I, Erzählende Schriften 28, Frau Beate und ihr Sohn. Novelle, Seite 21

Frau Beate und ihr Sohn
box 4/5
28. Frunbeuts und Annaaa
Zeitung: Mamburger Nachrichten
Ort:
Hamburg
1
Pu
Datue:

Das ist die Welt, aus der sich Schnitzler seit dreißig
nisse ud Versuchungen gefei
Jahren seine Stoffe holt. Und man muß sich schier darüber
Einzige, Unerreichbaren, und
eine mutterschaftstragödie.“
wundern, wie er es anfängt, diesem eng begrenzten Felde der
Sohn. Ihn umspannt ihr gan
Motive immer wieder neue Seiten abzugewinnen, ja seine
Fühler mit dem ihren eins
Stärke und Schwäche der Schnitzlerschen Schaffensart
stillen abseitigen Betrachtungen stetig zu vertiefen, so daß er
kammagut, wo sie den Som
ruhen auf der Beharrlichkeit seiner stofflichen Einkreisung.
heute aus dem anfän ichen spielerischen Pierrottum der Ana¬
verbriigt keimt ihr jäh und
Über ein Menschenalter lang ist er den Geheimnissen der Erotik
tolszenen und den leisen Schmerzlichkeiten der Liebeleien stetig
Erkenntnis des veränderten B#
nachgegangen, und mancher schnellfertige Beobachter hat ihn
und sicher zu den verborgenen tragischen Untergründen dieser
sonst beichtfreudig selbst in se
darob mit dem Schlagwort der „Erotomanie“ zu brandmarken
maroden Schichten hinabgestiegen ist und die vordem als End¬
nisser, geht verschlossen seine e
versucht. Das ist verständlich. Norddeutsches Empfinden zumal
zweck erschienene behagliche Milieuschilderung nur mehr als
führen zur Villa einer verder
wehrt sich mit seinen herberen Instinkten wider die Umwekt,
eine gewohnte technische Fertigkeit für seine gesellschafts¬
das Erwachen der ersten Leide
in deren Schilderung Arthur Schnitzler Meister ist. Wir treffen
kritischen Zwecke nutzt. Eine Gesellschaftskritik freilich, die
wenigsten anvertraut wissen
ähnliche Verfallerscheinungen zwar überall an, wo selbstver¬
man immer nur zwischen den Zeilen wird lesen können. Auf¬
nicht Rechenschaft über ihr
ständlich gewordener Luxus und eine Menschheit, deren Tätig¬
getragene Tendenz liegt seinem Wesen, als dem eines echten
mütterliche Angst, was dumpf
keit schöngeistig aufgeputzter Müßiggang ist, in größeren
Künstlers, fern. Er ist zu sehr Betrachter seiner Welten,
den Jüngling inkarniert sich d
Komplexen auf dem Boden von Weltstädten sich zusammen¬
zu sehr, seiner ganzen Veranlagung nach, Bezweifler aller
Auch dessen wird sie sich nicht
ballen. Doch nirgends sind ähnlich wie im modernen Wien
Werte, zu wenig Moralist, so man mit diesem Begriffe fest¬
einn Schritt tut, der für d
alle Bedingungen für diese besondere Treibhausatmosphäre ge¬
stehende Tabulaturen verbinden will. Ein Zuviel an Klugheit,
gewöhnlich war: wie sie einst
geben. Im wohligen Genuß der Sattheit räkelt sich diese
Feinheit, Nuancierung, ein unheimlich scharfer Blick für die
Händen einer alternden Gelie
Menschheit; auch ihre frischesten Exemplare sind schon ein klein
Relativität aller seelischen Regungen verleihen seinen
Besuch im feindlichen Lager bes
wenig müde und vornehm blasiert. Gerne spielt sie, bei aller
Werken die Eigentümlichkeit des Verfließenden, Schillernden,
Kampf. mit der Nebenbuhlerin
Lebfreudigkeit, mit jenem pikanten Todesgefühle zu dem über¬
Resultatlosen; daher sein häufiges Versagen im Drama, das
wird ihr zur Niederlage: die
sättigte Individuen, Nationen, Systeme neigen; ihm im Ge¬
nun einmal Resultate fordert. Dennoch vollziehen sich Schick¬
Wahrung des äußeren Schein
folge schreiten Selbstironie und die Zersetzung einer Erkennt¬
sale. Wenn man will, auch menschliche Tragödien. Sie wach¬
ihre Phantasie auf, so daß si
nis, der die Paarung des Willens mangelt. Dieses Wien der
sen von ungefähr aus einer Atmosphäre, in deren zersetzendem
lüstern liebelnde Menschen wa
oberen Zehntausend mit seiner feinen Kultur der Anlehnung und
Flusse Zufälligkeiten, Launen, Augenblickseingebungen, Worte
des gleichsam in der Luft des
Entlehnung, seinem Taggenießen und nach dem Morgen nicht
gemeinen Begehrens körperlich
alles bedeuten; die Tat nichts. Die Tat, oder was man so
fragen, seiner Menschheit mit ihrer unglaublichen Schwimm¬
Tat nennt, ist Zufallserscheinung. Niemand meistert sie. Sie
Deutung gibt und sich, halbng
fähigkeit kennt nur ein Lebensprinzip: sich treiben zu lassen.
entgleitet einem. Ohne daß man's so recht wollte vernichtet
gesetzloser Auslebewünsche um
Nicht sie macht das Leben, das Leben macht sie. Und dieses
man sich und andere. Stützen, die man gefestigt glaubte, brechen
ihr das Empfinden für den sch
Leben dreht sich nur um einen Punkt: um die wechselnden Be¬
zusammen, blühende Leben vernichtet körperlicher oder seelischer
die Menschheit dieses mondän
ziehungen der Geschlechter. Hier sitzt, so scheint es, die einzige
Mord. Wo ist der Unterschied? Im Grunde genommen
wird ihr offenbar, wie unter
Wurzel lohnender Aktivität. Was sonst noch existiert auf
171
läufts auf dasselbe hinaus ...
inter der scheinbaren Glatte
Erden, was minder mit materiellen Gütern Gesegneten
Diese Unterwühltheit des gesellschaftlichen Bodens und
schlummern, an denen sie bis
Lebensinhalt leiht, füllt hier nur die Pausen von einem Aben¬
aller Beziehungen von Mensch zu Mensch gab Schnitzler den
Das seltsamste aber ist: daß si
teuer zum anderen. Wenn man Zeit hat und in der Laune
Untergrund zu seinem letzten Drama, dem „Weiten Land“ als
mehr mit kräftigem Widersta
ist, baut man in diesen Pausen Fabriken, erobert Länder,
der Tragödie seines „Baumeister Solneß der Serualität“
vielmehr spielerisch eingelullt fi
schreibt Symphonien, wird Millionär. Aber das alles ist nur
jenem Friedrich Hofreiter, der an der Wende des vierten
leisen Lächeln, einem Augena
Nebensache. Die Hauptsache bleibt die Erotik. Sie ist nicht
Lebensjahrzehnts seinen verzweifelten Kampf als mählich ver¬
deren Erfüllung sie nicht den
Angelegenheit der Leidenschaft, des ernsthaften Ringens kein
sagnder Champion des Liebesspiels ausficht. Aus dem glei¬
Sohnes gleitet darüber in neb
Handel zwischen Persönlichkeiten, die hinter dem äußeren
chen Boden erwächst ihm seine neueste, und vielleicht beste, No¬
nur geduldete, dann widerstreh
schönen Schein die Seele suchen. Nur eine Angelegenheit des
velle eine nicht minder subtile Mutterschaftstragödie, in der
Schulfreundes ihres Buben“
Genusses, wie andere Genüsse auch, der Eitelkeit, und — wenn
an die tiefsten Geheimnisse der Bindung mütterlicher und ero¬
Schicksal. In einer Mischung
ein Abenteuer vorüber ist — Gegenstand intellektuell=ästheti¬
tischer Instinkte gerührt wird. Frau Beate, die jugendliche
den Sohn, den sie nunmehr je
scher Apereus.
und lebenskräftige Witwe eines berühmten Schauspielers, der
jener laxen Allgemein=Moral,
—.—
ihr jäh aus voller Schaffensfreudigkeit heraus entrissen wurde,
schulde, versinkt sie in den gefäh
, Frau Beate und ihr Sohn, Novelle von Arthur wähnt sich in ihrer klaren und herzhaften Art gegen alle Fähr= der sich der erstmals erglühend
Schnitzler, S. Fischer, Verlag, Berlin.