ins Fre
23. Der Neg
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Der Weg ins Freie. 2 ###
(Roman von Arthur Schnitzler, Verlag von S. Fischer, Berlin 1908.)
Hirschfeld, Wien.
Es ist eine rechte Freude und der feinste literarische Genuß, die
Entwickkung eines Dichters selbst mit anzusehen und mitzuerleben. Als
Zeitgenosse dem gleichsam beizuwohnen, was man in zehn oder zwanzig
Jahren in Literaturgeschichten und im Konversationslexikon sehr nüch¬
tgen und übersichtlich beschrieben lesen kann: das Werden dieses Dichters
„aus spielerischen Anfängen, von denen unmutig tendenziöse Uebergange
für eine Weile ins Artistische und schließlich sogar ins Verschwommene
und Unverständliche führen. Und wie dann dieser Dichter von seinem
gesunden Sinn geleitet aus dem literarischen Dickicht, in dem man das
Leben vor lauter Worten und Gleichnissen und die Menschen vor¬
lanter Aestheten nicht sieht, plötzlich wieder herausfindet, wie er
sich mutig hineinstürzt in die Wirklichkeit, unbekümmert um die ver¬
wirrende Zahl von lauten und stummen Fragezeichen und Problemen,
die hier seiner warten.
Das ist, in allgemeine Worte gefaßt, die Entwicklung Arthur
Schnitzlers. In einer Spanne von kaum zwei Jahrzehnten umfaßt sie
eine Fülle von Stufen, von Formen und Nuancen, zu deren Ueberwin¬
dung andere ein ganzes Leben verschrieben haben, und das hat bei
gh
manchen oft nicht ausgereicht. Um sich diesen merdwürdigen Werdegang
zu veranschaulichen, braucht man ja nur irgend zwei Werke Schnitzlers
gegenüberzuhalten: das bis zum Dilettantischen ehrliche und unbeholfene
Erstlingsschauspiel, das Marchen, und die raffinierte Seelenkomödie
„Zwischenspiel". Oder die gezierte und kokette Anatoltändelei und den
herben, tiefernsten „Einsamen Weg: Wenn man zwei solche Werke
Schnitzlers miteinander gleichsam konfrontierte, sie wurden sich nicht er¬
kennen, eins vom andern nichts wissen, nicht einmal, daß sie Kinder des¬
selben Vaters sind. Diese verblüffende Vielgestaltigkeit und Verwand¬
lungsfähigkeit mag ja denen um Huston, Steward Chamberlain, die am
Menschen bloß die Schädelform und nicht seinen wahren Wert sehen,
willkommener Anlaß zu allerlei spitzfindigen Schlüssen sein. Wer jedoch
einen Dichter nicht mit dem Zirtel, sondern mit feineren künstlerischen
und menschlichen Maßstäben mißt, der wird sich gestehen müssen, daß
man es hier mit einer ganz außerordentlichen Begabung zu tun hat,
mit einem redlichen, gewissenhaften Künstler, der unermudlich an sich
arbeitet — vielleicht sogar mehr, als seiner Konstitution zutraglich ist.
Seitdem Schnitzler sich in dem Novellenband „Dämmerseelen“ als
Meister einer edlen und geläuterten Erzählungskunst erwiesen hatte,
und zwar in einer intensiv österreichischen, aber gar nicht mehr jung¬
wienerischen Weise, wußte man, was von ihm jetzt zu erwarten sei:
der große Wiener Roman, diese ungestillte literarische Sehnsucht der
letzten Jahrzehnte. An interessanten Versuchen hat es ja nicht gefehlt,
man braucht nur an den reichbegabten J. J. David zu denken, aber in
seinen Romanen fand sich doch immer nur ein mit den enttäuschten und
verbitterten Augen des Provinzlers gesehenes Wien, während die
epische Schilderung dieser Stadt gerade das Gegenteil erfordert: einen
zwanglosen, freien Menschen, der hier aufgewachsen ist, alles kennt, alles
versteht, und der selbst im Zorn und im Ekel noch zu lächeln vermag.
Das alles hat man Schnitzler mit Recht zugetraut, dem reifen Mann,
der die Vierzig, diese Schwelle zum Roman, überschritten hat, und als
die Kunde von seinem Buch mit dem wunderbaren Titel vernehmlich
wurde, da bildete sich zum Empfang des Werkes ganz von selbst eine
Triumphpforte von Neugierde, von Vermutung und Erwartung.
ver¬
Das soll nur gleich gesagt werden: eine leichte, aber nicht zu
Der
bergende Enttäuschung hat sich beim ersten Anblick eingestellt.
Dichter selbst trägt vielleicht weniger Schuld daran, als das Publikum,
die Erwartungen waren zu groß, zu unbescheiden. Aber es will
manchem scheinen, daß „Der Weg ins Freie“ nicht der große Wiener
Roman ist, den wir alle meinten. Gewiß, er spielt im heutigen Wien,
im heutigen Oesterreich, und bringt eine Ueberfülle von frappierenden
Beobachtungen und Zügen aus unserem gesellschaftlichen und öffentlichen
Leben. Es sind darin sogar eine Reihe von politischen und literarischen
Episoden, Typen und geflügelten Worten verwertet, die jedem einiger¬
maßen Eingeweihten und zum Teil jedem Zeitungsleser bekannt sind.
Und dennoch, es ist nicht das, was wir meinten und hofften, eine
künstlerische Konzentration des nach Einheit strebenden Durcheinanders,
das man Oesterreich nennt. Kein ruhiges, übersichtliches Bild des
zwischen gestern und morgen pendelnden Wiens — im Gegenteil, der
Fremde, der diesen Wiener Roman liest, wird uns am Ende für noch
wirrer und unruhiger halten, als wir wirklich sind.
Es ist wohl ein charakteristischer Umstand, daß man die eigent¬
liche Fabel, den eigentlichen Helden dieses Romans gar nicht als das
Wichtigste empfindet, daß einem das Drum und Dran, die Einzelheiten
aus den politischen, literarischen und jüdischen Kreisen viel merkwür¬
diger und wesentlicher erscheinen. Trotzdem ist dieser Held, Georg
Freiherr von Wergenthin, eine sehr feine und sympathische Figur. Ein
spielerisch und traumerisch veranlagter Stimmungsmensch, raffiniert,
paradox und auch ziemlich egoistisch und vor allem sehr vornehm und
kultiviert. Von Beruf ist er Lebenskünstler und dilettierender Kom¬
ponist der sich seiner Absichten und Ziele noch gar nicht klar bewußt ist.
Den Inhalt des Romans bildet es nun wie aus diesem Schauenden
—
und Genießenden ein ernster Arbeitender, ein strenger Künstler wird,
und zwar auf dem bittersüßen Umweg der Liebe zu einem sanften weib¬
lichen Wesen, der Klavierlehrerin Anna Rosner. Das Verhältnis
zwischen diesen zwei feinen Menschen schildert der Dichter mit einer
wunderbar schlichten und lauteren Innigkeit. Wie ein lindes und süßes
Volkslied tönt diese Liebe durch den sonst so überaus polyphonen Roman.
Dann, wenn die beiden sich dem Kinde entgegensehnen, das schließlich
tot zur Welt kommt, wodurch in Georg alle zärtlichen und bürgerlichen
Regungen erlöschen, da gewinnt diese Liebesgeschichte unversehens eine
ergreifende Größe. Jetzt fühlt sich Georg von Wergenthin reif zu
einem ernsten Beruf, er geht als Hofkapellmeister nach Detmold, und
die ersten
vielleicht wird er einmal noch ein großer Künstler
Weihen, die der Enttäuschung und des Schmerzes, hat er bereits
empfangen.
Das ist die schlichte Fabel dieses Romans, der in den meisten
andern Teilen wie ein Judenroman anmutet, oder wenigstens wie ein
Ansatz dazu, was jeden, der das heutige Wien kennt, nicht wundern
wird. Dieser „Blick in die Tragikomödie des heutigen Judentums“
fördert manches Charakteristische und Bedeutsame zutage. Alle Spiel¬
arten und Typen, vom Jargonjuden alten Stils bis zum völlig ver¬
geistigten skeptischen Gehirnmenschen, ziehen vorüber. Aber trotz der
oft verblüffenden Schilderung und manches kostbaren weisen Wortes
bleibt das Ganze doch nur Fragment und Episode, und dazu ist das
Problem schließlich zu ernst. Zu einem selbständigen Judenroman
scheint der Dichter nicht den Mut gefunden zu haben, und anderseits war
es ihm wohl ein tiefes persönliches Bedürfnis, sich über alle diese Dinge
auszusprechen, mit sich selbst und mit den andern, mit der Unzahl von
Fragen und Tendenzen und mit seinen eigenen Zweifeln und Gefühlen
einmal abzurechnen. Er hat dabei den großen Fehler begangen, sich
eine Sphäre künstlich zu konstruieren, in der Aristokraten und Juden,
Kavallerieoffiziere und Sozialdemokraten gesellschaftlich und freund¬
schaftlich miteinander verkehren. Das gibt es in Wien nicht, was frei¬
lich für den Dichter nicht in Betracht käme und was man ihm auch
nicht zum Vorwurf machen dürfte, wenn er nicht selbst die tatsächliche
Wirklichkeit fortwährend in seinen Dienst stellen würde. Soweit es
sich dabei um Politik und andere öffentliche Gebiete handelt, ist das nur
zu rühmen, denn das fehlt ja unserem Schrifttum, dieses Interesse für
die praktischen Sorgen des Alltags. Aber leider hat sich Schnitzler wie¬
der allzu gemütlich und breit im Wiener Literaturkaffeehaus nieder¬
gelassen, dessen Gestalten hier eine große Rolle spielen. „Der Weg ins
Freie“ ist bald ein Judenroman, bald ein Aristokraten= und Literaten¬
roman, und wenn dies auch charakteristische Elemente des heutigen
Wiens sind, ein richtiger Wiener Roman läßt sich aus ihnen allein
nicht gestalten.
Ganz eigenartig verhält es sich mit der Technik dieses Bu##es
Es enthält sozusagen alle bisherigen Techniken Schnitzlers. Die von den
modernen französischen Erzählern übernommene Junawiener Manier#
sionen seitenlange, stumme, psychologische Monologe halten zu
lassen, was einigermaßen ermüdend wirkt und was man in dem Werk¬
eines reiten Erzahlers lieber vermieden gesehen hätte. An der scharfen,
oft ans Krasse streifenden Charakterisierung einzelner Figuren erkennt
man den kundigen Dramatiker und im funkelnden Dialog den berufenen
Lustspieldichter, was Schnitzler leider nicht sein will. Im ganzen ist
es das bedeutsame Produkt einer gereiften Erzählungskunst, die sich
namentlich in dem meisterhaften ersten Kapitel bewährt. Trotz der
schweren Fracht von Problemen und Gedanken fließt der Roman in
wunderbarer Ruhe sicher dahin, und selbst dort, wo man ihn zu breit,
zu schleppend, allzu genau und gewissenhaft empfindet, bewundert man
den tiefen sittlichen Ernst, die edle dichterische Ehrlichkeit, die vielleiche
den eigentlichen Wert dieses Buches ausmachen.
Noch manches Für und Wider ließe sich vorbringen, manches be¬
anstanden, manches rühmen, aber dieser Roman braucht wohl nicht
nach dem Leisten rezensiert zu werden, wie irgendein Artikel des Bücher¬
marktes. Einer Erscheinung wie Arthur Schnitzler gegenüber gibt es
weder Lob noch Tadel, sondern bloß ehrerbietige Aufrichtigkeit und eine
Wertung nach weiteren Gesichtspunkten. Und da erscheint einem dieser
Roman als der verheißungsvolle Anfang einer ernsteren und strengeren
Zeit, nicht bloß für den Dichter, sondern auch für die gesamte Wiener
Literatur. Endlich ist ein Anfang gemacht worden, an dem andere
lernen und fortsetzen können, der Anfang einer großzügigen epischen
Darstellung dieser Stadt, die vielleicht zu reich ist an Kontrasten und
Reizen, an Gefühlen, Stimmungen und ähnlichen dichterischen und
romanhaften Elementen, als daß ein Romandichter sie völlia bewältigen
könnte.
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Der Weg ins Freie. 2 ###
(Roman von Arthur Schnitzler, Verlag von S. Fischer, Berlin 1908.)
Hirschfeld, Wien.
Es ist eine rechte Freude und der feinste literarische Genuß, die
Entwickkung eines Dichters selbst mit anzusehen und mitzuerleben. Als
Zeitgenosse dem gleichsam beizuwohnen, was man in zehn oder zwanzig
Jahren in Literaturgeschichten und im Konversationslexikon sehr nüch¬
tgen und übersichtlich beschrieben lesen kann: das Werden dieses Dichters
„aus spielerischen Anfängen, von denen unmutig tendenziöse Uebergange
für eine Weile ins Artistische und schließlich sogar ins Verschwommene
und Unverständliche führen. Und wie dann dieser Dichter von seinem
gesunden Sinn geleitet aus dem literarischen Dickicht, in dem man das
Leben vor lauter Worten und Gleichnissen und die Menschen vor¬
lanter Aestheten nicht sieht, plötzlich wieder herausfindet, wie er
sich mutig hineinstürzt in die Wirklichkeit, unbekümmert um die ver¬
wirrende Zahl von lauten und stummen Fragezeichen und Problemen,
die hier seiner warten.
Das ist, in allgemeine Worte gefaßt, die Entwicklung Arthur
Schnitzlers. In einer Spanne von kaum zwei Jahrzehnten umfaßt sie
eine Fülle von Stufen, von Formen und Nuancen, zu deren Ueberwin¬
dung andere ein ganzes Leben verschrieben haben, und das hat bei
gh
manchen oft nicht ausgereicht. Um sich diesen merdwürdigen Werdegang
zu veranschaulichen, braucht man ja nur irgend zwei Werke Schnitzlers
gegenüberzuhalten: das bis zum Dilettantischen ehrliche und unbeholfene
Erstlingsschauspiel, das Marchen, und die raffinierte Seelenkomödie
„Zwischenspiel". Oder die gezierte und kokette Anatoltändelei und den
herben, tiefernsten „Einsamen Weg: Wenn man zwei solche Werke
Schnitzlers miteinander gleichsam konfrontierte, sie wurden sich nicht er¬
kennen, eins vom andern nichts wissen, nicht einmal, daß sie Kinder des¬
selben Vaters sind. Diese verblüffende Vielgestaltigkeit und Verwand¬
lungsfähigkeit mag ja denen um Huston, Steward Chamberlain, die am
Menschen bloß die Schädelform und nicht seinen wahren Wert sehen,
willkommener Anlaß zu allerlei spitzfindigen Schlüssen sein. Wer jedoch
einen Dichter nicht mit dem Zirtel, sondern mit feineren künstlerischen
und menschlichen Maßstäben mißt, der wird sich gestehen müssen, daß
man es hier mit einer ganz außerordentlichen Begabung zu tun hat,
mit einem redlichen, gewissenhaften Künstler, der unermudlich an sich
arbeitet — vielleicht sogar mehr, als seiner Konstitution zutraglich ist.
Seitdem Schnitzler sich in dem Novellenband „Dämmerseelen“ als
Meister einer edlen und geläuterten Erzählungskunst erwiesen hatte,
und zwar in einer intensiv österreichischen, aber gar nicht mehr jung¬
wienerischen Weise, wußte man, was von ihm jetzt zu erwarten sei:
der große Wiener Roman, diese ungestillte literarische Sehnsucht der
letzten Jahrzehnte. An interessanten Versuchen hat es ja nicht gefehlt,
man braucht nur an den reichbegabten J. J. David zu denken, aber in
seinen Romanen fand sich doch immer nur ein mit den enttäuschten und
verbitterten Augen des Provinzlers gesehenes Wien, während die
epische Schilderung dieser Stadt gerade das Gegenteil erfordert: einen
zwanglosen, freien Menschen, der hier aufgewachsen ist, alles kennt, alles
versteht, und der selbst im Zorn und im Ekel noch zu lächeln vermag.
Das alles hat man Schnitzler mit Recht zugetraut, dem reifen Mann,
der die Vierzig, diese Schwelle zum Roman, überschritten hat, und als
die Kunde von seinem Buch mit dem wunderbaren Titel vernehmlich
wurde, da bildete sich zum Empfang des Werkes ganz von selbst eine
Triumphpforte von Neugierde, von Vermutung und Erwartung.
ver¬
Das soll nur gleich gesagt werden: eine leichte, aber nicht zu
Der
bergende Enttäuschung hat sich beim ersten Anblick eingestellt.
Dichter selbst trägt vielleicht weniger Schuld daran, als das Publikum,
die Erwartungen waren zu groß, zu unbescheiden. Aber es will
manchem scheinen, daß „Der Weg ins Freie“ nicht der große Wiener
Roman ist, den wir alle meinten. Gewiß, er spielt im heutigen Wien,
im heutigen Oesterreich, und bringt eine Ueberfülle von frappierenden
Beobachtungen und Zügen aus unserem gesellschaftlichen und öffentlichen
Leben. Es sind darin sogar eine Reihe von politischen und literarischen
Episoden, Typen und geflügelten Worten verwertet, die jedem einiger¬
maßen Eingeweihten und zum Teil jedem Zeitungsleser bekannt sind.
Und dennoch, es ist nicht das, was wir meinten und hofften, eine
künstlerische Konzentration des nach Einheit strebenden Durcheinanders,
das man Oesterreich nennt. Kein ruhiges, übersichtliches Bild des
zwischen gestern und morgen pendelnden Wiens — im Gegenteil, der
Fremde, der diesen Wiener Roman liest, wird uns am Ende für noch
wirrer und unruhiger halten, als wir wirklich sind.
Es ist wohl ein charakteristischer Umstand, daß man die eigent¬
liche Fabel, den eigentlichen Helden dieses Romans gar nicht als das
Wichtigste empfindet, daß einem das Drum und Dran, die Einzelheiten
aus den politischen, literarischen und jüdischen Kreisen viel merkwür¬
diger und wesentlicher erscheinen. Trotzdem ist dieser Held, Georg
Freiherr von Wergenthin, eine sehr feine und sympathische Figur. Ein
spielerisch und traumerisch veranlagter Stimmungsmensch, raffiniert,
paradox und auch ziemlich egoistisch und vor allem sehr vornehm und
kultiviert. Von Beruf ist er Lebenskünstler und dilettierender Kom¬
ponist der sich seiner Absichten und Ziele noch gar nicht klar bewußt ist.
Den Inhalt des Romans bildet es nun wie aus diesem Schauenden
—
und Genießenden ein ernster Arbeitender, ein strenger Künstler wird,
und zwar auf dem bittersüßen Umweg der Liebe zu einem sanften weib¬
lichen Wesen, der Klavierlehrerin Anna Rosner. Das Verhältnis
zwischen diesen zwei feinen Menschen schildert der Dichter mit einer
wunderbar schlichten und lauteren Innigkeit. Wie ein lindes und süßes
Volkslied tönt diese Liebe durch den sonst so überaus polyphonen Roman.
Dann, wenn die beiden sich dem Kinde entgegensehnen, das schließlich
tot zur Welt kommt, wodurch in Georg alle zärtlichen und bürgerlichen
Regungen erlöschen, da gewinnt diese Liebesgeschichte unversehens eine
ergreifende Größe. Jetzt fühlt sich Georg von Wergenthin reif zu
einem ernsten Beruf, er geht als Hofkapellmeister nach Detmold, und
die ersten
vielleicht wird er einmal noch ein großer Künstler
Weihen, die der Enttäuschung und des Schmerzes, hat er bereits
empfangen.
Das ist die schlichte Fabel dieses Romans, der in den meisten
andern Teilen wie ein Judenroman anmutet, oder wenigstens wie ein
Ansatz dazu, was jeden, der das heutige Wien kennt, nicht wundern
wird. Dieser „Blick in die Tragikomödie des heutigen Judentums“
fördert manches Charakteristische und Bedeutsame zutage. Alle Spiel¬
arten und Typen, vom Jargonjuden alten Stils bis zum völlig ver¬
geistigten skeptischen Gehirnmenschen, ziehen vorüber. Aber trotz der
oft verblüffenden Schilderung und manches kostbaren weisen Wortes
bleibt das Ganze doch nur Fragment und Episode, und dazu ist das
Problem schließlich zu ernst. Zu einem selbständigen Judenroman
scheint der Dichter nicht den Mut gefunden zu haben, und anderseits war
es ihm wohl ein tiefes persönliches Bedürfnis, sich über alle diese Dinge
auszusprechen, mit sich selbst und mit den andern, mit der Unzahl von
Fragen und Tendenzen und mit seinen eigenen Zweifeln und Gefühlen
einmal abzurechnen. Er hat dabei den großen Fehler begangen, sich
eine Sphäre künstlich zu konstruieren, in der Aristokraten und Juden,
Kavallerieoffiziere und Sozialdemokraten gesellschaftlich und freund¬
schaftlich miteinander verkehren. Das gibt es in Wien nicht, was frei¬
lich für den Dichter nicht in Betracht käme und was man ihm auch
nicht zum Vorwurf machen dürfte, wenn er nicht selbst die tatsächliche
Wirklichkeit fortwährend in seinen Dienst stellen würde. Soweit es
sich dabei um Politik und andere öffentliche Gebiete handelt, ist das nur
zu rühmen, denn das fehlt ja unserem Schrifttum, dieses Interesse für
die praktischen Sorgen des Alltags. Aber leider hat sich Schnitzler wie¬
der allzu gemütlich und breit im Wiener Literaturkaffeehaus nieder¬
gelassen, dessen Gestalten hier eine große Rolle spielen. „Der Weg ins
Freie“ ist bald ein Judenroman, bald ein Aristokraten= und Literaten¬
roman, und wenn dies auch charakteristische Elemente des heutigen
Wiens sind, ein richtiger Wiener Roman läßt sich aus ihnen allein
nicht gestalten.
Ganz eigenartig verhält es sich mit der Technik dieses Bu##es
Es enthält sozusagen alle bisherigen Techniken Schnitzlers. Die von den
modernen französischen Erzählern übernommene Junawiener Manier#
sionen seitenlange, stumme, psychologische Monologe halten zu
lassen, was einigermaßen ermüdend wirkt und was man in dem Werk¬
eines reiten Erzahlers lieber vermieden gesehen hätte. An der scharfen,
oft ans Krasse streifenden Charakterisierung einzelner Figuren erkennt
man den kundigen Dramatiker und im funkelnden Dialog den berufenen
Lustspieldichter, was Schnitzler leider nicht sein will. Im ganzen ist
es das bedeutsame Produkt einer gereiften Erzählungskunst, die sich
namentlich in dem meisterhaften ersten Kapitel bewährt. Trotz der
schweren Fracht von Problemen und Gedanken fließt der Roman in
wunderbarer Ruhe sicher dahin, und selbst dort, wo man ihn zu breit,
zu schleppend, allzu genau und gewissenhaft empfindet, bewundert man
den tiefen sittlichen Ernst, die edle dichterische Ehrlichkeit, die vielleiche
den eigentlichen Wert dieses Buches ausmachen.
Noch manches Für und Wider ließe sich vorbringen, manches be¬
anstanden, manches rühmen, aber dieser Roman braucht wohl nicht
nach dem Leisten rezensiert zu werden, wie irgendein Artikel des Bücher¬
marktes. Einer Erscheinung wie Arthur Schnitzler gegenüber gibt es
weder Lob noch Tadel, sondern bloß ehrerbietige Aufrichtigkeit und eine
Wertung nach weiteren Gesichtspunkten. Und da erscheint einem dieser
Roman als der verheißungsvolle Anfang einer ernsteren und strengeren
Zeit, nicht bloß für den Dichter, sondern auch für die gesamte Wiener
Literatur. Endlich ist ein Anfang gemacht worden, an dem andere
lernen und fortsetzen können, der Anfang einer großzügigen epischen
Darstellung dieser Stadt, die vielleicht zu reich ist an Kontrasten und
Reizen, an Gefühlen, Stimmungen und ähnlichen dichterischen und
romanhaften Elementen, als daß ein Romandichter sie völlia bewältigen
könnte.