Der Neg ins Frei
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23 n. S enenenenenentenene enen.
Nr.
und des Ekels überkommt sie an der S##te des geliebten Mannes,
der sie leichtherzig verrät und schmählich bloßstellt, so daß sie
es nicht mehr ertragen zu können meint. Die Scheidung wird
vorbereitet, aber dann halten Mitleid und Liebe sie doch — zu
seiner Freude — bei ihm zurück.
Wie ein Schiff, mit allen Segeln und Wimpeln geschmückt,
aus dem Hafen der Philister herausfliegt in den Sonnenschein
der blinkenden Wellen, aber der Ballast im Innern fehlt ¬
und der Untergang naht rettungslos: so bricht die Tragik in
des lachenden Dichters Leben ein.
Die drei Bücher haben etwas Gemeinsames in der Stellung
zum Leben, hier, bei Hartleben, in der persönlichen, dort in der
künstlerischen: es fehlt die starke Persönlichkeit. Ein bekannter
Literarhistoriker hat in Schnitzlers „Schleier der Beatrice“ einen
Shakespearisierenden Zug finden wollen. Es klingt wie ein Witz.
Was jenem großen Briten seine überragende Größe gibt, was
sie Goethe, Schiller gab, ich sage auch Kleist, Grillparzer, Keller,
Ludwig, Meyer, ist doch das höchste Glück der Erdenkinder, die
Persönlichkeit und das Gewicht des starken Eigenlebens neben
der Fähigkeit, dieses künstlerisch zu gestalten, und man erinnert
sich der ästhetischen Reinkultur gegenüber der Worte, die Meyer
in seinem Lutherlied an Kaiser Karl richtet:
Herr Kaiser Korl, du warst zu fein,
Den Luther fandest du gemein —
Gemein wie Lieb und Zorn und Pflicht,
Wie unsrer Kinder Angesicht,
Wie Hof und Heim, wie Salz und Brot,
Wie die Geburt und wie der Tod —
Er atmet tief in unsrer Brust,
Und du begrubst dich in Sankt Just.
Dort, bei den Wienern, in der Kunst — hier, bei Hart¬
leben, im Leben, fühlt man ein Vakuum; dort täuscht die
Harmonie einer feinen, kultursatten Kunst darüber hinweg, hier
aber im Leben steht der furchtbare Ernst der Wirklichkeit und
eine starke leidende Frauengestalt daneben, und beide geben die
richtige Perspektive und wahrhaftige Nüancen. Darum ist von
diesen drei Büchern das schlichteste, das am wenigsten auf Wirkung
6 Herne
berechnete, doch das ergreifendste.
Verschiedenes
Tuther in Köln. Der soeben ausgegebene 34. Band der Weimarer
Lutherausgabe (Weimar, Hermann Böhlaus Nachf.) bringt eine eigen¬
artige Ueberraschung: Luther ist in Köln gewesen und hat dort den
Dom und die Reliquien der heiligen drei Könige gesehen! Davon
wußten wir bisher Nichts. Am Tage vor Epiphanien 1531 predigte
Luther über die Bedeutung des Epiphanienfestes im Anschluß an die
Perikope Matth. 3, 13ff.; die Predigt ist doppelt überliefert. Sogleich
am Anfange kommt er auf die Kölner Reliquien zu sprechen und sagt.
(der Text ist, wie gewöhnlich bei Nachschriften der Lutherpredigten, ein
Gemisch von Latein und Deutsch; ich gebe das Lateinische in Ueber¬
setzung): „Deshalb heißt der Tag =Tag der heiligen drei Könige.=
Zu Köln sollen sie liegen, sind dort hochgeehret und haben warlich
Gero getragen und ein Kirch gebauet und kaum haben 3 Könige
einen solchen Schatz gehabt, als er dort zu finden ist, kaum gibt es
reichere Toten als diese. Und sie haben sie genannt Caspar, Melchior,
Balthasar. Ich laß das auch bleiben, daß der Tag =Tag der heiligen
3 Könige= genannt wird, es rührt mich nicht, daß er so genannt wird,
daß man nicht vergesse der großen Lügen, die auf das Fest gepredigt
ist, wobei man die Taufe Christi unseres Herrn (das Epiphanienfest
war ja urspr’nglich Gedenkfest an Christi Taufe) totschwieg. Das
Geschwätze über das Kommen der 3 Könige hat man gern gehört.
Ich weiß nicht, ob sie nicht Bauern sind. Ich habe sie gesehen.
Wer es nicht glaubt, der ist kein Ketzer, wie ich schwerlich glaube,
dennoch ists gut, daß man nicht vergesse solcher schändlichen Lügen,
sonst möchten sie sich rühmen, daß sie vordem nichts Gottloses gelehrt
haben. Das soll ein köstlich Ding heißen, daß da so die 3 Könige
erhaben sind, und Niemand weiß, woher? Und wir habens geglaubt
on alle Siege! und Brief, was von den Dreien gesagt war. Was
jedem geträumt hat, ist auf die Kanzel kommen und nachher geglaubt
worden und dank dieser Lüge ist das groß Gebäu“ (d. h. der Kölner
Dom). Die zweite Ueberlieferung stimmt sachlich mit diesen Worten
überein, vor allem kehrt der entscheidende Satz wieder: „Ich hab
sie auch gesehen.“ Die in den obigen Worten nur leise angedeutete
Kritik Luthers ist kräftiger, wenn er nach der zweiten Ueberlieferung
sagt: „ich wundere mich, wie jene 3 Könige aus Arabien hätten nach
Deutschland kommen sollen.“ In einer Anmerkung teilt D. Koffmane
mit, daß auch in den sogenannten Bibelprotokollen von 1539 Luther
739
gesagt war, e
hat, als er die drei Könige sah, Alles geglaubt was man ihm sagte.
Er war also noch wunder= und reliquiengläubit, durch und durch un¬
kritisch, fragte nicht nach Siegel und Brief. Das weist auf eine mög¬
lichst frühe Zeit; über 1515/16 dürfen wir sicherlich nicht hinabgehen,
denn damals begannen kritische Regungen. Auch läßt sich in die Zeit
nach dem Thesenanschlage bis 1531 schwerlich ein Aufenthalt Luthers
einordnen, sein Itinerarium für diese Zeit läßt kaum Platz, und
vor allem würde ein Kölner Aufenthalt Luthers nach dem Thesen¬
anschlage nicht spurlos an den Zeitgenossen vorübergegangen sein:
Luther war damals in Aller Munde, und Köln eine bedeutende Stadt
mit Universität! Nein, Luther war als simpler Mönch in Köln und
verschwand unter der Menge, die gar nichts von ihm wußte. Aus
Koldes bekanntem Buche über die deutsche Augustine#kongregation
(1879) entnehme ich nun eine Situation, in die Luthers Aufenthalt in
Köln hineinpassen würde. Staupitz hatte für Pfingsten 1512 ein
Augustinerkongregationskapitel nach Köln angesagt. Zur Vorbereitung
desselben reiste Ende Februar (am 25. oder 26.) Johann v. Mecheln
von Salzburg nach Köln. Johann v. Mecheln ist aber höchst wahr¬
scheinlich der Reisebegleiter Luthers auf seiner Romreise 1511/12
gewesen, beide waren am 25. Februar vermutlich zusammen in Salz¬
burg eingetroffen. Wie nun, wenn Luther den Gefährten auch noch
nach Köln begleitet hätte? Eine sachliche Schwierigkeit für diese An¬
nahme liegt nicht vor, mit der Lutherchronologie würde sie stimmen;
wir wissen nicht, wann Luther wieder in Wittenberg war, es braucht
nicht, wie man gewöhnlich annimmt, „in den ersten Tagen des März“.
gewesen zu sein, es kann ebenso gut Mitte oder Ende März oder noch
später gewesen sein, von Luthers Tätigkeit während des ganzen Sommer¬
semesters 1512 wissen wir nichts. Er kann über Köln nach Witten¬
berg gereist sein. Ja, wenn er nicht nur bei den Vorbereitungen für
das Kölner Kapitel beteiligt, sondern auf diesem selbst — es tagte
Anfang Mai — anwesend gewesen wäre, so würden wir die bisherige
Lücke über Luthers Wirksamkeit im Sommer 1512 geschlossen hoben.
Er wäre erst etwa im Mai nach Wittenberg zurückgekehrt und hätte
Walther Köhler
sich dann auf den D. theol. vorbereitet.
Kkeine Mitteikungen. Ueber Wendts Darstellung der
christlichen Lehre folgt ein Schlußartikel in nächster Nummer.
Ein Satz in dem ersten Artikel (Nr. 28 Sp. 679) hat Wilhelm
Bornemann zu seinem heutigen Protest veranlaßt: Ist das deutsche
Christentum hoffnungsarm? Ich gestehe, daß mich da¬
mals die beanstandete Bemerkung mehr interessiert als zum Wider¬
spruch gereizt hat. So, sagte ich mir, sieht ein warmherziger Be¬
obachter das deutsche Christentum von heute. Und ich habe dabei als
selbstverständlich vorausgesetzt, daß er dabei keinen Unterschied machte
zwischen dem deutschen Christentum oder dem schweizerischen, sofern es
deutsch ist. Darin bin ich nun unsicher geworden, denn ich sage mir,
in den Kreisen der „Neuen Wege“ (vgl. 1907, 52, 1287) wird man
sich doch nicht hoffnungsarm fühlen! Nun ist die ganze Frage ebenso
zart wie wichtig. Pessimismus und Optimismus in der Feststellung
von Eindrücken sind schlechte Beurkunder von Tatsachen. Albert Lange
hat prachtvoll nachgewiesen, wie Pessimismus und Optimismus nicht
nur von unsrer Ethik abhangen, sondern auch von unsrer Aesthetik
(in seiner Geschichte des Maierialismus). Aber in meinem persön¬
lichen Empfinden stehe ich doch ganz zu Bornemann. Und nur darin
möchte ich aus meiner Erfahrung und Erinnerung Wernle recht geben,
daß die Wandlungen Naumanns, insbesondre seine Abkehr von der
Kirche und die Erziehung zur Nüchternheit vom Enthusiasmus weg,
die er sich und den Seinen zugemutet hat, in der Tat einen argen
Rückschlag in der betroffenen Generation von Theologen und Laien
zur Folge gehabt haben. Das ist ein vielleicht kleines, aber sehr charakte¬
ristisches Stück jüngster Kirchengeschichte, das uns freilich heute noch
Niemand schreiben wird, aber das in denen nachzittert, die es erlebt
haben, auf dessen Nachwirkung man im Verkehr mit Menschen unsres
Gesinnungskreifes immer wieder stößt; vielleicht wird dies Stück
Kirchengeschichte niemals geschrieben werden (denn wer will eine Ge¬
schichte der Hoffnung wagen?), vielleicht wird doch in künftigen Bio¬
graphien dazu mancher Beitrag aus Tageslicht kommen. Aber einmal
ist es eben doch nur eine kleinere Schar gewesen, die jene Krise
durchgemacht hat. Und sodann kann man weder von ihrem noch von dem
deutschen „Christentum“ überhaupt sagen, daß es seitdem hoffnungs¬
arm geworden sei. Und gerade wenn ich zurückschaue auf die ganze
Zeit in Kirche und Leben, die unsre Generation durchgemacht hat, so
muß ich trotz mancher Enttäuschungen und Irrungen (wie sollen die
ausbleiben?) mit Bornemann sagen, daß ich die Hoffnungsarmut der
deutschen protestantischen Christenheit nicht zugeben kann.
Die Verhandlungen des Evangelisch=sozialen Kongresses
in Dessau sind erschienen. Göttingen, Vandenhoeck. 2 Mk.
Verantwortlicher Herausgeber: Prof. D. Rade in Marburg i. H.
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und des Ekels überkommt sie an der S##te des geliebten Mannes,
der sie leichtherzig verrät und schmählich bloßstellt, so daß sie
es nicht mehr ertragen zu können meint. Die Scheidung wird
vorbereitet, aber dann halten Mitleid und Liebe sie doch — zu
seiner Freude — bei ihm zurück.
Wie ein Schiff, mit allen Segeln und Wimpeln geschmückt,
aus dem Hafen der Philister herausfliegt in den Sonnenschein
der blinkenden Wellen, aber der Ballast im Innern fehlt ¬
und der Untergang naht rettungslos: so bricht die Tragik in
des lachenden Dichters Leben ein.
Die drei Bücher haben etwas Gemeinsames in der Stellung
zum Leben, hier, bei Hartleben, in der persönlichen, dort in der
künstlerischen: es fehlt die starke Persönlichkeit. Ein bekannter
Literarhistoriker hat in Schnitzlers „Schleier der Beatrice“ einen
Shakespearisierenden Zug finden wollen. Es klingt wie ein Witz.
Was jenem großen Briten seine überragende Größe gibt, was
sie Goethe, Schiller gab, ich sage auch Kleist, Grillparzer, Keller,
Ludwig, Meyer, ist doch das höchste Glück der Erdenkinder, die
Persönlichkeit und das Gewicht des starken Eigenlebens neben
der Fähigkeit, dieses künstlerisch zu gestalten, und man erinnert
sich der ästhetischen Reinkultur gegenüber der Worte, die Meyer
in seinem Lutherlied an Kaiser Karl richtet:
Herr Kaiser Korl, du warst zu fein,
Den Luther fandest du gemein —
Gemein wie Lieb und Zorn und Pflicht,
Wie unsrer Kinder Angesicht,
Wie Hof und Heim, wie Salz und Brot,
Wie die Geburt und wie der Tod —
Er atmet tief in unsrer Brust,
Und du begrubst dich in Sankt Just.
Dort, bei den Wienern, in der Kunst — hier, bei Hart¬
leben, im Leben, fühlt man ein Vakuum; dort täuscht die
Harmonie einer feinen, kultursatten Kunst darüber hinweg, hier
aber im Leben steht der furchtbare Ernst der Wirklichkeit und
eine starke leidende Frauengestalt daneben, und beide geben die
richtige Perspektive und wahrhaftige Nüancen. Darum ist von
diesen drei Büchern das schlichteste, das am wenigsten auf Wirkung
6 Herne
berechnete, doch das ergreifendste.
Verschiedenes
Tuther in Köln. Der soeben ausgegebene 34. Band der Weimarer
Lutherausgabe (Weimar, Hermann Böhlaus Nachf.) bringt eine eigen¬
artige Ueberraschung: Luther ist in Köln gewesen und hat dort den
Dom und die Reliquien der heiligen drei Könige gesehen! Davon
wußten wir bisher Nichts. Am Tage vor Epiphanien 1531 predigte
Luther über die Bedeutung des Epiphanienfestes im Anschluß an die
Perikope Matth. 3, 13ff.; die Predigt ist doppelt überliefert. Sogleich
am Anfange kommt er auf die Kölner Reliquien zu sprechen und sagt.
(der Text ist, wie gewöhnlich bei Nachschriften der Lutherpredigten, ein
Gemisch von Latein und Deutsch; ich gebe das Lateinische in Ueber¬
setzung): „Deshalb heißt der Tag =Tag der heiligen drei Könige.=
Zu Köln sollen sie liegen, sind dort hochgeehret und haben warlich
Gero getragen und ein Kirch gebauet und kaum haben 3 Könige
einen solchen Schatz gehabt, als er dort zu finden ist, kaum gibt es
reichere Toten als diese. Und sie haben sie genannt Caspar, Melchior,
Balthasar. Ich laß das auch bleiben, daß der Tag =Tag der heiligen
3 Könige= genannt wird, es rührt mich nicht, daß er so genannt wird,
daß man nicht vergesse der großen Lügen, die auf das Fest gepredigt
ist, wobei man die Taufe Christi unseres Herrn (das Epiphanienfest
war ja urspr’nglich Gedenkfest an Christi Taufe) totschwieg. Das
Geschwätze über das Kommen der 3 Könige hat man gern gehört.
Ich weiß nicht, ob sie nicht Bauern sind. Ich habe sie gesehen.
Wer es nicht glaubt, der ist kein Ketzer, wie ich schwerlich glaube,
dennoch ists gut, daß man nicht vergesse solcher schändlichen Lügen,
sonst möchten sie sich rühmen, daß sie vordem nichts Gottloses gelehrt
haben. Das soll ein köstlich Ding heißen, daß da so die 3 Könige
erhaben sind, und Niemand weiß, woher? Und wir habens geglaubt
on alle Siege! und Brief, was von den Dreien gesagt war. Was
jedem geträumt hat, ist auf die Kanzel kommen und nachher geglaubt
worden und dank dieser Lüge ist das groß Gebäu“ (d. h. der Kölner
Dom). Die zweite Ueberlieferung stimmt sachlich mit diesen Worten
überein, vor allem kehrt der entscheidende Satz wieder: „Ich hab
sie auch gesehen.“ Die in den obigen Worten nur leise angedeutete
Kritik Luthers ist kräftiger, wenn er nach der zweiten Ueberlieferung
sagt: „ich wundere mich, wie jene 3 Könige aus Arabien hätten nach
Deutschland kommen sollen.“ In einer Anmerkung teilt D. Koffmane
mit, daß auch in den sogenannten Bibelprotokollen von 1539 Luther
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gesagt war, e
hat, als er die drei Könige sah, Alles geglaubt was man ihm sagte.
Er war also noch wunder= und reliquiengläubit, durch und durch un¬
kritisch, fragte nicht nach Siegel und Brief. Das weist auf eine mög¬
lichst frühe Zeit; über 1515/16 dürfen wir sicherlich nicht hinabgehen,
denn damals begannen kritische Regungen. Auch läßt sich in die Zeit
nach dem Thesenanschlage bis 1531 schwerlich ein Aufenthalt Luthers
einordnen, sein Itinerarium für diese Zeit läßt kaum Platz, und
vor allem würde ein Kölner Aufenthalt Luthers nach dem Thesen¬
anschlage nicht spurlos an den Zeitgenossen vorübergegangen sein:
Luther war damals in Aller Munde, und Köln eine bedeutende Stadt
mit Universität! Nein, Luther war als simpler Mönch in Köln und
verschwand unter der Menge, die gar nichts von ihm wußte. Aus
Koldes bekanntem Buche über die deutsche Augustine#kongregation
(1879) entnehme ich nun eine Situation, in die Luthers Aufenthalt in
Köln hineinpassen würde. Staupitz hatte für Pfingsten 1512 ein
Augustinerkongregationskapitel nach Köln angesagt. Zur Vorbereitung
desselben reiste Ende Februar (am 25. oder 26.) Johann v. Mecheln
von Salzburg nach Köln. Johann v. Mecheln ist aber höchst wahr¬
scheinlich der Reisebegleiter Luthers auf seiner Romreise 1511/12
gewesen, beide waren am 25. Februar vermutlich zusammen in Salz¬
burg eingetroffen. Wie nun, wenn Luther den Gefährten auch noch
nach Köln begleitet hätte? Eine sachliche Schwierigkeit für diese An¬
nahme liegt nicht vor, mit der Lutherchronologie würde sie stimmen;
wir wissen nicht, wann Luther wieder in Wittenberg war, es braucht
nicht, wie man gewöhnlich annimmt, „in den ersten Tagen des März“.
gewesen zu sein, es kann ebenso gut Mitte oder Ende März oder noch
später gewesen sein, von Luthers Tätigkeit während des ganzen Sommer¬
semesters 1512 wissen wir nichts. Er kann über Köln nach Witten¬
berg gereist sein. Ja, wenn er nicht nur bei den Vorbereitungen für
das Kölner Kapitel beteiligt, sondern auf diesem selbst — es tagte
Anfang Mai — anwesend gewesen wäre, so würden wir die bisherige
Lücke über Luthers Wirksamkeit im Sommer 1512 geschlossen hoben.
Er wäre erst etwa im Mai nach Wittenberg zurückgekehrt und hätte
Walther Köhler
sich dann auf den D. theol. vorbereitet.
Kkeine Mitteikungen. Ueber Wendts Darstellung der
christlichen Lehre folgt ein Schlußartikel in nächster Nummer.
Ein Satz in dem ersten Artikel (Nr. 28 Sp. 679) hat Wilhelm
Bornemann zu seinem heutigen Protest veranlaßt: Ist das deutsche
Christentum hoffnungsarm? Ich gestehe, daß mich da¬
mals die beanstandete Bemerkung mehr interessiert als zum Wider¬
spruch gereizt hat. So, sagte ich mir, sieht ein warmherziger Be¬
obachter das deutsche Christentum von heute. Und ich habe dabei als
selbstverständlich vorausgesetzt, daß er dabei keinen Unterschied machte
zwischen dem deutschen Christentum oder dem schweizerischen, sofern es
deutsch ist. Darin bin ich nun unsicher geworden, denn ich sage mir,
in den Kreisen der „Neuen Wege“ (vgl. 1907, 52, 1287) wird man
sich doch nicht hoffnungsarm fühlen! Nun ist die ganze Frage ebenso
zart wie wichtig. Pessimismus und Optimismus in der Feststellung
von Eindrücken sind schlechte Beurkunder von Tatsachen. Albert Lange
hat prachtvoll nachgewiesen, wie Pessimismus und Optimismus nicht
nur von unsrer Ethik abhangen, sondern auch von unsrer Aesthetik
(in seiner Geschichte des Maierialismus). Aber in meinem persön¬
lichen Empfinden stehe ich doch ganz zu Bornemann. Und nur darin
möchte ich aus meiner Erfahrung und Erinnerung Wernle recht geben,
daß die Wandlungen Naumanns, insbesondre seine Abkehr von der
Kirche und die Erziehung zur Nüchternheit vom Enthusiasmus weg,
die er sich und den Seinen zugemutet hat, in der Tat einen argen
Rückschlag in der betroffenen Generation von Theologen und Laien
zur Folge gehabt haben. Das ist ein vielleicht kleines, aber sehr charakte¬
ristisches Stück jüngster Kirchengeschichte, das uns freilich heute noch
Niemand schreiben wird, aber das in denen nachzittert, die es erlebt
haben, auf dessen Nachwirkung man im Verkehr mit Menschen unsres
Gesinnungskreifes immer wieder stößt; vielleicht wird dies Stück
Kirchengeschichte niemals geschrieben werden (denn wer will eine Ge¬
schichte der Hoffnung wagen?), vielleicht wird doch in künftigen Bio¬
graphien dazu mancher Beitrag aus Tageslicht kommen. Aber einmal
ist es eben doch nur eine kleinere Schar gewesen, die jene Krise
durchgemacht hat. Und sodann kann man weder von ihrem noch von dem
deutschen „Christentum“ überhaupt sagen, daß es seitdem hoffnungs¬
arm geworden sei. Und gerade wenn ich zurückschaue auf die ganze
Zeit in Kirche und Leben, die unsre Generation durchgemacht hat, so
muß ich trotz mancher Enttäuschungen und Irrungen (wie sollen die
ausbleiben?) mit Bornemann sagen, daß ich die Hoffnungsarmut der
deutschen protestantischen Christenheit nicht zugeben kann.
Die Verhandlungen des Evangelisch=sozialen Kongresses
in Dessau sind erschienen. Göttingen, Vandenhoeck. 2 Mk.
Verantwortlicher Herausgeber: Prof. D. Rade in Marburg i. H.
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