I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 120

23.
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sammen, und der Bezirksvorsteher, der über sie ge¬
Jugend“und Einfachheit treten am stärksten bei
setzt ist, fühlt sich ebensosehr in der schwarzen wie
Robert Walser hervor. Zum mindesten trifft er
in der gelben Würde. Einer dieser alten Herren hat
die Einfachheit, die er am entschiedensten von den
mir ein merkwürdiges Geschenk gemacht. Unter
Fünfen sucht, sehr wohl. „Der Gehülfe“ (Verlag
feinen Habseligkeiten sah ich einen seltsam gewachsenen
Bruno Cassirer, Berlin) ist sogar dermaßen einfach
kleinen Kürbis und fragte, was das sei. Verlegen
angelegt, daß er für einen wirklichen Erziehungs¬
gestand der Alte, das sei sein Schmalzlerglasl —
roman nicht genügend verwickelt ist. Es wird nur
gewesen. „Neen, Domins; als ich noch Kaffer war,
etwa ein halbes Jahr aus dem Leben eines
hab ich's gebraucht; jetzt, wo ich Christ bin, natürlich
Dreiundzwanzigjährigen geschildert. Ereignisse mit
nicht mehr.“ Mich freute die Empfindlichkeit dieses
irgendeiner sichtbaren Einwirkung auf dessen Ent¬
christlichen Gewissens, und um den Alten vor An¬
wicklung sind nicht zu verzeichnen; ja, es gibt über¬
fechtungen zu bewahren, ließ ich mir die ausgediente
haupt keine Ereignisse in diesem Roman, sie werden
Schnupftabaksdose schenken. Ein gottloser Kollege in
erfolgreich vermieden.
der Heimat hätte sie längst gern ihrer alten Bestimmung
Josef, so heißt hier der junge Mann, tritt in
wieder zugeführt; aber das darf ich dem „christlichen“
Bureau und Haus eines Ingenieurs am Ufer eines
Kaffer nicht antun. Im übrigen, Respekt vor all
Schweizer Sees ein, arbeitet und lebt vom Sommer
dem, was diese Farbigen hier auf ihrem Pacht¬
bis Neujahr, während die Verhältnisse seines Arbeit¬
lande leisten, und Respekt vor den Erziehungs¬
gebers sich bestöndig verschlechtern, und tritt
resultaten der Mission! Jede andere Form der
wieder aus. Er kommt aus dem Ungewissen und
Missionierung als die der Erziehung von Ein¬
geht ins Ungewisse, ungewandelt und ohne Ent¬
geborenen auf Missionsfarmen erscheint mir verfehlt.
schlüsse. Das einzige Ergebnis ist eine Bemerkung,
Natürlich müssen die hier Erzogenen nach ihrem
die dem Helden kurz vorm Schluß (S. 383) in den
Wegzug gleich ihren Kindern auch weiterbin unter
Mund gelegt wird. Danach hatte das Unglück eines
kirchlichen und religiösen Einflüssen bleiben, wie
verkommenden Bekannten für ihn den Vorteil, ihn
andere Leute auch; aber die grundlegende Arbeit
selbst zu beruhigen, daß er „dem kommenden Leben
sollte geschehen auf Missionsfarmen.
tief und sorglos und warm ins Auge blicken“ kann.
Ostwärts von Bloemfontein führt eine eingleisige
Das heißt, sich die Sache ein bißchen gar bequem
Bahn in vielstündiger langsamer Fahrt über Water¬
machen. Zum Glück hat das Buch dennoch seine
works — so haben die Engländer das durch De Wets
Vorzüge.
s ist von jugendlicher Innigkeit der
kühnen Überfall berühmte Sannaspost offiziell um¬
Lebensandacht durchdrungen, die echte Schlichtheit
getauft — über den von Kaffernhäusern wimmelnden
sein kann, die aber selbst dann schön bliebe, wenn
Thabamhu, in die Kornkammer des Freistaates. In
sie durchs Medium des Literarischen gegangen und
den „Kornspeicher“ könnte man sagen —
nur mehr „Simplizität“ zu nennen wäre. Der
hoch liegt das Bergland da droben. Über Ladybrand,
Charakter des Josef wird mit Liebe dargestellt,
Ficksburg und Bethlehem wird heute wohl die
wird auch ein wenig aus der Vergangenheit mit¬
Eisenbahnlinie fertig ausgebaut sein bis nach Kroonstad.
beleuchtet und wirkt im ganzen organisch und fein¬
Zu meiner Zeit ging sie nur bis Modderpoort. Von
nervig. Auch die übrigen Personen der Erzählung
da brachten mich des Burenfeldpredigers Kestells
haben leibhaftes Wesen. Walser weiß Nicht=Alltäg¬
Pferde über die Berge nach Ficksburg. Der wunder¬
liches zu sehen und liebt es, treffende Beobachtungen
bare Fernblick in die Gebirgswelt des Basutolandes
allgemeingültiger Art einzuflechten.
lohnt allein schon die Kletterpartie. In einem
Leider nur versteht er seine Gestalten nicht zu
elenden Karren, gegen die fürchterliche Nacht¬
bewagen. Die Geschichte rückt nicht vom Fleck, nicht
kälte nur durch ein zerrissenes Stück Segel¬
nur äußerlich, sondern namentlich auch innerlich.
tuch geschützt, kam ich mittels Karriolpost
Stillhaltende Ziele zu treffen, ist aber nicht so schwer
in zehnstündiger beschwerlicher Nachtfahrt nach
und nicht so interessant, wie bewegte zu treffen. Es
Bethlehem. Die Strecke Bethlehem—Lindley—Kroon¬
lebt da eine zu weit getriebene Passivität, die oft
stad war
gerade eben eröffnet worden;
irrigerweise für ein Erfordernis des Romans ge¬
ohatte ich doch wieder Eisenbahn, und
halten wird, eine mehr als buddhistische Wehr= und
in Kroonstad erreichte ich wieder die Hauptlinie.
Reglosigkeit gegenüber dem Leben. Man möchte
Halbwegs zwischen Kroonstad und der Transvaal¬
solche epischen Arbeiten als verlängerte Lyrik,
grenze liegt die Farm Christian De Wets. Sieht
nicht als Epik einordnen.
man in Bethanien, was Eingeborenenarbeit unter
Johannes Schlafs Wesen ist solche Art
tüchtiger Leitung vermag, so zeigt uns Roodepoort,
verwandt, hat vielleicht gerade seinersells das Ver¬
was weiße Hände leisten können. Beide Farmen
wandte in solchen Jüngeren fördern helfen. In
sind etwa groß, und beide müssen auch eine
seinem neuen Roman „Der Prinz" (Verlag
etwa g
e Bevölkerung ernähren. Hat
Georg Müller, München und Leipzig) kehrt denn
Bethanien
natürliches Sammelbecken für kleine
auch das Beschauliche, das Lyrische wieder, aber
Wasserzuf
so hat. Roodepoort den Renosterrivier,
gegen Walser erscheint Schlaf doch geradezu als
dessen W
berfluß De Wet in einem Riesendamm
kompliziert, sein Held Jürg verhältnismäßig als
sammelt
über seine Felder leitet. Außerdem
Willensrecke obwohl er das an sich gar nicht sein
besitzt &
die Gabe der Wasserfindung mit Hilfe
soll und auch nicht ist.
der Wi
ute. Beide Güter liegen auch ganz
Dieser „Prinz“, ein ungewöhnlich begabter Wind¬
nahe a
Hauptbahnlinie. Daß er alle Chancen
müllerssohn aus dem Thüringischen, entflieht als
verwer
für ist General De Wet aus Krieg und
Halbwüchsiger aus dem Elternhaus, weil der Vater
Friede
unt. Die vielen arbeitslosen Landsleute
sich hartnäckig seiner geistigen Ausbildung widersetzt.
haben
den Damm bauen helfen und dabei ein
Bei einem Onkel in Halle findet er Unterkunft; der
schönes ück Geld verdient, aber seine Farm zu
Besuch des Gymnasiums wird ermöglicht und mit
einer ldgrube gemacht. 700 Hektar Land ver¬
außerordentlichem Glückdurchgeführt. Eine Jugendliebe
mag er aus dem Damm zu bewässern, und zu der
geleitet ihn in dieser Jünglingszeit, entschwindet ihm
Zeit, da man Existenzmöglichkeiten suchte für Land¬
dann für etliche Jahre und findet ihn danach (ein
wirte mit einem kleinen Kapital, war De Wet
wenig enttäuschend unvermittelt, sang- und klanglos)
Verkäufer von kleinen „Zaaiblokken“. Und Land,
im rechten Augenblick, bei einer Krise seines Lebens,
riefen die Glücklichen, Land! Für je zwei Hektar
wieder.
zahlen sie 2000 M. in Monatsraten von 40 M., für
Jürg hat inzwischen mit glänzendem Erfolg in
Bauplatz halb soviel, das Weideland haben sie frei.
Berlin naturwissenschaftichen und biologischen Studien
Immerhin muß ein Mann, um mit Aussicht auf
obgelegen. Sein Glück konnte ihn nicht verblenden;
Erfolg beginnen zu können, ein paar Tausend Mark
eine dunkle Kraft in ihm treibt ihn vorwärts, so
Kapital besitzen. Verschenken tut De Wet nichts.
daß er fast wie ein fremder Zuschauer und ge¬
Es ist ihm aber gelungen, was der englischen Vet legentlich mit Mißtrauen die eigenen Erfolge