Hir
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25. Die mmsuumanusse
WALLY ZEPLER: DIE NEUE FRAU IN DER NEUEN FRAUENDICHTUNG
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und rufen, und immer wieder folgt sie, in Wonne, in Glut, in Wollust, zu¬
letzt in Mord und Verderben. Dann kehrt sie zu dem Gatten zurück, der
versprach sie stets wieder aufzunehmen, ohne je dem Schicksal nachzufragen,
das sie durchlebte. Alle Leidenschaften haben indessen ihre Runen in ihr
Herz gegraben. Und nun klagt sie den Mann an, der sie freiwillig ihrem
wilden Geschick in die Arme trieb.
„ln der Beschränkung, die du mir zuerst bereitet und wo alles Pflicht wurde, war
mir versagt mich zu finden. Im Grenzenlosen, wohin du mich sandtest, und wo alles
Lockung war, mußte ich mich verlieren. Ich weiß nicht, wer ich bin... Wärst du
erschaudert vor dem Hauch der tausend Schicksale, der um meine Stirn fließt, so
könnten wir einander verstehen ... So aber, graut mich vor der steinernen
Fratze deiner Weisheit.e
Mit diesem Schluß gibt, wie mir scheinen will, der Dichter sich selber un¬
recht. Der wahrhafte Sinn seiner Dichtung steckt gerade in dem tiefern Er¬
kennen seines Weisen, daß ein Mensch sein Leben nur erfüllte, wenn er alle
seine Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Freilich, welche Möglichkeiten in
ihm schlummern: darauf gerade kommt es an. Und hier steht die Frau
der Hirtenflöte ganz anders da als die Figur des männlichen Geschlechts,
die man, oberflächlich gesehen, ihr an die Seite stellen möchte: der Don
Juan. Sie ist (bei aller Aktivität im Leben) das ewige Passivum, bestimmt
von Trieben, die sie selber nicht zu gestalten vermag, und die sie am Ende
herunterziehen und sich selbst fremd machen müssen. Während Don Juan
den Träumen des Herzens nachgeht und in dem ewig andern Spiel des
Suchens und Findens das Verlangen nach dem Urbild seiner Sehnsucht formt
und umformt, seine Liebe zur einzigen Donna Anna in wahnsinnigem Be¬
gehren neu schafft (und noch die Zerlinen und die Kammermädchen neben¬
bei in eine Sphäre hebt, von der sie nie wieder in das alte Nichts sinken
können).
Welch ein anderes Gesicht zeigt vorläufig der weibliche Don Juan. In der
Erzählung Von Paul zu Pedro läßt Gräfin Reventlow die bunten Liebes¬
episoden einer schönen Frau an uns vorüberziehen, die ihr Abenteuerdrang
in einen Wirbel toller Liebesstürme reißt, oder richtiger: nicht toller Stürme
sondern nur sanirer kosender Winde und lustiger Brisen.*) Denn freilich hat
ihre Heldin für viele Frauen recht, wenn sie aller Romantik in der Auf¬
fassung der weiblichen Liebe gegenüber realistisch sagt:
Ach, mein Gott, wenn alles immer Liebe oder auch nur etwas Ahnliches sein sollte,
wo käme man da hin? Jedesmal Seligkeit, wenn es anfängt, Konflikte, während es
dauert, und große Tragik, wenn es zu Ende geht ... Es ist doch jedesmal etwas
anderes, was uns zu den verschiedenen Menschen hinzieht
Aber dieser Frau fehlt leider doch das beste, gerade das, was der Leiden¬
schaft des Don Juan die Tragik und die Größe gibt: eben das Suchen nach der
Schöpfung jenes Urbilds der Liebe, das in der eigenen Seele wohnt. Deshalb
bleibt sie im Grunde nur eine mit Crotischem Firnis überzogene Dame der
Gesellschaft.
Weit ernsthafter packt eine Russin, zwar nicht das gleiche, aber doch ein
verwandtes Problem an, die Frage: ob eine Doppelliebe möglich ist. Die
Geschichte des Grafen von Gleichen, die Schmidtbonn in seinem Drama
wiederzubeleben suchte, ist wohl die erste und bis dahin einzige dichterische
Darstellung einer solchen Doppelliebe. Weder ohne seine Gattin noch ohne
die junge Naemi, die ihn aus der Gefangenschaft befreite, vermag der Graf
*) Der Roman Von Paul zu Pedro von F. Gräfin zu Reventlow erschien 1912 bei Langen in München.
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25. Die mmsuumanusse
WALLY ZEPLER: DIE NEUE FRAU IN DER NEUEN FRAUENDICHTUNG
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und rufen, und immer wieder folgt sie, in Wonne, in Glut, in Wollust, zu¬
letzt in Mord und Verderben. Dann kehrt sie zu dem Gatten zurück, der
versprach sie stets wieder aufzunehmen, ohne je dem Schicksal nachzufragen,
das sie durchlebte. Alle Leidenschaften haben indessen ihre Runen in ihr
Herz gegraben. Und nun klagt sie den Mann an, der sie freiwillig ihrem
wilden Geschick in die Arme trieb.
„ln der Beschränkung, die du mir zuerst bereitet und wo alles Pflicht wurde, war
mir versagt mich zu finden. Im Grenzenlosen, wohin du mich sandtest, und wo alles
Lockung war, mußte ich mich verlieren. Ich weiß nicht, wer ich bin... Wärst du
erschaudert vor dem Hauch der tausend Schicksale, der um meine Stirn fließt, so
könnten wir einander verstehen ... So aber, graut mich vor der steinernen
Fratze deiner Weisheit.e
Mit diesem Schluß gibt, wie mir scheinen will, der Dichter sich selber un¬
recht. Der wahrhafte Sinn seiner Dichtung steckt gerade in dem tiefern Er¬
kennen seines Weisen, daß ein Mensch sein Leben nur erfüllte, wenn er alle
seine Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Freilich, welche Möglichkeiten in
ihm schlummern: darauf gerade kommt es an. Und hier steht die Frau
der Hirtenflöte ganz anders da als die Figur des männlichen Geschlechts,
die man, oberflächlich gesehen, ihr an die Seite stellen möchte: der Don
Juan. Sie ist (bei aller Aktivität im Leben) das ewige Passivum, bestimmt
von Trieben, die sie selber nicht zu gestalten vermag, und die sie am Ende
herunterziehen und sich selbst fremd machen müssen. Während Don Juan
den Träumen des Herzens nachgeht und in dem ewig andern Spiel des
Suchens und Findens das Verlangen nach dem Urbild seiner Sehnsucht formt
und umformt, seine Liebe zur einzigen Donna Anna in wahnsinnigem Be¬
gehren neu schafft (und noch die Zerlinen und die Kammermädchen neben¬
bei in eine Sphäre hebt, von der sie nie wieder in das alte Nichts sinken
können).
Welch ein anderes Gesicht zeigt vorläufig der weibliche Don Juan. In der
Erzählung Von Paul zu Pedro läßt Gräfin Reventlow die bunten Liebes¬
episoden einer schönen Frau an uns vorüberziehen, die ihr Abenteuerdrang
in einen Wirbel toller Liebesstürme reißt, oder richtiger: nicht toller Stürme
sondern nur sanirer kosender Winde und lustiger Brisen.*) Denn freilich hat
ihre Heldin für viele Frauen recht, wenn sie aller Romantik in der Auf¬
fassung der weiblichen Liebe gegenüber realistisch sagt:
Ach, mein Gott, wenn alles immer Liebe oder auch nur etwas Ahnliches sein sollte,
wo käme man da hin? Jedesmal Seligkeit, wenn es anfängt, Konflikte, während es
dauert, und große Tragik, wenn es zu Ende geht ... Es ist doch jedesmal etwas
anderes, was uns zu den verschiedenen Menschen hinzieht
Aber dieser Frau fehlt leider doch das beste, gerade das, was der Leiden¬
schaft des Don Juan die Tragik und die Größe gibt: eben das Suchen nach der
Schöpfung jenes Urbilds der Liebe, das in der eigenen Seele wohnt. Deshalb
bleibt sie im Grunde nur eine mit Crotischem Firnis überzogene Dame der
Gesellschaft.
Weit ernsthafter packt eine Russin, zwar nicht das gleiche, aber doch ein
verwandtes Problem an, die Frage: ob eine Doppelliebe möglich ist. Die
Geschichte des Grafen von Gleichen, die Schmidtbonn in seinem Drama
wiederzubeleben suchte, ist wohl die erste und bis dahin einzige dichterische
Darstellung einer solchen Doppelliebe. Weder ohne seine Gattin noch ohne
die junge Naemi, die ihn aus der Gefangenschaft befreite, vermag der Graf
*) Der Roman Von Paul zu Pedro von F. Gräfin zu Reventlow erschien 1912 bei Langen in München.