Hirtenfloe
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25. Die Mle
1
WALLY ZEPLER: DIE NEUE FRAU IN DER NEUEN FRAUENDICHTUNG
und mit köstlicher Plastik hingestellte Figur) sind in all ihrer äußern Gegen¬
sätzlichkeit dennoch Kinder des gleichen Erden- und Himmelsverlangens. Es
sind die Phantasiereichen unter den Frauen, denen wie den Männern gleicher
Art Liebe, Kunst, Naturgefühl, aller Aufschwung der Seele fast in ein Er¬
leben zusammenfließt, die Künstlernaturen, denen die Kunstbegabung ver¬
sagt ist, und die nun in der Wirklichkeit die Nahrung für ihren Schön¬
heitshunger suchen.
Ach ja, die ruhevollen Bäumel sie erschienen der unruhvollen Felsken wie lästige
Prediger mit ihrer großen Geduld. Sie so vollständig, schön versorgt und bekleidet,
und ihr Herz von sengenden Gefühlen durchfressen, voller Makel.
Weil dieser Gegensatz so furchtbar ist, weil sie nicht ruhevoll und schön
sein kann wie die Bäume oder wie das Meer, das sie einmal sah, weil ihre
schäumende Tatkraft sich überall an der Enge des Lebens wund stößt,
darum wird die Felsken trotzig und böse.
Und meine Gefühle hören nicht auf wie Vögel mit den Köpfen an die Wände des
gläsernen Käfigs zu stürzen. Das ungeduldige Herz klopft, klopft, als hätte es nun
endlich einen andern Rhythmus verdient und sei der Einzelhaft und des abgeson¬
derten Daseins müde; es möchte sich dahin wenden, wo es — ach ja, wohin?e
Und anderswo:
„Wohl den Unzufriedenen, den Unruhigen, den Hungrigen! Wehe den Bescheidenen,
Behaglichen, Trägenle
Endlich die wunderschöne und echt Siewertsche Stelle:
Ast es nicht im Grunde ganz gleich, wann der Vorhang riß und das himmlische
Genügen den Weg zu uns fand? Wenn es nur einmal den Weg zu uns fand, kann
es jeden Augenblick wiederkommen. Und wenn es nicht wiederkommt, ist das
Wissen darum, daß es so etwas gibt wie himmlisches Genügen, nicht genug Glück?
Ach, es ist nicht genug Glück, aber das liegt an unserer Gier und Grobheit und der
Entfremdung von unserer tatsächlich nährenden Lebensquelle,g
Ja, das Genügene kommt für die armen sehnsüchtigen Menschenkinder eben
nicht, die ewig nach der trunkenen Schönheit der hohen weihevollen Stunden
dursten und in all dem traurigen Abstieg bis zu Verfall und Tod doch nie¬
mals aufhören wollen wie gefangene Vögel an die Wände ihres Käfigs zu
stoßen. Und die so sind, würden wohl bald an ihrer wilden Sehnsucht
sterben, wenn nicht der Schöpfergenius ewiger Wiedergeburt auch in ihnen
spräche, wenn sie nicht von neuem zur Freude erwachen und sich eins fühlen
könnten mit der Erhabenheit des Alls, wenn sie nicht wüßten, odaß das Leben
ringt und etwas will, irgendwo hinaus will, außerhalb des Augenscheinse.
Das ist der Glaube, der schließlich alle Qual versöhnend löst. Er durch¬
leuchtet Elisabeth Siewerts Welt und läßt sie jedes Große und Kleine dieser
Erde mit jenem echten Humor betrachten, der für unsere vergänglichen
Schmerzen zuletzt doch immer noch ein melancholisch heiteres Lächeln hat.
MRTHUR Schnitzler hat in einem psychologisch sehr interessanten
literärischen Versuch (der zwar nicht direkt, wohl aber dieses
innern Zusammenhangs wegen in unser Thema gehört) das Problem
behandelt, welche Liebes- und Lebensmöglichkeiten wohl in einem
WMenschen schlummern mögen, der im alltäglichen Ablauf einer
bürgerlich umhegten Existenz ein unangefochten ruhiges Dasein führt. Eine
junge Frau, die den ältern Gatten mit zärtlicher Treue zu lieben glaubt, wird
.
von ihm der Freiheit und ihren Fahrnissen preisgegeben, der sie folgen solle,
um odas tiefste Geheimnis ihrer Seele zu weckene und zihr Schicksal zu er¬
füllenz. Schon der erste Lockruf aus den Klängen einer Hirtenflöte zieht
sie nach sich mit unwiderstehlicher Gewalt. Und andere Melödieen tönen
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25. Die Mle
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WALLY ZEPLER: DIE NEUE FRAU IN DER NEUEN FRAUENDICHTUNG
und mit köstlicher Plastik hingestellte Figur) sind in all ihrer äußern Gegen¬
sätzlichkeit dennoch Kinder des gleichen Erden- und Himmelsverlangens. Es
sind die Phantasiereichen unter den Frauen, denen wie den Männern gleicher
Art Liebe, Kunst, Naturgefühl, aller Aufschwung der Seele fast in ein Er¬
leben zusammenfließt, die Künstlernaturen, denen die Kunstbegabung ver¬
sagt ist, und die nun in der Wirklichkeit die Nahrung für ihren Schön¬
heitshunger suchen.
Ach ja, die ruhevollen Bäumel sie erschienen der unruhvollen Felsken wie lästige
Prediger mit ihrer großen Geduld. Sie so vollständig, schön versorgt und bekleidet,
und ihr Herz von sengenden Gefühlen durchfressen, voller Makel.
Weil dieser Gegensatz so furchtbar ist, weil sie nicht ruhevoll und schön
sein kann wie die Bäume oder wie das Meer, das sie einmal sah, weil ihre
schäumende Tatkraft sich überall an der Enge des Lebens wund stößt,
darum wird die Felsken trotzig und böse.
Und meine Gefühle hören nicht auf wie Vögel mit den Köpfen an die Wände des
gläsernen Käfigs zu stürzen. Das ungeduldige Herz klopft, klopft, als hätte es nun
endlich einen andern Rhythmus verdient und sei der Einzelhaft und des abgeson¬
derten Daseins müde; es möchte sich dahin wenden, wo es — ach ja, wohin?e
Und anderswo:
„Wohl den Unzufriedenen, den Unruhigen, den Hungrigen! Wehe den Bescheidenen,
Behaglichen, Trägenle
Endlich die wunderschöne und echt Siewertsche Stelle:
Ast es nicht im Grunde ganz gleich, wann der Vorhang riß und das himmlische
Genügen den Weg zu uns fand? Wenn es nur einmal den Weg zu uns fand, kann
es jeden Augenblick wiederkommen. Und wenn es nicht wiederkommt, ist das
Wissen darum, daß es so etwas gibt wie himmlisches Genügen, nicht genug Glück?
Ach, es ist nicht genug Glück, aber das liegt an unserer Gier und Grobheit und der
Entfremdung von unserer tatsächlich nährenden Lebensquelle,g
Ja, das Genügene kommt für die armen sehnsüchtigen Menschenkinder eben
nicht, die ewig nach der trunkenen Schönheit der hohen weihevollen Stunden
dursten und in all dem traurigen Abstieg bis zu Verfall und Tod doch nie¬
mals aufhören wollen wie gefangene Vögel an die Wände ihres Käfigs zu
stoßen. Und die so sind, würden wohl bald an ihrer wilden Sehnsucht
sterben, wenn nicht der Schöpfergenius ewiger Wiedergeburt auch in ihnen
spräche, wenn sie nicht von neuem zur Freude erwachen und sich eins fühlen
könnten mit der Erhabenheit des Alls, wenn sie nicht wüßten, odaß das Leben
ringt und etwas will, irgendwo hinaus will, außerhalb des Augenscheinse.
Das ist der Glaube, der schließlich alle Qual versöhnend löst. Er durch¬
leuchtet Elisabeth Siewerts Welt und läßt sie jedes Große und Kleine dieser
Erde mit jenem echten Humor betrachten, der für unsere vergänglichen
Schmerzen zuletzt doch immer noch ein melancholisch heiteres Lächeln hat.
MRTHUR Schnitzler hat in einem psychologisch sehr interessanten
literärischen Versuch (der zwar nicht direkt, wohl aber dieses
innern Zusammenhangs wegen in unser Thema gehört) das Problem
behandelt, welche Liebes- und Lebensmöglichkeiten wohl in einem
WMenschen schlummern mögen, der im alltäglichen Ablauf einer
bürgerlich umhegten Existenz ein unangefochten ruhiges Dasein führt. Eine
junge Frau, die den ältern Gatten mit zärtlicher Treue zu lieben glaubt, wird
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von ihm der Freiheit und ihren Fahrnissen preisgegeben, der sie folgen solle,
um odas tiefste Geheimnis ihrer Seele zu weckene und zihr Schicksal zu er¬
füllenz. Schon der erste Lockruf aus den Klängen einer Hirtenflöte zieht
sie nach sich mit unwiderstehlicher Gewalt. Und andere Melödieen tönen