I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 45

23. Der Nec ins Freie
box 3/1
I 2 A J 4 un . A. —
eter
Tawad
44 04 40c 08
012 150
Der Wegins Freie. Roman von Arthur Schnitzler.
S. Fischer, Verlag, Berlin.)
Von Keyserling führen heimliche Fäden zu Schnitzler hinüber.
Der litanische Graf ist verwachsen mit alter Kultur, der öster¬
reichische Dichterarzt infiziert mit Kultiviertheit. Das gibt bei ihm
ähnliche leise und schwermütige Klänge und eine feine Politur der
3
Sprache. Leise Wehmut lagert auch über Schnitzlers Dichtungen,
ein feines Lächeln schwebt hindurch. Man merkt wohl, die müde
Grazie, die bleiche Lässigkeit ist scharmant beherrschter Stil der
Dekadenz, Künstlichkeit, wo Keyserling aus seinem Blute gibt. Aber
die capuanische Kultiviertheit Schnitzlers mit dem vornehmen Schliff
macht ihn zu einem liebenswürdigen Autor, auch wo er so schwäch¬
lich wird wie in diesem neuen Roman. Im Brennpunkt natürlich
wieder ein Lebejüngling Georg von Wergenthin, der distinguierte
Genießer, dem das Plebejertum auf die musikalischen Nerven geht.
Neben diesem aristokratischen Komponisten natürlich auch das süße
Mädel. Und die obligate Schnitzlersche Liebelei beginnt. Das
Mädchen wird Mutter, aber mit dem toten Kinde stirbt auch die
Liebe des stark mit Egoismus behafteten Georg von Wergenthin.
Daß dieser das traurige Spiel mit Gefühlen abbricht, zu deutsch,
daß er das hingebende süße Mädel sitzen läßt, weil er eine Künstler¬
seele besitzt, die keine Fesseln tragen kann
das ist der Weg
ins Freie. Schnitzler weiß das alles natürlich mit stiller
Anmut und reizvoller Dialektik vorzutragen. Aber wir stehen
diesem frommen Betrug doch kühl gegenüber. Dieser Lebejüngling,
der sich mit so hohen Worten seine Junggesellenfreiheit rettet, ist
zwar ein Lebenskünstler, im übrigen aber sind seine kleinen
Empfindungen und sein sogenannter Lebenskampf von einer ver¬
teufelten Banalität. Die Geschichte lebt von ihrer vibrierenden
Erotik und der Schnitzlerschen zärtlichen Musik, in der sie vor¬
getragen wird. Am Ende aber sieht man ernüchtert das echte Gesicht
Schnitzlers:
das Spielerische seiner Muse. Liebelei, Sterbelei,
Empfindelei, Kämpfelei! Seine Menschen spielen mit allem, selbst
mit ihrem Intellekt. Es sind vorwiegend Juden, die um den
„Helden“ des neuen Romans gruppiert sind. Wie sie um die Juden¬
#frage herumsprecheln, und wie an der Tragik des Judentums die
Seelen dieser jüdischen Jünglinge in gehobener Lebenslage mit
affektierter Wohlredenheit leiden — das alles zeigt Schnitzler in
einer Stärke der leichten Causerie, aber auch in seiner Schwäche,
die an den Dingen eben nur herumzuspielen weiß.
Telephon 12801.
7n
km
4
#
teter # Ken
340
G l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
4
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.:
*
6 Ausschnitt aßheinisch Westph. Zeitung, Esser
n
6 7 1908
E vom:
Der neue Schnitzler.
Arthur Schnitztenorre=Fus rstelf Mic Mik einem großen
oman an die Oeffentlichkeit. Er heißt „Der Weg ins
Freie“ (Berlin, S. Fischer) und er weckt schon durch seinen
Titel bedeutende Hoffnungen. Man hatte schon immer das
Gefühl, Schnitzler würde einmal jenes gefährliche Oester¬
reichertum überwinden, das in der durchaus sekundären
Poesie eines Hugo von Hofmannsthal am stärksten in Er¬
scheinung getreten ist. Diese Art Poeten hat ähnlich wie
ein D'Annunzio allzuviel Bildung, zu viel künstlerischen
Ballast, zu viel fertige Bilder und Begriffe in sich aufge¬
nommen, um noch etwas wirklich Schöpferisches, das aus
wahren Seelentiefen hervorquillt, produzieren zu können.
Der Erfolg dieser Schriftsteller darf uns nicht darin be¬
irren, daß sie im Grunde nur in der Art des Schauspielers
feinsinnig interpretieren und reproduzieren, aber eben
nichts schaffen, was nicht schon vorher dagewesen ist.
Schnitzler scheidet sich von diesen Geistern dadurch, daß er
ein ausgezeichneter Seelenkenner und Seelenkünder ist und
wie wenige neben ihm die seltsam verwirrte Psyche des
— —
Weibes kennt. Aber wenn sein Talent für die Novellistik
und das Dramolet ausreicht, für jene überaus feinen, mit
der Wiener Kultursphäre gesättigten Bilder, wie sie uns
gleich sei Anatol gegeben hat, so versagt er im Drama
großen Stils und im eigentlichen Roman. Auch sein „Weg
ins Freie“ ist im Grunde nur eine langgezogene Nov#l#
in der das Liebesverhältnis zwischen einem Baron und
Kunstdilettanten und einem Mädchen aus kleinbürgerlichem
Kreise m#t großer Ausführlichkeit dargestellt wird, während
die Typen der Wiene: Gesellschaft, die nebenher gehen, nur
wie im Fluge gesehen und mit einer beinahe äbsichtlichen
Flüchtigkeit skizziert sind. Wohl hat unser Roman n
Problem, das von den auftretenden Personen wieder und
wieder diskutiert und von Schnitzler mit vornehmer Objek¬
tivität dargestellt wird. Es ist das Problem der Hesmat¬
losigkeit des modernen Juden, der hier in den verschiedensten
Typen dargestellt wird.
Da finden wir den modernen
Zionisten, der alles Heil von dem neuen Königreich Jerusa¬
lem erwartet, wie den Juden alten Stils, der sich entschieden
aufbäumt gegen die beleidigende Toleranz, die man seinen
Stammesgenossen entgegenbringt. Den skeptischen israeb¬
tischen Literaten mit der zerrissenen, selbstironisierenden
Note, den Juden, der seine Rasse absichtlich überall hervor¬
kehrt, und den andern Typus des Snobisten und Dekadenten.
welcher seine Abstammung ebenso ängstlich verbirgt.
Aber man muß sagen, daß Schnitzler diese Probleme fein¬
sitznia erkennt, um sie doch mit Worten abzutun. Seine
psychologische Art des Zusehens und des Sichnichtberühren¬
lassens, die er auf einen Helden übertragen hat, geht den
Könflikten aus dem Wege und erlebt sie nur auf Sekunden.
Ist das wirklich das Leben? Wir sehnen uns gewiß nicht im
Roman nach einem Helden, aber wenn durchaus ein Held
sein soll, brauchte er wenigstens nicht nach dem Vorbilde
Oswald Steins aus den „Problematischen Naturen“ zu ge¬
raten, sich uns als ein Mann vorzustellen, dem trotz geringer
Qualitäten jedes dieser zum Teil recht erfahrenen Mädchen¬
herzen entgegenschlägt, um sich, wenn die Stunde naht, von
ehm verführen zu lassen.
Der Dichter mag einwenden:
Aber so ist unsere Zeit, und so ist das spezifische Wiener¬
tum unserer Tage. Gut, aber wo bleibt denn das, was
über der süßen Weiblichkeit dieser pflichtlosen Existenzen
steht, und wo ist hier der Weg, der ins Freie führt. Unser
Baron wird Vater eines Kindes, das tot zur Welt kommt,
verläßt die Geliebte, um eine Kapellmeisterstelle in Detmold
anzunehmen und sein Leben weiterzugenießen. Ist das
der Weg ins Freie?
Hans Landsberg.“