rWe
ins Frei
box 3/2
23. Del . . udereenscheceeate e
882 88 Neues vom Büchertisch. 18888888888 319
stalten. Er schweigt diesmal, wo er reden, Lowositz“, und hinter diesem Kreise liegt
und er redet, wo er schweigen sollte. —
wieder ein noch größerer, hinter der Familie
Mancherlei Berührungspunkte mit Schnitz= steht als heimliche Heldin die Stadt Prag.
lers Buch zeigt der neue Roman von Aus diesem Grunde nannte ich das Werk
Auguste Hauschner: „Die Familie
einen Milien=Roman; das Milien verleiht
ihm in erster Linie Bedeutung; das Milien
Lowositz (Berlin 1908, Egon Fleischel
ist geradezu glänzend gegeben. Auch in dem
& Co.). Österreichisches Judentum spielt
vorigen, an dieser Stelle gewürdigten Roman
auch hier eine große Rolle, und der Weg
von Auguste Hauschner „Zwischen den Zei¬
ins Freie, den der Held am Ende findet,
ten“ war es mit verblüffender Sicherheit und
führt auch in diesem Falle über die schwarz¬
einem fast merkwürdigen Gerechtigkeitssinn
gelben Grenzpfähle hinaus nach Deutschland
hingestellt. Man kommt nicht in die Ver¬
hinein ..
suchung, hier besonders eine überstrahlende
Die „Familie Lowositz“ ist ein Milieu¬
Gestalt hervorzuheben, aber man rühmt wohl
Roman. Es ist schwer, den Inhalt zu er¬
im allgemeinen, wie die streitenden Par¬
zählen. Im Mittelpunkt des außerordent¬
teien und Stände, die verschiedenen Elemente
lich sigurenreichen Werkes steht der junge
Rudolf Lowositz, erst Gymnasiast, dann
der Prager Bevölkerung in charakteristischen
Student im kampfgewohnten Prag. Bei
Vertretern gezeichnet sind. Die Stroblschen
der 75jährigen Großmutter feiert er mit der
Romane von denen „Der Schipkapaß“ hier
kürzlich besprochen ward, geben Prag unter
Gesamtfamilie den Vorabend des Passah¬
dem Gesichtswinkel des deutschnationalen
festes, wobei all die uralt geheiligten und
Burschenschafters; Auguste Hauschner sieht
fraglos sehr poesievollen Bräuche streng
weiter und gibt das Bild richtiger. Eben
innegehalten werden; in seiner Stube be¬
deshalb fehlt ihm wohl ein rechter Abschluß.
geistert er sich für Schopenhauer und schwärmt
Den wird nicht ein Roman — den kann nur
mit deutschen Dichtern; sein Verkehr reicht
die Geschichte der Zukunft schreiben.
von adligen Korpsiers über deutschnationale
Burschenschafter und jüdische Mittelparteiler
Erledigen wir nebenher gleich zwei andre
Frauenbücher die nicht ganz das halten,
bis zu fanatischen Jungtschechen und so¬
zialistischen Schriftsetzern; in platonischer was ihre Befürworter in Aussicht stellen.
Das eine, „Winkelquartett. Eine ko¬
Schwärmerei sieht er bewundernd zu dem
mische Kleinstadtgeschichte von Anna Crois¬
Fräulein von Leschner auf, will sich schon
sant=Rust“ (Munchen 1908, Georg Müller),
als Primaner in jähem Entflammtsein mit
wird von Otto Julius Bierbaum gepriesen,
einem jungen Mädchen seiner Kreise ver¬
der die Backen leicht zu voll nimmt: es ent¬
loben und hat endlich ein recht unplatoni¬
sches Verhältnis mit einer tschechischen Cho¬
halte alles, was die komische Muse nur selten
ristin. So reckt er seine Fühler nach allen
auf einmal hergebe, Humor, Witz, Drollig¬
keit. Das andre, „Der Weibermann“
Richtungen, und wie vor ihm tut sich vor
uns das Leben Prags in seiner ganzen Breite
ein Roman von Maria Schlumpf (Ber¬
auf. Ein gewisses Gerechtigkeitsgefühl, viel¬
lin 1908, Egon Fleischel & Co.), ist von
Ernst Zahn eingeleitet.
leicht auch ein heimliches Mißtrauen gegen
sich selbst. verbietet ihm, sich mit Leib und
Das „Winkelquartett“ stellt uns zwei
komische Pärchen vor. Es setzt sehr hubsch
Seele einer bestimmten Partei zu verschrei¬
ben. Natürlich kriegt er so von beiden Seiten
ein, und wenn die dicke Obstlerin sich am
Prügel. Und bitter fragt er sich: „Wer bin
Anfang der Geschichte vergeblich den Kopf
ich und wo bin ich zu Hause? An dem Tisch
zerbricht, wer nun eigentlich der Vater ihres
neuen Sprößlings sein dürste, so hat man
der Tschechen sitze ich als Gegner, in meinem
einen nicht üblen Vorgeschmack, der man¬
eigenen Lager fühle ich mich fremd. Wie
soll sich meine Zukunft hier gestalten? Wo
cherlei verheißt. Aber die späteren Entwick¬
soll ich aufs neue Wurzeln schlagen in die= lungen, Schicksale und Betätigungen der
sem unterwühlten Boden?“
So setzt er es
„Helden“, vor allem des Kampelmacherfritzen
er Prag verlassen, daß er #ach Berlin gehn wie man erwartet, die Drolligkeit steigt nicht
darf. Es bedeutet für ihn des Weg ins Freie. zu freiem Humor empor, sondern arbeitet
Eine brodelnde Jünglingsseele also. Wir sich in die Karikatur hinein, und auf der
Schlußseite 286 dürften die Leser doch mehr
müssen sie verlassen, ohne über sie beruhigt
zu sein. Denn man fragt sich doch, ob nicht
enttäuschte als vergnügte Gesichter machen.
ein großer Teil der Hemmungen, die Ru¬
Anna Croissant=Rust ist nicht frei und heiter
dolfs Entfaltung hindern, in ihm selbst liegt,
genug.
Sie hat wohl auch nicht genug
Wärme und Güte. So zieht sie uns in die
ob hier wirklich allein Prag schuld ist. Diese
Frage könnte nur ein noch ungeschriebener
Kleinlichkeit dieser ungebildeten und dumm¬
zweiter Band beantworten.
schlauen Profitjäger hinein, anstatt uns ihr
Überhaupt liegt ja, so sehr der junge Ru¬
Hin= und Hergezerre mehr von oben, aus
dolf im Vordergrunde steht, der eigentliche
freier Höhe, genießen zu lassen. Denn nur
Kernpunkt des Romans nicht in dieser Fi¬
von oben ist es erträglich und pläsierlich:
in zu großer Nähe beengt es und fällt auf
gur. Wohl ist sie wichtig, doch wichtiger
ist ihr Milien. Deshalb heißt das Buch
die Nerven. Eher schon hätte uns die Er¬
nicht „Rudolf Lowositz“, sondern „Familie zählerin das zweite, menschlich feinere Pär¬
ins Frei
box 3/2
23. Del . . udereenscheceeate e
882 88 Neues vom Büchertisch. 18888888888 319
stalten. Er schweigt diesmal, wo er reden, Lowositz“, und hinter diesem Kreise liegt
und er redet, wo er schweigen sollte. —
wieder ein noch größerer, hinter der Familie
Mancherlei Berührungspunkte mit Schnitz= steht als heimliche Heldin die Stadt Prag.
lers Buch zeigt der neue Roman von Aus diesem Grunde nannte ich das Werk
Auguste Hauschner: „Die Familie
einen Milien=Roman; das Milien verleiht
ihm in erster Linie Bedeutung; das Milien
Lowositz (Berlin 1908, Egon Fleischel
ist geradezu glänzend gegeben. Auch in dem
& Co.). Österreichisches Judentum spielt
vorigen, an dieser Stelle gewürdigten Roman
auch hier eine große Rolle, und der Weg
von Auguste Hauschner „Zwischen den Zei¬
ins Freie, den der Held am Ende findet,
ten“ war es mit verblüffender Sicherheit und
führt auch in diesem Falle über die schwarz¬
einem fast merkwürdigen Gerechtigkeitssinn
gelben Grenzpfähle hinaus nach Deutschland
hingestellt. Man kommt nicht in die Ver¬
hinein ..
suchung, hier besonders eine überstrahlende
Die „Familie Lowositz“ ist ein Milieu¬
Gestalt hervorzuheben, aber man rühmt wohl
Roman. Es ist schwer, den Inhalt zu er¬
im allgemeinen, wie die streitenden Par¬
zählen. Im Mittelpunkt des außerordent¬
teien und Stände, die verschiedenen Elemente
lich sigurenreichen Werkes steht der junge
Rudolf Lowositz, erst Gymnasiast, dann
der Prager Bevölkerung in charakteristischen
Student im kampfgewohnten Prag. Bei
Vertretern gezeichnet sind. Die Stroblschen
der 75jährigen Großmutter feiert er mit der
Romane von denen „Der Schipkapaß“ hier
kürzlich besprochen ward, geben Prag unter
Gesamtfamilie den Vorabend des Passah¬
dem Gesichtswinkel des deutschnationalen
festes, wobei all die uralt geheiligten und
Burschenschafters; Auguste Hauschner sieht
fraglos sehr poesievollen Bräuche streng
weiter und gibt das Bild richtiger. Eben
innegehalten werden; in seiner Stube be¬
deshalb fehlt ihm wohl ein rechter Abschluß.
geistert er sich für Schopenhauer und schwärmt
Den wird nicht ein Roman — den kann nur
mit deutschen Dichtern; sein Verkehr reicht
die Geschichte der Zukunft schreiben.
von adligen Korpsiers über deutschnationale
Burschenschafter und jüdische Mittelparteiler
Erledigen wir nebenher gleich zwei andre
Frauenbücher die nicht ganz das halten,
bis zu fanatischen Jungtschechen und so¬
zialistischen Schriftsetzern; in platonischer was ihre Befürworter in Aussicht stellen.
Das eine, „Winkelquartett. Eine ko¬
Schwärmerei sieht er bewundernd zu dem
mische Kleinstadtgeschichte von Anna Crois¬
Fräulein von Leschner auf, will sich schon
sant=Rust“ (Munchen 1908, Georg Müller),
als Primaner in jähem Entflammtsein mit
wird von Otto Julius Bierbaum gepriesen,
einem jungen Mädchen seiner Kreise ver¬
der die Backen leicht zu voll nimmt: es ent¬
loben und hat endlich ein recht unplatoni¬
sches Verhältnis mit einer tschechischen Cho¬
halte alles, was die komische Muse nur selten
ristin. So reckt er seine Fühler nach allen
auf einmal hergebe, Humor, Witz, Drollig¬
keit. Das andre, „Der Weibermann“
Richtungen, und wie vor ihm tut sich vor
uns das Leben Prags in seiner ganzen Breite
ein Roman von Maria Schlumpf (Ber¬
auf. Ein gewisses Gerechtigkeitsgefühl, viel¬
lin 1908, Egon Fleischel & Co.), ist von
Ernst Zahn eingeleitet.
leicht auch ein heimliches Mißtrauen gegen
sich selbst. verbietet ihm, sich mit Leib und
Das „Winkelquartett“ stellt uns zwei
komische Pärchen vor. Es setzt sehr hubsch
Seele einer bestimmten Partei zu verschrei¬
ben. Natürlich kriegt er so von beiden Seiten
ein, und wenn die dicke Obstlerin sich am
Prügel. Und bitter fragt er sich: „Wer bin
Anfang der Geschichte vergeblich den Kopf
ich und wo bin ich zu Hause? An dem Tisch
zerbricht, wer nun eigentlich der Vater ihres
neuen Sprößlings sein dürste, so hat man
der Tschechen sitze ich als Gegner, in meinem
einen nicht üblen Vorgeschmack, der man¬
eigenen Lager fühle ich mich fremd. Wie
soll sich meine Zukunft hier gestalten? Wo
cherlei verheißt. Aber die späteren Entwick¬
soll ich aufs neue Wurzeln schlagen in die= lungen, Schicksale und Betätigungen der
sem unterwühlten Boden?“
So setzt er es
„Helden“, vor allem des Kampelmacherfritzen
er Prag verlassen, daß er #ach Berlin gehn wie man erwartet, die Drolligkeit steigt nicht
darf. Es bedeutet für ihn des Weg ins Freie. zu freiem Humor empor, sondern arbeitet
Eine brodelnde Jünglingsseele also. Wir sich in die Karikatur hinein, und auf der
Schlußseite 286 dürften die Leser doch mehr
müssen sie verlassen, ohne über sie beruhigt
zu sein. Denn man fragt sich doch, ob nicht
enttäuschte als vergnügte Gesichter machen.
ein großer Teil der Hemmungen, die Ru¬
Anna Croissant=Rust ist nicht frei und heiter
dolfs Entfaltung hindern, in ihm selbst liegt,
genug.
Sie hat wohl auch nicht genug
Wärme und Güte. So zieht sie uns in die
ob hier wirklich allein Prag schuld ist. Diese
Frage könnte nur ein noch ungeschriebener
Kleinlichkeit dieser ungebildeten und dumm¬
zweiter Band beantworten.
schlauen Profitjäger hinein, anstatt uns ihr
Überhaupt liegt ja, so sehr der junge Ru¬
Hin= und Hergezerre mehr von oben, aus
dolf im Vordergrunde steht, der eigentliche
freier Höhe, genießen zu lassen. Denn nur
Kernpunkt des Romans nicht in dieser Fi¬
von oben ist es erträglich und pläsierlich:
in zu großer Nähe beengt es und fällt auf
gur. Wohl ist sie wichtig, doch wichtiger
ist ihr Milien. Deshalb heißt das Buch
die Nerven. Eher schon hätte uns die Er¬
nicht „Rudolf Lowositz“, sondern „Familie zählerin das zweite, menschlich feinere Pär¬