I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 46

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(Quellenangabe ohne Gewähr.
6 Ausschnitt aus:
E vom: 11.0l. 1906
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Der Wegins Freie. Roman von Arthur Schnitzler.
(S. Fischer, Verlag, Berlin.)
Von Keyserling führen heimliche Fäden zu Schnitzler hinüber.
Der litauische Graf ist verwachsen mit alter Kultur, der öster¬
reichische Dichterarzt infiziert mit Kultiviertheit. Das gibt bei ihm
ähnliche leise und schwermütige Klänge und eine feine Politur der
Sprache. Leise Wehmut lagert auch über Schnitzlers Dichtungen,
ein feines Lächeln schwebt hindurch. Man merkt wohl, die müde
Grazie, die bleiche Lässigkeit ist scharmant beherrschter Stil der
Dekadenz, Künstlichkeit, wo Keyserling aus seinem Blute gibt. Aber
die capuanische Kultiviertheit Schnitzlers mit dem vornehmen Schliff
macht ihn zu einem liebenswürdigen Autor, auch wo er so schwäch¬
lich wird wie in diesem neuen Roman. Im Brennpunkt natürlich
wieder ein Lebejüngling Georg von Wergenthin, der distinguierte
Genießer, dem das Plebejertum auf die musikalischen Nerven geht.
Neben diesem aristokratischen Komponisten natürlich auch das süße
Mädel. Und die obligate Schnitzlersche Liebelei beginnt. Das
Mädchen wird Mutter, aber mit dem toten Kinde stirbt auch die
Liebe des stark mit Egoismus behafteten Georg von Wergenthin.
Daß dieser das traurige Spiel mit Gefühlen abbricht, zu deutsch,
daß er das hingebende süße Mädel sitzen läßt, weil er eine Künstler¬
seele besitzt, die keine Fesseln tragen kann — das ist der Weg
ins Freie. Schnitzler weiß das alles natürlich mit stiller
Anmut und reizvoller Dialektik vorzutragen. Aber wir stehen
diesem frommen Betrug doch kühl gegenüber. Dieser Lebejüngling,
der sich mit so hohen Worten seine Junggesellenfreiheit rettet, ist
zwar ein Lebenskünstler, im übrigen aber sind seine kleinen
Empfindungen und sein sogenannter Lebenskampf von einer ver¬
teufelten Vanalität. Die Geschichte lebt von ihrer vibrierenden
Erotik und der Schnitzlerschen zärtlichen Musik, in der sie vor¬
getragen wird. Am Ende aber sieht man ernüchtert das echte Gesicht
Schnitzlers: das Spielerische seiner Muse. Liebelei, Sterbelei,
Empfindelei, Kämpfelei! Seine Menschen spielen mit allem, selbst
mit ihrem Intellekt. Es sind vorwiegend Juden, die um den
„Helden“ des neuen Romans gruppiert sind. Wie sie um die Juden¬
frage herumsprecheln, und wie an der Tragik des Judentums die
Seelen dieser jüdischen Jünglinge in gehobener Lebenslage mit
affektierter Wohlredenheit leiden — das alles zeigt Schnitzler in
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cineSlärke der leichten Canserie, aber auch in seiner Schwäche,
#e an den Dingen eben nur herumzuspielen weiß.

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-8 Der Weg ins Freie; Roman von Arthur Schnitzler.
S. Fischers Verlag, Bexlin. — Das unlängst heraus¬
gekommene Buch ist svon einem Teil der Wiener Kritik
als der Wiener Roman begrüßt worden. Einem Fern¬
stehenden wird das etwas als lokalpatriotischer Ueber¬
schwang erscheinen; denn um der Wiener Roman
I,
müßte „Der Weg ins Freie“ doch wohl Leben,
und Fühlen des ganzen Wiener Volkes in sich
was er aber nicht tut. Wie dem jedoch sei, man
hier mit einem Wiener Roman zu tun, dem gege
c
literarische Begeisterung wie Freude am Stofflichen in
gleicher Weise gestattet ist. Der Kenner Wiens merkt
sofort, daß hier eine gewisse Schicht der Bevölkerung,
jene breite, nach oben wie nach unten sich weit aus¬
dehnende mittlere Gesellschaftsklasse, deren Eigenart die
krause Mischung und die reichliche Durchsetzung mit
jüdischem Elemente ist, von einem profunden Kenner ge¬
schildert ist. Und da dieses Milieu eine so große
Rolle in Wien spielt, politisch und wirt¬
schaftlich eine solche Bedeutung hat,
mag die
Bezeichnung „Der Wiener Roman“ eine gewisse Berechti¬
gung haben. Mit welcher intensiven, aber nicht
lichen Kunst Personen, Schauplatz und Gesche
gestellt werden, das braucht von einem so hei
Vertreter des modernen Romans, wie Arth
ist, nicht mehr gesagt zu werden. Weit fessel
ist das Psychologische des Buches; hier weist es e
ebenso reichen als tiefen Inhalt auf, eine Fülle kluge
Gedanken und feiner Beobachtungen, Reflexionen, die sich
mit Vorliebe schwereren Gegenständen zuwenden und hier
zu den fesselndsten Ergebnissen kommen. In einem Punkte
nur möchte es dem Nicht=Wiener scheinen, als sei des
Guten zu viel getan, nämlich in der Erörterung der Juden¬
frage. Allerdings spielt diese ja in Wien eine ganz be¬
sonders hervorragende Rolle, und so rechtfertigt es sich
für den mit dem Wiener Milieu verwachsenen Verfasser,
daß er sie immer wieder und oft von neuen Seiten her
erörtert. Immerhin aber vermag Schnitzler das Interesse
am Stofflichen so stark anzuspannen, für das Geistige seiner
Personen soviel Sympathie zu erwecken, daß man zu un¬
behaglichen Gefühlen kaum kommt. Der Roman darf
beanspruchen, unter die besten Erscheinungen auf seinem
Gebiete gestellt zu werden; man nimmt von ihm einen
lange nachhaltenden Eidruck mit.