I, Erzählende Schriften 28, Frau Beate und ihr Sohn. Novelle, Seite 20

Ein Merkmal dis modernen, artistisch gesinnten Poeten ist wird hier gespart, um den weser mi binsen, ihn in Niem zu
seine Angst vor der Baualität. Er ist ein Wissender in einem
halten. Es gibt hier Versammlungen von Milliardären auf dem
Zeitalter der intellektuellen Verseinerung und des Raffinements
Dachgarten eines märchenhaften New=Yorker Hotels, Gruben¬
und findet eine Kunst vor, die alle Stoffgebiete erschöpft zu haben
katastrophen, Weltstreiks, Brände von Wolkenkratzern, Morde,
scheint. Ihm fehlt das naive Zugreifen, die der Art eines Kindes finanzielle Zusammenbrüche und allerhand Uebermenschliches.
gleichende Beobachtung, der das Leden wie ein eben erst ent= Diese Helden schreiten über brennende Dächer, ohne für einen
decktes Neuland erscheint. Deshalb sehen wir ihn zum Abnor¬
Moment nur ihren Gleichmut und ihre eiserne Ruhe zu ver¬
malen, zu einem hinter der Oberkläche sich abspfelenden Leben, zu
lieren, begeben sich über Leiche.: in die qualmenden Stollen und
den noch unenthüllten Rärseln und Verirrungen des Empfindens siegen über Tod und Verderben. Es gibt Szenen, wie sie Ohnet
flüchten. Das noch Ungesagte, Irrationale ist es, das ihn noch reizt. dichtet, Herzensaffären mit der Psychologie einer Marlitt. Die
Dichten ist ihm einen Schlössel finden zu einer verschlossenen Geschichte des im Kohlenberg'verk verschütteten kleinen Mac
Pforte; die Seele ein geheimer Garten, wo die Blume und all die Heldentaten, die der kleine Pferdejunge
des Bösen „neben dem Wunderbaren“ blüht. Dies erklärt das vollführt, sind wie ein Abklatsch aus Zolas „Germinal“. Trotz¬
Absonderliche, das Verfeinerte und Morblde in der deutschen dem wird man die Konzeption des Werkes bewundern, der Plastik
Novellistik der letzten Zeit, die Sujets und die Psychologie der und Lebendigkeit der Schilderung die uneingeschränkte Anerkennung
letzten Erzählungen Wassermanns und Thomas Manns. Ganz nicht vorenthalten können. Nicht in der Gestaltung und Erfindung,
besonders sehen wir Artur Schnitzler das weite Land der S# die oft der Phantasie eines Kolportageromanciers entsprungen zu
absuchen nach undefinierbaren inneren Geschehnissen, nach der sein scheint, liegen die besonderen Qualitäten des Buches, sondern
zartesten Geste des Empfindens. Wie am Rande des Lebens in seiner wie mit Elektrizität geladenen Atmosphäre, im Elan
wandeln seine Menschen, sensibel bis zur Krankhaftigkeit, tragisch seiner Darstellung und in seinem modernen, sachlichen Pathos.
in ihrem Degout vor der Brutalität des physicchen Erlebens, Als Buch der Saison wurde der Roman von seinen Lobpreisern
in ihrer Angst vor dem Profanen. In den Mittelpunkt von bezeichnet. Es bleibt aber noch fraglich, ob es innere dichterische
Schnitzlers letzter Novelle „Frau Beate und ihr Kraft genug besitzt, um die momentane Sensation zu überdauern.
Sohn“ (Berlin, S.
Fischer) ist eine dieser Sensitiven
Auf die Tragik unscheinbarer Ursachen ist Raoul Auern¬
gestellt, eine verwitwete Schauspielersgattin, in deren Trauer sich
heimers Erzählung „Laurenz Hallers Prater¬
noch die gedämpfte Sehnsucht ihrer scheidenden Jugend nach neuem
fahrt“ (Berlin, S. Fischer) gestellt. Sie spielt mit ihrer kon¬
Lebensglück mischt. Sie hatte in dem Verstorbenen nicht ein ein¬
sequent und einfach entwickelten Handlung in einem typisch öster¬
ziges Weien geliebt, sondern die Illusionen, die er ihr gab all reichischen Milieu, in der Welt des kleinen Beamtentums sich ab,
die Gestalten, die er auf der Bühne verkörperte: Helden und unter Menschen, deren Leben sich unter einengenden Gesetzen,
Könige, Brutale und Edelmütige. Sein Tod war ihr das bittere in einer strengeren Standesmoral sich bewegt, von der
Erwachen aus einem kömglichen Traum, das schauerliche Erkennen, ein einziger Schritt schon an einen Abgrund führt. Die
wie sehr Leben und Sterben in jedem Moment ineinander ver= russische Novellistik ist mit schneidender Ironie dieser
schlungen sind. Ihre ganze mütterliche Zärtlichkeit klammert sich Tragik der Subalternen nachgegangen. Nikolaus Gogol
an den einzigen Sohn, dessen Liebe ihr alles Verlorene ersetzen zuerst, dessen Held an einem neuen Mantel zugrunde geht, Anton
soll, bis ihr eines Tages die Gewißheit wird, daß ihn eine andere Tschechow dann, der einen dieser Eingeschüchterten, lächerlich Aengst¬
ihr ganz entfremdet, eine Buhlerin mit nixenhaftem Wesen, lichen vorführt, der einen einzigen Theaterbesuch mit Wahnsinn
von der „ein feuchter Duft wie von Schilf und Wasserrosen aus= und Tod büßen muß. Auernheimers Erzählung hat keine so
zugehen schien". Sie ist zuerst voll Staunen über die Umwand- groteske Verzerrung, keine so höhnische Pointe wie jene russischen
lung, die sich mit ihm vollzog, voll Haß dann gegen die Fremde Geschichten. Ihr Humor ist sanfter, ihr Abschluß menschlich be¬
und in ihrem mütterlichen Zartgefühl verletzt. All diese heim= greiflicher, wenn auch nicht ohne eine gewisse Bitterkeit.
lichen Seelenkämpse spielen sich während eines Landaufenthaltes
Schnitzlerischer Art ist um Mesquinitäten mancherlei Schönheit
an den Stätten ab, die Beate die schönsten Erinnerungen ihres
und eine ergreifende A mmut gewoben. Echt wienerisch ist es, daß
Lebens an der Seite des Verstorbenen bedeuten. Sie wird von
hier eine Praterfahrt, ein spezifisch wienerisches Luxusbedürfnis
den Männern noch heiß begehrt, die noch immer schöne Frau, und
schrittweise zu dem Zusammenbruch einer Familie führt. Da ist
in dieser schwülen Liebesatmosphäre erliegt die Frau ihrer eigenen,
Laurenz Haller ein in seiner Art aus sozialen Niederungen
so lange niedergekämpften Sehnsucht und ihren Sinnen. Sie sinkt
Emporgestiegener, dessen Leben sich lange wie unter mathematischen
in die Arme eines noch knabenhaften Schulkollegen ihres Sohnes,
Gesetzen bewegt. Er ist fleißig, pflichtbewußt und voll einer
der sich ib mit heißem Werben nähert. Von diesem Moment an
Resignation auf Lebensgenuß die er ohne die geringste innere
verliert sie ganz ihren inneren Halt und gerät in tiefe Lebens¬
Auflehnung erträgt. Sein armseliges Heim ist irgendwo in der
wirrnis, als sie ihr tiefstes Gehrimnis von dem Knaben profaniert Nähe des Praters gelegen, und der Duft des Frühlings, der von
sieht. Als zwei Verlorene, Entweihte, wie vom Lebensfrost in der der Wipfeln der Kastanien in seine Stube in abendlicher Stunde
Hineinweht, er ist das einzige, das in dem freudlosen Alltag dieser
Menschen ein wenig Sehnsucht, einen vorbeihuschenden Kummer
auferlegten Verzichtes weckt. An der Seite dieses innerlich Ver¬
kümmerten und Vertrockneten lebt eine Frau, deren Schönheit und
noch nicht ganz versickerte Lebenslust ihm zum Verhängnis wird.
Eine Praterfahrt an ihrem Geburtstage soll die Monotonie der
in dieser Ehe verbrachten Jahre unterbrechen, und sie ringt die
Erfüllung dieses Wunsches ihrem Gatten unter Lächeln und
Träuen ab. Wie dieses Vorhaben ausgeführt wird, das schildert
Auernheimer mit seiner Ironie, die die tragischen Konsequenzen
zuerst kaum ahnen läßt. Das Verhängnis beginnt unter tausend
Tücken und Verlockungen, die die beiden wie im Galopp zum
Absturz vom hmalen Weg ihres Lebens bringt. Der Beamte
gerät in Schulden, erfährt den bitteren Neid der
glückloseren Kollegen, wird im Avancement übergangen, von
den Freunden verhöhnt. Stärker erlag die Frau
den Lockungen. Die Süße weniger Stunden wird ihr zu einem
Gist, von dem sie nicht mehr lassen konn. Ohne daß sie ihn sucht,
findet sich der Liebhaber ein, mit dem sie Laurenz Haller im
eigenen Heim belauscht. Innerlich zusammengebrochen, enttäuscht
und aus der Bahn geschleudert, sucht er durch einen Sprung
durchs Fenster den Tod, mit dem er ein kleines Sonntagsver¬
gnügen büßen muß. Ein Stück Wien der kleineren Lebensbezirke
spiegelt sich in dieser Novelle mit frappierender Anschaulichkeit ab,
deren tragischer Humor ein bißchen sentenziös erscheint und in
seiner feuilletonistischen Absichtlichkeit da und dort ein wenig stört.
Zusammenbruch der Leipziger Festspiele.
Große Notlage der Schauspieler.
(Privattelegramm des „Neuen Wiener Journals“.)
Leivzig, 5. Juli.