I, Erzählende Schriften 25, Die Hirtenflöte. Novelle, Seite 2

Hirtenfloete
25. Die es box 4/2
Aussohnitt aus Fenkfurter Aerbmm
von
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K #
We

sches, sie wird Geliebte eines jungen Grafen, an dessen Seite
sie in Männerkleidern Krieg und Schlachten aktiv kennen
lernt, und endlich ein politisches, sie chwingt sich auf zur
„Die Hirtenslöte.“)
Fürstenmaitresse. In dieser letzten Rolle verfällt ihr Wesen
nach furchtbaren Schicksalen der Auflösung, und so tritt sie,
Eine Schmuckausgabe der Schnitzlerschen
vollkommen erschöpft und wurzellos den Heimweg zu Eras¬
Novelle.
mus an.
Der Dichter, der Griffelkünstler und der Architekt (in diesem
Erasmus hat sie erwartet. Er begrüßt sie sehr selbst¬
falle Kunstgewerbler) — drei angesehene Wiener Meister —
verständlich. Nun erst sei sie erfüllt, sei sie wahrhaft rein.
traten zusammen und schufen einen kleinen Geschenkband.
Sie aber slößt ihn zurück, weil sie seine „erkenntnis=theore¬
Dieser liegt vor uns und harrt — leider schon zu lange —
tische" Kälte klarer erfaßt und verläßt ihn auf Nimmerwieder¬
eines freundlichen Wortes zum Geleit. Denn freundlich muß
sehen. Hier auf den letzten Seiten des kleinen Buches hat
man das kleine Buch begrüßen, das sich zu gleicher Zeit so be¬
der Dichter den Grundgedanken, die These, der die Novelle
scheiden und doch auch wieder so voll feiner Durchgeformtheit
vorgeschuht wurde, zusammenfassend ausgesprochen: der weise
gibt. Ein Büchlein voll Haltung. Man nimmt es zartlich
Erasmus war in der Tat ein Tor. Freilich ist eine Frau für
aus dem blumig bunten Schutzkarton und wird auf dem Wege
den ernst Gesinnten nur dann wahrhaft wertvoll, wenn ihr
um Inhalt schon von dem köstlichen grünledernen Einband
Wesen an dem schrecklichen Reichtum der Welt reich und klar
einer ersten genußvollen Rast gezwungen. Wie man wohl
geworden ist. Freilich singt für jede Frau — auch für die
unberührteste, reinste — draußen am dämmerigen Waldes¬
beim Anblick einer anmutigen Frau vergessen kann, daß man
sie anreden — lesen — soll. Dieser Einband, dessen Entwurf
rand die süße Hirtenflöte. Aber nur Müdigkeit und Mangel
von Josef Hoffmann stammt, wurde in den Wiener Werk¬
an Kraft und Liebe können auf den Gedanken verfallen, sie
stätten handarbeitlich hergestellt. Er ist ein Meisterwerk und
dadurch zu ihrem Wert gelangen zu lassen, daß man ihr er¬
gibt erfreuliche Kunde von dem hohen Stand anserer wieder
m abseits vom
laubt, dem Ruf der Hirtenflote zu solt
Mannes sich
erwachten Buchkultur. So widersinnig es klingen mag, man
Pflicht= und Lebenskreise des ihr verb
enheit einer
wäre durchaus gerechtfertigt, wenn man den zierlichen Band
zu finden. Die Schicksals= und Erfah

lediglich um seiner äußeren Hülle willen erwürbe.
In ihm und
„Ehefrau“ (um knapp zu sein!) ist der
inden
Nun zu dem zweifachen Inhalt: Schnitzlers Novelle
in seiner Lebensfrage muß sie alles an Erlebniss
e.
und Schmutzers Begleitbildern! Schnitzler hat ein Mär=] können, was ihrem Wesen die letzte For
chen für Erwachsene geschrieben (übrigens nicht ausdrücklich
Schnitzler erscheint sie fast als verka#
ür diese Ausgabe, die Arbeit ist älter) oder er hat ein Ro¬
nigstens kann man der Novelle solch
nanproblem in ganz allgemeiner Stilisierung niedergelegt,
Das ist das gute und Beste an ihr (n
psychologische These symbolisch bearbeitet; denn, daß die
standen habe). Uebrigens, wie stets
Vorgänge, die er hier schildert mehr als die vage Typik des
moderne Beobachtung: allerhand M
Symbols beanspruchen sollen, glaube ich nicht.
ihre Frauen, abseits vom eigenen Leb
Eine Frau, die noch nicht „geworden“ ist, geworden, indem
anstatt selbst Hirte, Bürgersmann, Kri
sie Schicksale erlebt, mag uns hundertmal lieben, mag noch so
sie zu sein und — berlieren sie auf solche Weise. O
war, das Problem in so wirklichkeitsferner (nicht gegen
rein sein, sie gehört uns nicht. So sagt uns der kluge Astro¬
ferner!) Stilisierung zu behandeln, ob sie am Ende eine
nom Erasmus und schickt seine junge Gattin Dionysia ins
Leben hinaus. Sie möge allen ihren Wünschen nachgehen,
Schwäche war, diese Wirklichkeitsferne — darüber soll mit

möge die Welt und sich selbst erfahren und, wenn sie endlich
dem Dichier nicht gerechtet werden.
darnach Verlangen trage, müde oder satt oder wunschlos ge¬
Der Griffelkünstler wird es vielleicht schon getan haben.
worden, so solle sie zu ihm zurückkehren. Er werde in Liebe
Er hat mit seinen neuen Radierungen keine leichte Aufgabe
ihre Rückkunft erwarten. Dionysia — („Erasmus": der
gehabt. So sehr sich denken läßt, daß Schmuzers vor¬
Weise Kühle, Gelehrte, „Dionysia“: die Sehnsuchtgequälte,
treffliche und feinfingrige Art zum Wesen Schnitzlers passen
Rauschbedürftige). Dionysia hat in raschem wirbelartigem
müßte, hier paßt sie nicht. Oder ist es am Ende nicht der rich¬
Aufstieg fünf große Erlebnisse: Ein idyllisches, sie zieht
tige Schnitzler gewesen? Das Unentschiedene der literarischen
mit einem flötenblasenden Schäfer als Hirtin durchs Land,
Stilisierung macht es dem Illustrator fast unmöglich, etwas
ein vornehm bürgerliches, sie wird Fabrikherrin und Wohl¬
zu geben, was man als wirkliche Bereicherung des Phantasie¬
täterin der Armen, ein landstreicherhaftes, wildes, sie gerät
bildes betrachten könnte. Das Abstrakte der Novelle wird jede
Illustration, falls diese nicht geradezu die Führung über¬
unter eine Schar von Revolutionären, ein romantisch=heroi¬
nehmen will, abträglich sein, da der inneren Vorstellung von
*)= Arthur Schnitzler. „Die Hirtenflöte“. Mit
vornherein zu viel Möglichkeiten und zu wenig Richtlinien ge¬
boten sind. In dem kleinen Bildchen überwiegt zudem das
neun Radierungen von Ferdinand Schmutzer. Wien 1912.
Deutsch=österreichischer Verlag. (Buchdecke nach einem Entwurf] Milieu, hier hätten Figuren sprechen sollen.
Immerhin: drei Wiener Meister, angesehen und von wah¬
von Josef Hoffmann.)