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Freie
ins
Der Neg
23 J K neenennenenee
a sunct Waer Aualur“
2/0. Ae 8.
M0 J
6
Arthur Schnitzler kennen wir bisher als Novellisten und
Dramatiker. In seinem ersten großen Roman erzählt er die
Liebesgeschichte zwischen einem musikalischen Baron und einer
Musiklehrerin. Den Hintergrund bildet ein reicher Ausschnitt
aus der Wiener Gesellschaft: Axistokraten, reiche und verarmte
Juden, Abgeordnete, Dichter und Journalisten. Da wird manch
feiner oder originell gewandter Gedanke gesprochen. Schnitzler¬
liebt, sprechen zu lassen, wie Fontane, aber ohne dessen Durch¬
seelung. Fontane braucht nur Menschen, Schnitzler braucht
Probleme; so wird die Judenfrage immer wieder Thema. Aber¬
Der versteht den Dialog, und noch eins — die Stimmung:
Bilder von Natur und Menschenleben sind von Stimmung durch¬
tränkt. Eine weiche Empfindung lauscht hinaus und fragt ins
Unbekannte, verschwebt vom ästhetischen Genuß zu melancholischen
Rätseln menschlicher Beziehungen und wiederholt weiche Töne
& wie Leitmotive — wir erkennen die Art der Wiener Künstler,
denen das Eisen im Blut fehlt. Die Dichterhand weiß nicht
Ffest zu fassen und zu formen. Das Ganze wie die einzelnen
Szenen sind mehr Mosaik als Einheit, ein Pointillismus, der
seine Farben auf der Netzhaut mischen möchte. Der Dichter
weiß eine ganze Menge Menschen zu bilden, etwas schattenhaft
zwar, doch genügt es für die Nebenfiguren. Aber merkwürdig,
Iije länger er einer seiner Figuren ins Gesicht sieht, um so mehr
was übrig bleibt, ist keine Per¬
—
verschwimmen die Umrisse,
sönlichkeit mehr, sondern, um mit den Worten seines Lands¬
manns zu reden, „wie der wesenlose Regenbogen spannt sich
Kunsere Seele über den unaufhaltsamen Sturz des Daseins.
Nach althergebrachter Moral könnte sein Held als Wüstling
gelten; aber kann man diesen Maßstab noch anlegen bei einem
Menschen, der nur eine Summe von Sensationen und Stimm¬
sungen ist? Eigentlich erweckt er keine lebendige Teilnahme,
dieser Wiener Baron, der in Detmold Kapellmeister wird. Denn
das ist das Eigentümliche, daß Schnitzler ihn kaum in Aktions
treten lassen kann; am liebsten und bequemsten macht er ihn
zum Zuhörer von Gesprächen, läßt Melodien in ihm aufrauschen
oder läßt ihn sich wundern über die seltsamen Beziehungen des
Lebens. In der Menschenbildung ist dieser Nachfahre Grillparzers
ein Epigone. Da nun der Held etwas Gewissenloses, Leicht¬
ffertiges, dabei beinah Unpersönlich hat, da die Raisonneure
le als allzumenschlich und
und Dialektiker des Romans die
ten vom Dichter in gleicher
unzulänglich entlarven und die I
eine Melancholie auf die
Weise demaskiert werden, so ler
isiger nach dem ästhetischen
Seele des Lesers, die ihn um
in läßt; so kommt der Leser
* Genuß an Ausdruck und Geste
g hinein, falls er sich dem
selbst in diese Wienerische St
ich die mannigfachen Breiten
Autor willig hingibt und ni
der Bewertung des Menschen¬
oder durch eine Verschiedenh
kt wird.
Daseins von der Lektüre ab
):
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Kan— g#g
1. Jdrer
(4e 462
10
Ein anderer Roman von ebenso leiser Zartheit und gelassener
Beobachtung der menschlichen Dinge, wie sie mitten im allgemeinen
Treiben unbeachtet im kleinsten Kreise vor sich gehen, bieiet der
bekannte Wiener Dichter Arthur Schnitzler in seinem bei
S. Fischer in Berlin erschienenen Roman Der-Weg ins Freie.
Wir können das schöne Buch dem vorherginanntenn deshall
nicht gleichstellen, weil sein künstlerischer Aufbau nicht so rein und
weil es auch nicht ganz so reich an minschlichem Inhalt ist
Ein junger Wiener Baron, der die Absicht hat, sich zum Kapell¬
meister auszubilden, und daneben sich im Kreise wohlhabende
Lund eleganter Genossen an der Anmut des Wiener Lebens ergötzt
Flernt ein junges Mädchen aus kleinbürgerlichen Kreisen kennen
das sich als Privatlehrerin ernährt. Es entsteht eine ech
Schnitzlersche Liebelei, das Mädchen gibt sich dem jungen Mann
ssehr bald hin, und evenso bald zeigen sich die Folgen. Der Baroz
Ibenimmt sich sehr anständig, aber die Sache ist ihm doch unbequem
und er hütet sich, über zarte Aufmerksamkeit hinaus weiter zielend
Versprechungen zu machen. Das Mädchen kämpft den Kampf de
sogenannten Gefallenen im Grunde doch allein mit sich aus un
tut dies in aller Tapferkeit, des Kindes erwartungsvoll harrent
Diese Psychologie eines tüchtigen Mädchens, das sich mit de
Folgen eines Fehltrittes abzufinden hat, ist überaus zartsinn
durchgeführt, ohne irgendwelche laute Szenen, auf Grund einer gan
modernen großstädtischen Lebensanschauung, die nicht die Geschmac
losigkeit begeht, mit solchen Geschehnissen Tendenz zu treibe
sondern darin eben nur das sehr häufige, nicht aus der Welt
schaffende Kritisierbare, aber doch stets Wiederkehrende sieht,
den Beteiligten freilich wehtut, das diese aber auch als ein Schil
sal ansehen, das eben überwunden werden muß. Das Kind wi
geboren, stirbt aber kurz nach der Geburt. Das Mädchen wi
schwer von diesem Tode betroffen, denn all die seelischen Leiden u
Bangigkeiten, all die Furcht, sie waren vergebens, die Mutterfreu
ist ihr nicht geworden, nur ihre Reinheit hat sie verloren. Es
eine bittere Lehre für sie, und sie wird sich besinnen, noch einm
den Lockungen der Sinne zu folgen. Auch auf den Baron,
zugegen war, hat der Tod des Kinves einen tiefen Eindruck gemacht, u
die Vateridee mit ihren Verantwortlichkeiten ist ihm klarer geworde
aber glücklicherweise ist er ihren praktischen Folgerungen entronne
Die beiden Menschen gehen auseinander, sie zurück in ihre klei
Abürgerliche Alltäglichkeit, er ist Intendant an einem kleinen H##
theater geworden und wird dieselbe Lebensperiode, die für
Mädchen eine Offenbarung war und diesem ein neues Weltb
gegeben hat, bald in andern galanten Erlebnissen vergessen.
ist eben ein Wiener, ein guter Mensch, der vorübergehend
gerührt sein, sehr bereuen kann, aber die Charakterstärke n
besitzt, diese allgemeine Gutmütigkeit zu einem sittlichen Ernste
entwickeln. Manche Leser mögen ja einen solchen Schluß ol
Spitze tadeln, und namentlich das Damenpublikum dürfte er v##
stimmen, deshalb darf er aber doch nicht als verfehlt angese
werden. Es liegt in ihm eine stille Ironie der Dinge, an der
Lebenskenner nicht zweifeln kann. Viel Leidenschaft, viel ##
und Schmerz wird in dieser Welt unserer modernen, nicht i
#allzu gefühlsstarken Kultur ziellos verton. Etwas anderes is
dem Buche von künstlerischem Gesichtspunke aus sehr bedenk
Schnitzler stellt neben diese Liebesgeschichte noch einen Ausblick¬
die Judenfrage, wie sie sich in Wien und in den dortigen bes
Kreisen abspielt. Er ist selbst Jude und wollte sich gen
Empfindungen vom Herzen reden. Das kann man ihm nicht
argen, und es hätte dies ja auch als ein charakteristischer Be
zum Wiener Milieu der Geschichte in gewissen Grenzen Berechti
haben können: aber es brängt sich zu sehr vor und ist1
äußerlich locker an die Haupthandlung angegliedert. Me
auch keine rechte, ein Mitgefühl bewirkende innere Bewegun
handelt sich um gelegentliche lange Gespräche und um Refle
in denen ein vornehmer junger Jude sich darüber beschwert,
die christlichen Lebemänner, wenn sie auch im allgemeinen
keinen Antisemitismus bekunden, ihm doch gelegentlich zu verst
geben, daß er nicht ihresgleichen sei. Das kränkt ihn, den
beansprucht gerade so gut Vollblut=Wiener zu sein wie so un
viele andere, deren Ahnen auch von irgendwoher eingewandert
keine Ureinwohner Wiens sind. In diesem Sinne verwirf
auch die zionistische Bewegung, weil sie den Juden zumutet,
willig auf ein wichtiges Recht zu verzichten. Man mag das
Zeitbild, als Aeußerung jüdischer Kreise interessant finden,
aber nicht glücklich in das Kunstwerk eingefügt, das sonst in seiner!
Vornehmheit und feinfühligen Psychologie überaus sympathisch i
Weiter ist ein im Verlagshaus Vita in Berlin erschien
dem Regend
Freie
ins
Der Neg
23 J K neenennenenee
a sunct Waer Aualur“
2/0. Ae 8.
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Arthur Schnitzler kennen wir bisher als Novellisten und
Dramatiker. In seinem ersten großen Roman erzählt er die
Liebesgeschichte zwischen einem musikalischen Baron und einer
Musiklehrerin. Den Hintergrund bildet ein reicher Ausschnitt
aus der Wiener Gesellschaft: Axistokraten, reiche und verarmte
Juden, Abgeordnete, Dichter und Journalisten. Da wird manch
feiner oder originell gewandter Gedanke gesprochen. Schnitzler¬
liebt, sprechen zu lassen, wie Fontane, aber ohne dessen Durch¬
seelung. Fontane braucht nur Menschen, Schnitzler braucht
Probleme; so wird die Judenfrage immer wieder Thema. Aber¬
Der versteht den Dialog, und noch eins — die Stimmung:
Bilder von Natur und Menschenleben sind von Stimmung durch¬
tränkt. Eine weiche Empfindung lauscht hinaus und fragt ins
Unbekannte, verschwebt vom ästhetischen Genuß zu melancholischen
Rätseln menschlicher Beziehungen und wiederholt weiche Töne
& wie Leitmotive — wir erkennen die Art der Wiener Künstler,
denen das Eisen im Blut fehlt. Die Dichterhand weiß nicht
Ffest zu fassen und zu formen. Das Ganze wie die einzelnen
Szenen sind mehr Mosaik als Einheit, ein Pointillismus, der
seine Farben auf der Netzhaut mischen möchte. Der Dichter
weiß eine ganze Menge Menschen zu bilden, etwas schattenhaft
zwar, doch genügt es für die Nebenfiguren. Aber merkwürdig,
Iije länger er einer seiner Figuren ins Gesicht sieht, um so mehr
was übrig bleibt, ist keine Per¬
—
verschwimmen die Umrisse,
sönlichkeit mehr, sondern, um mit den Worten seines Lands¬
manns zu reden, „wie der wesenlose Regenbogen spannt sich
Kunsere Seele über den unaufhaltsamen Sturz des Daseins.
Nach althergebrachter Moral könnte sein Held als Wüstling
gelten; aber kann man diesen Maßstab noch anlegen bei einem
Menschen, der nur eine Summe von Sensationen und Stimm¬
sungen ist? Eigentlich erweckt er keine lebendige Teilnahme,
dieser Wiener Baron, der in Detmold Kapellmeister wird. Denn
das ist das Eigentümliche, daß Schnitzler ihn kaum in Aktions
treten lassen kann; am liebsten und bequemsten macht er ihn
zum Zuhörer von Gesprächen, läßt Melodien in ihm aufrauschen
oder läßt ihn sich wundern über die seltsamen Beziehungen des
Lebens. In der Menschenbildung ist dieser Nachfahre Grillparzers
ein Epigone. Da nun der Held etwas Gewissenloses, Leicht¬
ffertiges, dabei beinah Unpersönlich hat, da die Raisonneure
le als allzumenschlich und
und Dialektiker des Romans die
ten vom Dichter in gleicher
unzulänglich entlarven und die I
eine Melancholie auf die
Weise demaskiert werden, so ler
isiger nach dem ästhetischen
Seele des Lesers, die ihn um
in läßt; so kommt der Leser
* Genuß an Ausdruck und Geste
g hinein, falls er sich dem
selbst in diese Wienerische St
ich die mannigfachen Breiten
Autor willig hingibt und ni
der Bewertung des Menschen¬
oder durch eine Verschiedenh
kt wird.
Daseins von der Lektüre ab
):
4
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1. Jdrer
(4e 462
10
Ein anderer Roman von ebenso leiser Zartheit und gelassener
Beobachtung der menschlichen Dinge, wie sie mitten im allgemeinen
Treiben unbeachtet im kleinsten Kreise vor sich gehen, bieiet der
bekannte Wiener Dichter Arthur Schnitzler in seinem bei
S. Fischer in Berlin erschienenen Roman Der-Weg ins Freie.
Wir können das schöne Buch dem vorherginanntenn deshall
nicht gleichstellen, weil sein künstlerischer Aufbau nicht so rein und
weil es auch nicht ganz so reich an minschlichem Inhalt ist
Ein junger Wiener Baron, der die Absicht hat, sich zum Kapell¬
meister auszubilden, und daneben sich im Kreise wohlhabende
Lund eleganter Genossen an der Anmut des Wiener Lebens ergötzt
Flernt ein junges Mädchen aus kleinbürgerlichen Kreisen kennen
das sich als Privatlehrerin ernährt. Es entsteht eine ech
Schnitzlersche Liebelei, das Mädchen gibt sich dem jungen Mann
ssehr bald hin, und evenso bald zeigen sich die Folgen. Der Baroz
Ibenimmt sich sehr anständig, aber die Sache ist ihm doch unbequem
und er hütet sich, über zarte Aufmerksamkeit hinaus weiter zielend
Versprechungen zu machen. Das Mädchen kämpft den Kampf de
sogenannten Gefallenen im Grunde doch allein mit sich aus un
tut dies in aller Tapferkeit, des Kindes erwartungsvoll harrent
Diese Psychologie eines tüchtigen Mädchens, das sich mit de
Folgen eines Fehltrittes abzufinden hat, ist überaus zartsinn
durchgeführt, ohne irgendwelche laute Szenen, auf Grund einer gan
modernen großstädtischen Lebensanschauung, die nicht die Geschmac
losigkeit begeht, mit solchen Geschehnissen Tendenz zu treibe
sondern darin eben nur das sehr häufige, nicht aus der Welt
schaffende Kritisierbare, aber doch stets Wiederkehrende sieht,
den Beteiligten freilich wehtut, das diese aber auch als ein Schil
sal ansehen, das eben überwunden werden muß. Das Kind wi
geboren, stirbt aber kurz nach der Geburt. Das Mädchen wi
schwer von diesem Tode betroffen, denn all die seelischen Leiden u
Bangigkeiten, all die Furcht, sie waren vergebens, die Mutterfreu
ist ihr nicht geworden, nur ihre Reinheit hat sie verloren. Es
eine bittere Lehre für sie, und sie wird sich besinnen, noch einm
den Lockungen der Sinne zu folgen. Auch auf den Baron,
zugegen war, hat der Tod des Kinves einen tiefen Eindruck gemacht, u
die Vateridee mit ihren Verantwortlichkeiten ist ihm klarer geworde
aber glücklicherweise ist er ihren praktischen Folgerungen entronne
Die beiden Menschen gehen auseinander, sie zurück in ihre klei
Abürgerliche Alltäglichkeit, er ist Intendant an einem kleinen H##
theater geworden und wird dieselbe Lebensperiode, die für
Mädchen eine Offenbarung war und diesem ein neues Weltb
gegeben hat, bald in andern galanten Erlebnissen vergessen.
ist eben ein Wiener, ein guter Mensch, der vorübergehend
gerührt sein, sehr bereuen kann, aber die Charakterstärke n
besitzt, diese allgemeine Gutmütigkeit zu einem sittlichen Ernste
entwickeln. Manche Leser mögen ja einen solchen Schluß ol
Spitze tadeln, und namentlich das Damenpublikum dürfte er v##
stimmen, deshalb darf er aber doch nicht als verfehlt angese
werden. Es liegt in ihm eine stille Ironie der Dinge, an der
Lebenskenner nicht zweifeln kann. Viel Leidenschaft, viel ##
und Schmerz wird in dieser Welt unserer modernen, nicht i
#allzu gefühlsstarken Kultur ziellos verton. Etwas anderes is
dem Buche von künstlerischem Gesichtspunke aus sehr bedenk
Schnitzler stellt neben diese Liebesgeschichte noch einen Ausblick¬
die Judenfrage, wie sie sich in Wien und in den dortigen bes
Kreisen abspielt. Er ist selbst Jude und wollte sich gen
Empfindungen vom Herzen reden. Das kann man ihm nicht
argen, und es hätte dies ja auch als ein charakteristischer Be
zum Wiener Milieu der Geschichte in gewissen Grenzen Berechti
haben können: aber es brängt sich zu sehr vor und ist1
äußerlich locker an die Haupthandlung angegliedert. Me
auch keine rechte, ein Mitgefühl bewirkende innere Bewegun
handelt sich um gelegentliche lange Gespräche und um Refle
in denen ein vornehmer junger Jude sich darüber beschwert,
die christlichen Lebemänner, wenn sie auch im allgemeinen
keinen Antisemitismus bekunden, ihm doch gelegentlich zu verst
geben, daß er nicht ihresgleichen sei. Das kränkt ihn, den
beansprucht gerade so gut Vollblut=Wiener zu sein wie so un
viele andere, deren Ahnen auch von irgendwoher eingewandert
keine Ureinwohner Wiens sind. In diesem Sinne verwirf
auch die zionistische Bewegung, weil sie den Juden zumutet,
willig auf ein wichtiges Recht zu verzichten. Man mag das
Zeitbild, als Aeußerung jüdischer Kreise interessant finden,
aber nicht glücklich in das Kunstwerk eingefügt, das sonst in seiner!
Vornehmheit und feinfühligen Psychologie überaus sympathisch i
Weiter ist ein im Verlagshaus Vita in Berlin erschien
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