28.
Frau Beate und
ihr Sohn
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∆ à (1 44 SG an een en ac Aa
Ernst Lissauer
928
grund für die Entwicklung Spinozas empfindet. In einem Werke müssen
alle Atome geheim zentripetal ausgerichtet sein, nicht wenige Partieen
aber sind hier Selbstzweck. Vlicht mit gleicher Klarheit wird das Werden
der Lehre in Spinoza vor uns sinnfällig wie in Zarlans Stoß: dort
sind oft gleichsam die Hirnschalen fortgenommen, wir sehen die Ge¬
danken durch die Windungen ziehen und zucken; Rolbenheper glbt nur
Punkte, in denen die Stadien kulminieren. Zanna Debohra, die geistige,
heiße Frau, gebiert ihn als ihr liebstes Rind, Kabbi Jahuda, der Ciefe,
Gütige, erzieht ihn, die Bücher und Schriften trinkt das Rind, und
von Anbeginn ist in ihm die Andacht vor der Größe Gottes. Und wie
der Kabbi einmal sagt: Gott rät, so tastet ihm dies Wort Gottes
Größe an: „Kann Gott auch raten?“ Jedes Wort Gottes ist Gebot.
Dies ist der Anfang. Hier spricht der Kabbi das schöne Wort: „Deine
Fragen sind gleich den Dögeln, die in die Sonne fliegen wollen. Sie
können ihr Ziel nicht erreichen.“ Tausend Fragen nisten in dem Haupte
Baruchs, immer neue fliegen auf: aber die letzten landen in der Sonne.
In den Disputationen der Gesetzesschule wird sein Gegensatz zum
wortgläubigen Judentum immer deutlicher, selbst Maimonides' „Führer
der Irrenden“ kann ihn nicht führen: er erkennt den Dentateuch und
die Bücher der Propheten als historisch bedingt. Bin Schwarm Fragen
fliegt auf, zum erstenmal „in ein ewiges unbegrenztes All.“
Rabbi Monteira führt ihn in die Geheimlehre, in die Kabbala, ein,
aber als er bekennen soll, was er aus ihr erfahren hat, da erweist sich,
daß er ein Retzer geworden ist, er kritisiert die Lehre, die nicht den
Mut zu ihrer eignen Wahrheit habe, an Stelle des richtenden Got¬
tes von Sinai den Unnennbaren zu bekennen, der, „endloses Leben
entwirkend“, sich löst „in das Vielfältige der We“. In der Verban¬
nung lebt er ruhig, kaum lesend, nicht schreibend, gleichwohl des Abends
müde und nachts ruhig, „als hätte er frohe Arbeit vollbracht. Oft
dachte ich mir: so muß der Frau zumute sein, die ein liebes Rind
unter dem Herzen trägt.“ Aber lange dauert es, bis sich der gedankliche
Strom nach außen durchwühlt, nach Wochen verworrener Zerstreuung
geschieht es ihm plötzlich, und an einem Abend spricht er zu dem Kreise
der Freunde. Und sie werden der Rern seiner Gemeinde.
Gegen den Schluß hin verbleicht die Entwicklung des Philosophen
dem Dichter. Die eigentlichen Vorgänge des ausführenden Schaffens
nehmen wir nicht mit gleicher Intensität wahr, und manches geistige
Erlebnis, z. B. der Abfall des Engländers Oldenbourg, dessen Gewin¬
nung zuvor geschildert wird, ist nur im summarischen Referat abgetan.
Frau Beate und
ihr Sohn
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∆ à (1 44 SG an een en ac Aa
Ernst Lissauer
928
grund für die Entwicklung Spinozas empfindet. In einem Werke müssen
alle Atome geheim zentripetal ausgerichtet sein, nicht wenige Partieen
aber sind hier Selbstzweck. Vlicht mit gleicher Klarheit wird das Werden
der Lehre in Spinoza vor uns sinnfällig wie in Zarlans Stoß: dort
sind oft gleichsam die Hirnschalen fortgenommen, wir sehen die Ge¬
danken durch die Windungen ziehen und zucken; Rolbenheper glbt nur
Punkte, in denen die Stadien kulminieren. Zanna Debohra, die geistige,
heiße Frau, gebiert ihn als ihr liebstes Rind, Kabbi Jahuda, der Ciefe,
Gütige, erzieht ihn, die Bücher und Schriften trinkt das Rind, und
von Anbeginn ist in ihm die Andacht vor der Größe Gottes. Und wie
der Kabbi einmal sagt: Gott rät, so tastet ihm dies Wort Gottes
Größe an: „Kann Gott auch raten?“ Jedes Wort Gottes ist Gebot.
Dies ist der Anfang. Hier spricht der Kabbi das schöne Wort: „Deine
Fragen sind gleich den Dögeln, die in die Sonne fliegen wollen. Sie
können ihr Ziel nicht erreichen.“ Tausend Fragen nisten in dem Haupte
Baruchs, immer neue fliegen auf: aber die letzten landen in der Sonne.
In den Disputationen der Gesetzesschule wird sein Gegensatz zum
wortgläubigen Judentum immer deutlicher, selbst Maimonides' „Führer
der Irrenden“ kann ihn nicht führen: er erkennt den Dentateuch und
die Bücher der Propheten als historisch bedingt. Bin Schwarm Fragen
fliegt auf, zum erstenmal „in ein ewiges unbegrenztes All.“
Rabbi Monteira führt ihn in die Geheimlehre, in die Kabbala, ein,
aber als er bekennen soll, was er aus ihr erfahren hat, da erweist sich,
daß er ein Retzer geworden ist, er kritisiert die Lehre, die nicht den
Mut zu ihrer eignen Wahrheit habe, an Stelle des richtenden Got¬
tes von Sinai den Unnennbaren zu bekennen, der, „endloses Leben
entwirkend“, sich löst „in das Vielfältige der We“. In der Verban¬
nung lebt er ruhig, kaum lesend, nicht schreibend, gleichwohl des Abends
müde und nachts ruhig, „als hätte er frohe Arbeit vollbracht. Oft
dachte ich mir: so muß der Frau zumute sein, die ein liebes Rind
unter dem Herzen trägt.“ Aber lange dauert es, bis sich der gedankliche
Strom nach außen durchwühlt, nach Wochen verworrener Zerstreuung
geschieht es ihm plötzlich, und an einem Abend spricht er zu dem Kreise
der Freunde. Und sie werden der Rern seiner Gemeinde.
Gegen den Schluß hin verbleicht die Entwicklung des Philosophen
dem Dichter. Die eigentlichen Vorgänge des ausführenden Schaffens
nehmen wir nicht mit gleicher Intensität wahr, und manches geistige
Erlebnis, z. B. der Abfall des Engländers Oldenbourg, dessen Gewin¬
nung zuvor geschildert wird, ist nur im summarischen Referat abgetan.