I, Erzählende Schriften 28, Frau Beate und ihr Sohn. Novelle, Seite 60

28. Frau Beate und ihr Sohn
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a K Maa
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Krnd Aisauer
dauernden Worten, schwere und volle aus den Gebieten der Reichen
und Festen, ironisch beglänzte aus denen der Seichten, Faulen, Feigen,
Derlogenen: „Reformationen sind nicht gemütlich“, „Richterkeusch¬
heit“, „gerade die vollständigsten Menschen, die Rünstlernaturen unter
den Menschen, fordern Spmbole“, „der Zülsenbegriff, das Köcher¬
wort, „die Seele““, „das Kriterium des Philisters ist wohl überhaupt
nicht Dummheit, sondern eben . . . daß er nur sonntagssromm ist“.
Yiemals läßt der Rhpthmus der Erzählung die Hand vom Lesen¬
den; wie das Tempo des Tunnelbaus zum Tempo Rellermanns wird,
rasch, jäh, atemlos, so ist der Takt der Stoßschen Gedankengänge das
Zeitmaß des Harlanschen Werkes: Aus vielen Einzelheiten gebildet,
langlaufend, mit starken Akzenten und Ruhepunkten, gemächlich, bis¬
weilen ruck- und stoßweis, aber nicht langsam und niemals fadenlos.
Mit besonderer Meisterschaft sind die Kapitel abgeschlossen. „Die Haupt¬
verhandlung“ schließt: „Und immer wieder blamiert sich das Recht
vor den Jahrtausenden“; das Rapitel, wie der junge Erwin Stoß, der
Dichter, ein Drama von Johann Zuß plant, dem er die Seele seines
Daters Friedrich Stoß einsetzen wird: „in einer grüngoldnen Luft stand
er, und Hochzeit war es in seiner Seele, viel mehr als Hochzeit“.
Zarlans Buch ist mehr als ein Koman. Aus seiner exakten Grund¬
lage wächst es ins Disionäre: es ist ein modernes Prosaepos. Und es
schließt nicht wie ein realistischer Koman mit dem Tode des Professors
Stoß, sondern die letzten Rapitel handeln von seinem Leben nach dem
Tode, von seiner „Fahrt in das Allherz“: hier wächst das Epos ins
Mpthische. Dieser Teil ist Harlan im Ganzen nicht gelungen. Er dringt
nicht zu einer einheitlichen Verbildlichung des Kosmischen vor, es zer¬
rinnt ihm ins Unanschauliche oder zerbricht ihm zu Schautrümmern.
Fast erscheint es überhaupt unmöglich, diese metaphysischen Brlebnisse
zu gestalten, denn immer bedarf der Dichter des Physischen zu ihrer
Verbildlichung. Und dennoch ist dem dichterischen Geiste nichts un¬
möglich, was nicht dem Wesen seines Materials widerspräche (er kann
z. B. nicht absolute Musik machen), und eine urmpthische Kraft ver¬
möchte auch diese leiblose Reise in das erdlose „Land Nachher“ zu ge¬
stalten. Alle Mpthen sind ja in ihrem letzten Grunde Verbildlichungen
von Abstraktionen: die fleischfeindliche Lehre des Christentums bildete
sich denl Mpthos von Mariä Empfängnis. Aber es sind Harlan im¬
merhin mpthische Trümmer und Splitter gelungen, und es muß aus¬
gesprochen werden, daß etliche solcher kosmischen Flimmer mehr be¬
deuten als etliche biedere Ganzheiten. Und nur ganz wenige unter den
heutigen Dichtern dürften sich überhaupt auch nur an ein derartiges