I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 118

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Dr. IIngo Bergmann: Der Weg ins Freie.
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Worten ihm ein glühendes Mitleid für seine un¬
„Jeder muss selber da zusehen, wie er heraus¬
glücklichen Stammesgenossen zu beben schien, und
findet aus seinem Aerger, oder aus seiner Ver¬
der sich stolz von Menschen abkehrte, die ihn als
zweiflung, oder aus seinem Ekel, irgend wohin,
ihresgleichen nicht wollten gelten lassen. Bald
wo er frei atmen kann ... Es kommt nur für
wieder war er innerlich Heinrich näher, der sich
jeden darauf an, seinen innern Weg zu finden.
zornig von einem Beginnen abwendete, das,
Den Mut seiner eigenen Natur zu haben. Sich
phantastisch und kurzsichtig zugleich, die An¬
nicht beirren lassen. Ja, das müsste das tägliche
gehörigen einer Rasse, deren Beste überall in der
Gebet jedes anständigen Menschen sein: Un¬
Kultur ihres Wohnlandes aufgegangen waren, oder
beirrtheit!“
mindestens an ihr mitarbeiteten, von allen Enden
Das sind Worte von so tiefem Einblick in
der Welt versammeln und in eine gemeinsame
das Wesen des Problems, dass sie reicher sind an
Fremde senden wollte, nach der sie kein Heimweh
Belehrung als viele tönende Reden. Weg mit den
rief. Und eine Ahnung stieg in Georg auf, wie
Strohfeuern, die alle statt von der grossen Leiden¬
schwer gerade diese Besten, von denen Heinrich
schaft von blosser Sentimentalität genährt werden,
sprach, denen, in deren Seelen sich die Zukunft
diesem „Gefühl, das man sozusagen unter dem
der Menschheit vorbereitete, eine Entscheidung
Einkaufspreis erstanden hat“; und entzündet die
fallen musste; wie gerade ihnen, hin und her ge¬
wärmenden Flammen der heiligen Liebe!
worfen zwischen der Scheu, zudringlich zu er¬
Freilich, Schnitzler weiss nur, dass die Diener
scheinen, und der Erbitterung über die Zumutung,
dieser Flammen auch hier kormen müssen. Wie
einer frechen Ueberzahl weichen zu sollen
aber die Juden auch hier die Kontinuität der Per¬
zwischen dem angeborenen Bewusstsein, daheim zu
Süulichkeit und des Schaffens, un Wort Martin
sein, wo sie lebten und wirkten, und der Em¬
Bubers zu gebrauchen, wiedererhalten sollen,
pörung, sich eben da verfolgt und beschimpft zu
sagt uns der Wiener Dichter nicht. Eine Lösung
sehen: wie gerade ihnen zwischen Trotz und Er¬
der Westjudenfrage hat er nicht. Darum ist auch
mattung das Gefühl ihres Daseins, ihres Wertes
der Zionist, den er gezeichnet hat, Leo Golowski,
und ihrer Rechte sich verwirren musste.“
in so matten Umrissen gestaltet. Die Motive, die
Immer und immer wieder klingt es durch: der
ihn zum Judentum zurückführen, sind nicht weniger
Kampf zwischen Heimatssehnsucht und Fremdheits¬
negativ als die Beermanns und Nürnbergers. Noch
gefühl, wie wird er enden? Und es ist nicht nur
hören wir weder etwas von der einen jüdischen
Sache der Juden. Es ist eine Angelegenheit der
Kultur, die sich vorzubereiten scheint, noch von
Besten aller Völker. Sie alle müssen wünschen,
dem neuen religiösen Pathos, das über das Volk
dass das Werk dieses Beermann und Nürnberger
kommen wird, wenn die Zeichen nicht trügen.
nicht ins unfruchtbare Nichts versinkt und ihre
Genug: die Strassen, die ins Freie führen,
Fähigkeiten nicht ersticken in dieser „Atmosphäre
„laufen ja nicht im Lande draussen, sondern in
von Torheit, Unrecht und Ungerechtigkeit.“ Wo
uns selbst“
aber führt der Weg ins Freie? Viele erwarteten
Wie sagt Schaiom Asch am Ende seines
Schnitzlers Antwort mit Ungeduld. Er hat sie
„Sabbatei Zewi“, da das Volk ob des schmäh¬
enttäuscht. Enttäuscht? Nein, er gab ihnen eine
lichen Endes seines Messias der irren Verzweif¬
Lehre von dieser Wahrheit: Zionismus? Gut! Aber
lung Beute wird: von Euch, von Euch kemmt
er bedeutet doch „eine recht äusserliche Lösung
er. Was kann er bereiten, wenn Ihr nicht bereit
einer höchst innerlichen Angelegenheit.“ Und die seid, wie kann er Euch erheben, wenn Ihr Euch
innerliche Lösung ist es, auf die es ankommt, nicht erhebet?“
BERLINER AUSSTELLUNGEN.
Nachdruck verboten.
Wenn einmal eine Zeit wieder innerlicher und
Anzahl von Kunstwerken, lobten, tadellen, begeisterten
keuscher fühlen wird als unser vom Geld und der
sich und schwärmten. Heute jagt man durch eine
Phrase gekpechtetes Zeitalter, wird man in den all¬
Menge vollbehängter Säle, sicht alles und nichts
jährlichen Kunslausstellungen, wie sie heute üblich
und delektiert sich am Konzert, an Toiletten und wohl¬
sind, ein Zeichen der Barbarei sehen, von der wir über¬
feiler Distinguiertheit. Die Eindrücke sausen durch
flutet sind. Als die Ausstellungen aufkamen, gingen
den Kopf. die Augen irren, und das stille, versonnene
Menschen, die sich für Kunst interessierten, mit Muße
Wesen der Kunst bleibt angeahnt ferne dem Bewusst¬
durch ein paar Räume, besahen und beguekten eine sein. Eine Fülle von Intelligenz wird von seiten der