I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 162

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ahnt, daß sie tatsächlich doch viel Schweres wenig echt wie die Begeisterung. Nur die
mit sich selbst durchzuringen und abzumachen Schadenfreude und der Haß gegen das Ta¬
hat. Arthur Schnitzler läßt uns da im Stich.
lent, die sind echt bei uns.“ So stellt die
Er sagt nichts. Er deutet kaum an. Seine kolix Austria Schnitzlers erste Not dar, und
verräterische Eigenheit, allen Konflikten, den ich sagte schon, daß der „Weg ins Freie“
geräuschvollen nicht nur, sondern doch auch wohl nicht rein zufällig auch ein Weg ins
den tiefen und starken, möglichst aus dem Deutsche Reich wäre. Seine zweite ihn
Wege zu gehn spielt ihm hier einen bösen noch viel stärker bedrückende Not knüpft sich
Streich. Er wird sich verteidigen und wird
für ihn, den Juden, an das Judentum.
einwenden, er hätte mit künstlerischer Ab= Klug und fein, bitter und wahr redet er
sicht alles vom Manne aus gesehen. Aber darüber, dreht das Rassenproblem nach all
diese künstlerische Absicht ist hier ein grober
Seiten, kann nicht verbergen, daß es alle
künstlerischer Fehler. Denn es ist doch selbst¬
seine Gedanken beherrscht. Aber so treffend
verständlich, daß man in der Geschichte einer
die jüdischen Typen auch sind, die er auf¬
Liebe denjenigen Teil in den Mittelpunkt
stellt, so schlagend er sie auch charakterisiert
und das vollste Licht rückt, der am meisten
sie haben nicht das geringste mit der Er¬
darin zu erleben und zu erleiden hat. Was
zählung zu tun. Ja, wenn Anna Jüdin
geht uns am Ende dieser etwas kühle
wäre — dann könnte man begreifen, daß
Georg von Wergenthin an, für den man so¬
für Georg von Wergenthin, für die ganze
wieso nur schwer ein Interesse aufbringt
Entwicklung der Handlung das Rassenpro¬
und für den diese ganze Liebe über kurz
blem schwerwiegende Bedeutung hätte. Doch
oder lang eine nicht besonders wichtige Epi¬
diese Verknüpfung verschmäht Schnitzler.
sode sein wird? Aber für Anna Rosner
Das Liebespaar ist durchaus arisch, und es
muß sie schon aus natürlichen Gründen et¬
nimmt sich dadurch fast erotisch in einem
was Unvergeßliches, Unverwischbares, einen
sonst völlig semitischen Umkreis aus. Man
Lebensinhalt bedeuten. Und ihr Herz wie
hal das Gefühl, als hätte ganz Israel, wie
Lippen zu versiegeln, um statt dessen ihren
einst an den Wassern Babylons, so jetzt an
Geliebten in den Vordergrund zu schieben,
den Wassern der Donau seine Harfen auf¬
der doch halt mehr oder minder nur Zu¬
gehängt und weinte; als bestünde ganz Wien
nur aus jüdischen Literaten und ihren Stamm¬
schauer ist, das war fraglos ein Mißgriff,
der sich überall rächt. Erst durch Liebe und
verwandten von denen jeder in heimlicher
Leid der Geliebten hätte man allenfalls be¬
Gereiztheit das Bedürfnis hat, sich vor dem
greifen können, daß Georg von Wergenthin arischen Baron fortgesetzt zu entblößen und
sich selbst geläutert und Ziel und Richtung über seine jüdischen Erbsehler zu sprechen.
gefunden hätte. Aber da dies ganz fehlt Georg von Wergenthin interessiert sich gar
nicht so sehr dafür, aber es hilft ihm alles
was heißt denn da eigentlich der „Weg
nichts. „Wo er auch hinkam, er begegnete
ins Freie“? Wird dieser Weg etwa durch
Kämpfe und innere Entwicklungen und eigene
nur Juden, die sich schämten, daß sie Juden
Anstrengungen gewonnen? Durchaus nicht.
waren, oder solchen, die darauf stolz waren
Sondern teils durch die Empfehlung eines
und Angst hatten, man könnte glauben, sie
Bekannten, teils durch die Selbstlosigkeit des
schämten sich.“ Es war „absolut ausgeschlossen,
mit diesen Leuten harmlos zu verkehren“.
Mädels, das die Tür weit aufmacht und
Bittel sagt. Wenn der komponierende Baron
Da ist einer, der überall Antisemiten sieht,
dann, den Empfehlungsbrief in der Tasche,
selbst in der eigenen Familie. „Das ist die
durch diese Tür spaziert, so ist das wahrlich
neueste Nationalkrankheit der Juden,“ sagt
keine Heldentat. Ganz im Gegenteil. Man
ein andrer. „Mir selbst ist es bisher erst
sieht ihm mit sehr gemischten Gefühlen nach.
gelungen, einen einzigen echten Antisemiten
Löst so die Gestaltung des eigentlichen
kennen zu lernen, und das war ein bekann¬
ter Zionistenführer.“ Fragen der Assimila¬
Themas schon recht zwiespältige Empfin¬
tion werden fein behandelt; die „Tragikomö¬
dungen aus so wird durch das Um und
Drum das Urteil erst ganz bestimmt und
die des heutigen Judentums“ von einem
besiegelt. Arthur Schaitzler schlägt die Toga
Wissenden und Leidenden enthüllt, entschleiert
sich uns; all. Spielarten und Typen werden
zurück und zeigt seine Wundheit, zeigt, woran
er krankt. Wenn der alte Bauernfeld über
scharf beleuchtet; das bittre Wort fällt, daß
sein Vaterland redete, wurde der Heitere
„ein Jude vor dem andern nie wirklichen
„gra##tig“, und von ihm stammt der Spruch:
Respekt hat“. Eine Unsumme psychologisch
„Wie nenn' ich m in Hauptübel gleich?
feiner Bemerkungen wird daneben angehäuft;
Ich leide an Österreich!“
viel zorniger Schmerz über „diese jüdisch¬
Dieser Spruch könnte vor den Biographien
überklugen schonungslos=menschenkennerischen
Grillparzers, Halms, Raimunds, Bauern¬
Leute“ schafft sich einen Ausweg. Aber es
felds, Nestroys als Motto stehn, und es
ist etwas Unfreies in allem, Schnitzler selbst
fühlt sich gebunden. Und diese heimliche
gibt zu denken, daß über ein halbes Jahr¬
hundert später, im österreichischen Jubiläums¬
Bedrängnis und Erbitterung zerstört ihm
jahr 1908, einer der hervorragendsten Wiener
das Kunstwerk. Er erörtert neben der
Schriftsteller bitter in ähnliche Klagen und
Erzählung eine ganz persönliche Not,
Anklagen ausbricht. „Bei uns in Österreich,“
anstatt in der Erzählung die aus dem Er¬
heißt es einmal, „ist ja die Entrüstung so leben der Helden erwachsende Not zu ge¬