, er war
der jede Entwicklungsphase der beiden Haupt¬
Hamlet und Cyrano und König Richard und der
gestalten bis zu ihrem Tode aufschließt. Die Art,
und jener, ein Held oder ein Verbrecher, ein
wie wir aus dem Gewordenen ins Werdende
Gesegneter oder ein Gezeichneter. Wie nun die
zurückgeführt werden, ist deshalb so bewunderns¬
in fünfjähriger Witwenschaft gebändigte Natur
wert, weil wir keinen Augenblick dabei das
die Schranken einreißt, wird der Sinn der Dich¬
Gegenwartsgefühl verlieren, keine chronistische
tung deutlich: Wer kann wissen, was in ihm¬
Plumpheit die Leidenschaft des Miterlebens
schlummert, was einmal in der Dunkelheit un¬
unterbindet. Alles, was für Frau Beate und
versehens ihn anspringt?
ihren Sohn einmal war, das wird in irgend¬
Daß das Drama mit dem Selbstmord von
einem Augenblick wieder seiend. Besonders
Mutter und Sohn endigt, muß nach der Art der
gilt das von Beatens begrabenem Eheleben. Sie
beiden für selbstverständlich gelten. Auch diese
erzählt nicht von ihrem seit fünf Jehren
Menschen sind ja durch Vererbung und Erziehung
toten Gatten, sie erlebt ihn aufs neue in
in ihrem tiefsten Gemüt abhängig von einer
Treue und Untreue, in Liebe und Enttäuschung,
Kultur, die den alten Sühnetod verehrt. Aber
erlebt ihn anter dem Drucke anderer erotischer
in kommenden Zeiten wird der Mensch fühlen und
Erlebnisse. Und dieser Gewesene, der berühmt¬
erkennen, daß der freiwillige Tod kein Schuld¬
Schauspieler, dessen bloßer Schatten die Gegen¬
vertilger, sondern selbst die schwerste Schuld ist.
wart der Dichtung streift, er ist greifbarer als
Gut ist das Lebenerhaltende, böse das Leben¬
zahllose breitspurige Helden der Schauspieler¬
vernichtende. Der Tod löst nicht, er vernichtet
romane.
bloß. Freilich waren alle unsere Tragiker bisher
Frau Beate hat ihren Gatten geliebt, und
anderer Meinung. HIermann Kienzl.
ähre Treue hängt dem Toten so an, daß in den
fünf Jahren ihrer Witwenschaft der Gedanke an
einen neuen Ehebund ihr unfaßlich war, jede
Regung der Sinne endgültig erstickt schien, und
alle ihre große Liebe aufging in Mütterlichkeit,
in der innigsten Gemeinschaft mit ihrem Sohne.
Der ist jetzt siebzehn Jahr alt. Eines Tages
nimmt die Mutter mit Entsetzen wahr, daß er
ährem Vertranen heimlich entronnen und in die
Bande einer gefährlichen Halbweltdame geraten
ist. Mit der Sicherheit einer gereiften, unantast¬
baren Frav nimmt Veate den Kampf auf gegen
die Verführerin ihres Kindes. Ehe sie siegen
konnte, bricht das Unwahrscheinlichste über sie
selbst herein. In einer Frühlingsnacht erliegt
diese kluge und brave Frau dem heißen Sturm
eines halbwüchsigen Jungen, eines Schul¬
kameraden ihres Sohnes. Sie wird die heimliche
Geliebte des Knaben, vergißt ihre Mutter¬
pflichten, lebt in einem lodernden Wahn, aus
dem sie mit Verzweifiung erwacht. Der unreise,
renommistische Taugenichts gibt sie, die alternde
Frau, der öffentlichen Schmach preis. Wie ein
verendendes Tier liegt Beate auf der Erde, einen
letzten Schlag erwartend. Auch der kommt. Ihr
Sohn hat erfahren, was sein kindliches Gemüt
nicht fassen kann. Mutter und Sohn scheinen
einander verloren. Doch lieber wollen sie das
(Odellenangabe onne Sene..
575
Ausschnitt aus:
1- 6. 1915
vom:
Frau Beate und ihr Sohn. Novelle von Arthur
Schuitler (S. Fischer, Verlag Berlin). Diese noch junge und
schöne Fräll Bec Heinold ermnert zuweilen an jene Frau
Berta Garlan,4deren verwandtes Schicksal uns Schnitzler vor
Jahren in einer meisterlichen Novelle erzählt hat. Auch sie ist
Witwe und hält dem verstorbenen Gemahl die Gattentreue über
das Grab hinaus, trotz wacher Sinne und mancher von ver¬
worrener Sehnsucht gestörter Nächte. Und auch ihr wird das
erste erotische Erlebnis, das dann in ihr Leben tritt, zum Ver¬
hängnis — zu schwererem noch als der rebenstüchtigeren Frau
Garlan. Beate hat aus ihrer Ehe mit dem großen Schauspieler
Ferdinand Heinold einen Sohn, der ihr nun schon seit Jahren
bester und einziger Lebensinhalt ist. Nun aber scheint die Zeit
der bisherigen tiefinnigen, vertrauten Gemeinschaft vorbei. Der
Sohn ist ein reifer Jüngling geworden. Abenteuer, Frauen
kreuzen seinen Weg, Geheimnisse stellen sich zwischen
ihn und
die Mutter.
derse'ben Sommerfrische
des Salzkammergutes
mit welch herrlich müheloser
Kunst ist diese Landschaft, diese Atmosphäre sichtbar und
fühlbar gemacht! — lebt eine Baronin stark zweifelhaften Ru¬
fes, eine frühere Schauspielerin, die aber nach wie vor ganz
ihrem Temperament, ihren rasch wechselnden Liebeswünschen lebt
und vor der Beate ihren Sohn am meisten behüten zu müssen
glaubt. Sie geht so weit, die Baronin selbst darum zu bitten,
sich Hugos Werbungen zu verschließen. Ohne daß sie es weiß
legt dieser Besuch den Keim zu tiefen Veränderungen in ihrem
Denken und Fühlen. Denn in dieser Baronin Fortunata tritt
Beate einer Welt entgegen, die sie bisher nur mit leisem Schauer
ahnte; der Welt ungehemmter, freier Sinnenlust. Frau Beate
tut nur einen ganz flüchtigen Einblick in diese Welt; doch ihre
Vorstellungen kehren nun halb unbewußt oft zu ihr zurück, ge¬
winnen immer mehr Nahrung durch die Vergegenwärtigung der
Situationen, in denen sie Hugo vermutet, wenn er — was nun immer
häusiger geschieht — des Nachts nicht zu Hause ist. Langsam
gerät Frau Beatens Blut in Aufruhr. Sie fühlt mit einem
Male wieder, daß sie noch jung ist, sie bemerkt deutlicher als
sonst das zarte und das dreistere Begehren der Männer, mit
denen dieses Sommerleben sie zusammengeführt. Und da ist
ein Knabe, ein nur etwas älterer Schulkamerad ihres Sohnes,
der im Hause wohnt, den sie eines Abends vor der Türe ihres
Schlafzimmers findet und dessen jugendliches Werben sie un¬
vermutet überfällt, sie berauscht und — besiegt. Sie wird seine
Geliebte. Ihr bislang so klates, sicheres Leben wird nun wirr,
trub und haltlos. Hier bei der Schilderung dieser seelischen
Krise, die, nach rückwärts und vorwärts greifend, Ver¬
gangenheit und Zukunft aufwühlt, erkennt man wieder,
daß das Schrifttum der Gegenwart zurzeit keinen hell¬
keinen, sensitiveren Psychologen heutiger
sichtigeren,
Weiblichkeit besitzt, als Schnitzlir. Wie wundervoll wahr
und überzeugend ist nur die Wandlung gezeigt, die nun mit
einem Male das Andenken an ihren Mann völlig umgestaltet.
Wie der schwärmerisch verehrte Menschengestalter, in dem Beate
immer neue, immer andere Männer lieben zu können wähnte,
plötzlich zum Komödianten wird, der seine eigene Erbärmlichkeit
hinter immer neuen, immer anderen Masken versteckte. .. Veate
wird ihres unerwarteten und fast ungewollten Liebesglückes nicht
froh. Es ist ihr, als hätte sie sich durch die Hingabe an den
Schulkameraden ihres Sohnes an diesem vergangen. Und als
sie eines Tages zuhören muß, wie ihr unreifer Galan, zwar
ohne ihren Namen zu nennen, doch in roher, häßlicher Weise sich
seines leichten Sieges rühmt, fühlt sie sich so beschmutzt und erniedrigt,
daß es ihr unmöglich erscheint, weiterzuleben. Und nun trifft sie ein
weiterer, noch heftigerer Schlag: Hugo hat in trunkener Gesell¬
schaft auf brutale Weise von ihrem Tun erfahren und auch in
ihm bricht alles zusammen. Denn er ist zwar reif genug, um
ein Weib, das seine Sinne reizt, lieben zu können. Doch nicht
reif genug, um auch in der eigenen Mutter das Weib zu
sehen und zu begreisen. Mich dünkt, hier liegt — ein wenig
aus dem Mittelpunkt gerückt — der eigentliche tragische Konflikt
des Buches. Es ist ein alltäglicher, dennoch selten aufgegriffener
Konflikt. Die ganze Frage der sexuellen Aufklärung müßte einmal
von hier aus beleuchtet werden: von der Unfähigkeit aller
Kinder und Halbwüchsigen, die Eltern unbeschadet der ihnen
gezollten Verehrung als Geschlechtswesen verstehen zu können.
Frau Beate zieht dann auf einer nächtlichen Kahnfahrt ihren
Sohn mit sich in den Tod. Dieser Abschluß läßt die zwingende
Notwendigkeit vermissen. Sonst aber ist auch diese Novelle so
überreich an tief ergreifenden Menschlichkeiten, so jeuchtend in
der Kraft und dem Adel ihres Gefühls und in der künstlerischen
Vollendung ihrer Form, wie es heute in deutscher Spkache nur
noch Novellen von Arthur Schnitzler sind.
Erpét Goth.
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en d un een en ene den en en e en eien e eene erenacht den dede en en
Ausschnitt aus:
Berliner,4#
Heg, Berlin
vom:
Leben verlieren. Sie gehen gemeinsam in den
Tob.
neue Bucher.
Nicht daß die Natur ihr Recht fordert von
Frau Beaten; nicht daß die Leidenschaft souverän
Arthur Schnifler:
die Gesellschaft und ihre Gesetze vergißt —
Frau Beate und ihr Sohn.
das Merkwürdige dieses Schicksals. Aber daß
sich die reife, verständige, hochgesinnte Frau weg¬
Kaum ein anderer wie Schnißler weiß
wirft an einen Buben, der ihr Sohn sein könnte,
Wege des Labyrintk# so unheimlich klar zu be¬
das ist unerhört. Der ihr Sohn sein könnte....
lichten. Schnitzler in einer von denen, die die
Hier, gerade hier hat die Brücke, die ins Dunkle
menschliche Unterweit belauschen. Er hat un¬
führt, einen Stützpunkt: Mutter= und Weib¬
begreiflich feine Gehörsorgane der Seele, und
So kühl
triebe fließen ruchlos zusammen ..
sein Verstehen entschleiert die Geheimnisse der
und liebeentfremdet Frau Beate sich selbst schien,
in ihr dämmerten Dämonen der Sinne. Es hat
Mit dem äußeren 1 mriß einer Novelle ist sein
Bedeutung, daß sie glücklich gewesen ist in der
neuestes Werk. „Frau Beate und ihr
Ehe — gerade mit einem Schauspieler. Denn
Sohn“ (Verlag S. Fischer, Berlin) ein Roman.
der war nicht ein einzelner Mann, er war
der jede Entwicklungsphase der beiden Haupt¬
Hamlet und Cyrano und König Richard und der
gestalten bis zu ihrem Tode aufschließt. Die Art,
und jener, ein Held oder ein Verbrecher, ein
wie wir aus dem Gewordenen ins Werdende
Gesegneter oder ein Gezeichneter. Wie nun die
zurückgeführt werden, ist deshalb so bewunderns¬
in fünfjähriger Witwenschaft gebändigte Natur
wert, weil wir keinen Augenblick dabei das
die Schranken einreißt, wird der Sinn der Dich¬
Gegenwartsgefühl verlieren, keine chronistische
tung deutlich: Wer kann wissen, was in ihm¬
Plumpheit die Leidenschaft des Miterlebens
schlummert, was einmal in der Dunkelheit un¬
unterbindet. Alles, was für Frau Beate und
versehens ihn anspringt?
ihren Sohn einmal war, das wird in irgend¬
Daß das Drama mit dem Selbstmord von
einem Augenblick wieder seiend. Besonders
Mutter und Sohn endigt, muß nach der Art der
gilt das von Beatens begrabenem Eheleben. Sie
beiden für selbstverständlich gelten. Auch diese
erzählt nicht von ihrem seit fünf Jehren
Menschen sind ja durch Vererbung und Erziehung
toten Gatten, sie erlebt ihn aufs neue in
in ihrem tiefsten Gemüt abhängig von einer
Treue und Untreue, in Liebe und Enttäuschung,
Kultur, die den alten Sühnetod verehrt. Aber
erlebt ihn anter dem Drucke anderer erotischer
in kommenden Zeiten wird der Mensch fühlen und
Erlebnisse. Und dieser Gewesene, der berühmt¬
erkennen, daß der freiwillige Tod kein Schuld¬
Schauspieler, dessen bloßer Schatten die Gegen¬
vertilger, sondern selbst die schwerste Schuld ist.
wart der Dichtung streift, er ist greifbarer als
Gut ist das Lebenerhaltende, böse das Leben¬
zahllose breitspurige Helden der Schauspieler¬
vernichtende. Der Tod löst nicht, er vernichtet
romane.
bloß. Freilich waren alle unsere Tragiker bisher
Frau Beate hat ihren Gatten geliebt, und
anderer Meinung. HIermann Kienzl.
ähre Treue hängt dem Toten so an, daß in den
fünf Jahren ihrer Witwenschaft der Gedanke an
einen neuen Ehebund ihr unfaßlich war, jede
Regung der Sinne endgültig erstickt schien, und
alle ihre große Liebe aufging in Mütterlichkeit,
in der innigsten Gemeinschaft mit ihrem Sohne.
Der ist jetzt siebzehn Jahr alt. Eines Tages
nimmt die Mutter mit Entsetzen wahr, daß er
ährem Vertranen heimlich entronnen und in die
Bande einer gefährlichen Halbweltdame geraten
ist. Mit der Sicherheit einer gereiften, unantast¬
baren Frav nimmt Veate den Kampf auf gegen
die Verführerin ihres Kindes. Ehe sie siegen
konnte, bricht das Unwahrscheinlichste über sie
selbst herein. In einer Frühlingsnacht erliegt
diese kluge und brave Frau dem heißen Sturm
eines halbwüchsigen Jungen, eines Schul¬
kameraden ihres Sohnes. Sie wird die heimliche
Geliebte des Knaben, vergißt ihre Mutter¬
pflichten, lebt in einem lodernden Wahn, aus
dem sie mit Verzweifiung erwacht. Der unreise,
renommistische Taugenichts gibt sie, die alternde
Frau, der öffentlichen Schmach preis. Wie ein
verendendes Tier liegt Beate auf der Erde, einen
letzten Schlag erwartend. Auch der kommt. Ihr
Sohn hat erfahren, was sein kindliches Gemüt
nicht fassen kann. Mutter und Sohn scheinen
einander verloren. Doch lieber wollen sie das
(Odellenangabe onne Sene..
575
Ausschnitt aus:
1- 6. 1915
vom:
Frau Beate und ihr Sohn. Novelle von Arthur
Schuitler (S. Fischer, Verlag Berlin). Diese noch junge und
schöne Fräll Bec Heinold ermnert zuweilen an jene Frau
Berta Garlan,4deren verwandtes Schicksal uns Schnitzler vor
Jahren in einer meisterlichen Novelle erzählt hat. Auch sie ist
Witwe und hält dem verstorbenen Gemahl die Gattentreue über
das Grab hinaus, trotz wacher Sinne und mancher von ver¬
worrener Sehnsucht gestörter Nächte. Und auch ihr wird das
erste erotische Erlebnis, das dann in ihr Leben tritt, zum Ver¬
hängnis — zu schwererem noch als der rebenstüchtigeren Frau
Garlan. Beate hat aus ihrer Ehe mit dem großen Schauspieler
Ferdinand Heinold einen Sohn, der ihr nun schon seit Jahren
bester und einziger Lebensinhalt ist. Nun aber scheint die Zeit
der bisherigen tiefinnigen, vertrauten Gemeinschaft vorbei. Der
Sohn ist ein reifer Jüngling geworden. Abenteuer, Frauen
kreuzen seinen Weg, Geheimnisse stellen sich zwischen
ihn und
die Mutter.
derse'ben Sommerfrische
des Salzkammergutes
mit welch herrlich müheloser
Kunst ist diese Landschaft, diese Atmosphäre sichtbar und
fühlbar gemacht! — lebt eine Baronin stark zweifelhaften Ru¬
fes, eine frühere Schauspielerin, die aber nach wie vor ganz
ihrem Temperament, ihren rasch wechselnden Liebeswünschen lebt
und vor der Beate ihren Sohn am meisten behüten zu müssen
glaubt. Sie geht so weit, die Baronin selbst darum zu bitten,
sich Hugos Werbungen zu verschließen. Ohne daß sie es weiß
legt dieser Besuch den Keim zu tiefen Veränderungen in ihrem
Denken und Fühlen. Denn in dieser Baronin Fortunata tritt
Beate einer Welt entgegen, die sie bisher nur mit leisem Schauer
ahnte; der Welt ungehemmter, freier Sinnenlust. Frau Beate
tut nur einen ganz flüchtigen Einblick in diese Welt; doch ihre
Vorstellungen kehren nun halb unbewußt oft zu ihr zurück, ge¬
winnen immer mehr Nahrung durch die Vergegenwärtigung der
Situationen, in denen sie Hugo vermutet, wenn er — was nun immer
häusiger geschieht — des Nachts nicht zu Hause ist. Langsam
gerät Frau Beatens Blut in Aufruhr. Sie fühlt mit einem
Male wieder, daß sie noch jung ist, sie bemerkt deutlicher als
sonst das zarte und das dreistere Begehren der Männer, mit
denen dieses Sommerleben sie zusammengeführt. Und da ist
ein Knabe, ein nur etwas älterer Schulkamerad ihres Sohnes,
der im Hause wohnt, den sie eines Abends vor der Türe ihres
Schlafzimmers findet und dessen jugendliches Werben sie un¬
vermutet überfällt, sie berauscht und — besiegt. Sie wird seine
Geliebte. Ihr bislang so klates, sicheres Leben wird nun wirr,
trub und haltlos. Hier bei der Schilderung dieser seelischen
Krise, die, nach rückwärts und vorwärts greifend, Ver¬
gangenheit und Zukunft aufwühlt, erkennt man wieder,
daß das Schrifttum der Gegenwart zurzeit keinen hell¬
keinen, sensitiveren Psychologen heutiger
sichtigeren,
Weiblichkeit besitzt, als Schnitzlir. Wie wundervoll wahr
und überzeugend ist nur die Wandlung gezeigt, die nun mit
einem Male das Andenken an ihren Mann völlig umgestaltet.
Wie der schwärmerisch verehrte Menschengestalter, in dem Beate
immer neue, immer andere Männer lieben zu können wähnte,
plötzlich zum Komödianten wird, der seine eigene Erbärmlichkeit
hinter immer neuen, immer anderen Masken versteckte. .. Veate
wird ihres unerwarteten und fast ungewollten Liebesglückes nicht
froh. Es ist ihr, als hätte sie sich durch die Hingabe an den
Schulkameraden ihres Sohnes an diesem vergangen. Und als
sie eines Tages zuhören muß, wie ihr unreifer Galan, zwar
ohne ihren Namen zu nennen, doch in roher, häßlicher Weise sich
seines leichten Sieges rühmt, fühlt sie sich so beschmutzt und erniedrigt,
daß es ihr unmöglich erscheint, weiterzuleben. Und nun trifft sie ein
weiterer, noch heftigerer Schlag: Hugo hat in trunkener Gesell¬
schaft auf brutale Weise von ihrem Tun erfahren und auch in
ihm bricht alles zusammen. Denn er ist zwar reif genug, um
ein Weib, das seine Sinne reizt, lieben zu können. Doch nicht
reif genug, um auch in der eigenen Mutter das Weib zu
sehen und zu begreisen. Mich dünkt, hier liegt — ein wenig
aus dem Mittelpunkt gerückt — der eigentliche tragische Konflikt
des Buches. Es ist ein alltäglicher, dennoch selten aufgegriffener
Konflikt. Die ganze Frage der sexuellen Aufklärung müßte einmal
von hier aus beleuchtet werden: von der Unfähigkeit aller
Kinder und Halbwüchsigen, die Eltern unbeschadet der ihnen
gezollten Verehrung als Geschlechtswesen verstehen zu können.
Frau Beate zieht dann auf einer nächtlichen Kahnfahrt ihren
Sohn mit sich in den Tod. Dieser Abschluß läßt die zwingende
Notwendigkeit vermissen. Sonst aber ist auch diese Novelle so
überreich an tief ergreifenden Menschlichkeiten, so jeuchtend in
der Kraft und dem Adel ihres Gefühls und in der künstlerischen
Vollendung ihrer Form, wie es heute in deutscher Spkache nur
noch Novellen von Arthur Schnitzler sind.
Erpét Goth.