I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 181

box 3/2
ins Freie
23. Der Ne¬
AUIE eeeemerentereeneee

des Boudoirs.
Vom Büchertisch
zu lesen und die Sehnsüchtigsten haben in diesen Fortsetzungen nur
Der Weg ins Freie. Roman von Artur Schnitzler. Verlag
blättern können. Aber auch beim Blättern findet man manches und
von S. Fischer, Berlin. Preis 5 Mark. — Das ist der erste bedeut¬
meistens das Charakteristische: Aristokraten, Schriftsteller und Juden,
same Roman, den das heutige Wien hervorgebracht hat. Freilich sind
diese drei Typen kehren fortwährend wieder. Inzwischen bemerkt man
in den letzten Jahren schon manche gute und noch mehr mittelmäßige
politische und mondäne Gestalten, Anekdoten, Aussprüche, die einem
und schlechte Wiener Romane geschrieben worden, nämlich Bücher, in
sehr bekannt vorkommen. Und auf jeder Seite spürt man förmlich eine
denen allerlei lokale Begriffe, Bezeichnungen, Gewohnheiten, mit einer
Last von solcher Nachdenrlichkeit, von komplizierten Ausführungen und
ans Panoptikum heranreshenden, künstlerischen Lebensechtheit vorge¬
funkelnden Weisheiten. Nur vom eigentlichen Roman, von seiner
führt wurden. Diese kindische Art, Wiener Romane zu schreiben, war
Fabel und den Hauptgestalten merkt man beim Blättern nichts. Und
namentlich bei der fetigen Jungwiener Moderne sehr beliebt, voran
diese ersten, flüchtigen Eindrücke werden dann durch die geschlossene
Hermann Bahr, für den auch dies freilich nur eine vorübergehende
Lektüre des Buches so ziemlich bestätigt. Die Fabel des Romanes und
Vetwandlungsform bedeutete. Viel ausdauernder verharrten seine
seine beiden Hauptgestalien verblassen und verschwinden einigermaßen
mehr oder minder talentlosen Nachahmer bei dieser Manier und ihre,
neben den übrigen, viel kräftiger ausgeführten Partien, und das ist
für den einheimischen wie für den fremden Leser gleich unleidlichen
eigentlich sehr schade, denn es ist eine überaus dichterische Fabel, die
Bücher, die meistens nur gestammett und nicht erzählt waren, haben
in dem komplizierten Buch wie eine schlichte Novelle eingekapfelt ist,
den Wiener Roman mit Recht in einen ziemlichen Mißkredit gebracht.
und es sind zwei überaus feine Gestalten, dieser Georg v. Wergenthin
Daneben hat es auch manche weitere und herbere Erscheinung ge¬
und diese Anna Rosner, der durch spielerischen Lebensgenuß und
geben, begabte Erzähler, denen das Leben und Werden dieser Stadt
Träumerei ins Dilettierende geratene Komponist, und die Klavier¬
mehr war als ein bloßes, dankbares und gefälliges Milien, nämlich
lehrerin, die beinahe Opernsängerin geworden wäre. Beide empfinden
ein Problem, mit dem sie kämpften wie mit einer persönlichen Sache,
das Dasein im oberer Kreise eng und unbehaglich, ohne Sinn und
die sie evisch zu bewältigen trachteten und meistens mit halbem Ge¬
Ziel, und das treibt sie instinktiv zusammen, sie fangen ein Ver¬
lingen. Als Repräsentanten dieser Gruppe könnte man J. J. David
hältnis an, wie man zu sagen pflegt. Aber noch niemals hat illegitime
nennen, der trotz seiner schönen und reichen Begabung eine zu schwer¬
Liebe und Zärtlichkeit eine so wunderbare, bei aller Aufrichtigkeit reine
Iblütige Provinznatur war, als daß ihm der Wiener Roman jemals
und keusche Schilderung gefunden. Wie in beiden das Elternbewußtsein
hätte völlig gelingen können. Da bleibt aber nur einer, der größte
erwacht, wie die Sehnsucht nach dem Kinde sie immer inniger zu¬
unter den ehemalign Jungwienern, mit denen er eigentlich nichts
sammenhält, das hat Schnitzler mit künstlerisch ioktvoller Verwertung
gemeinsam hat, als die Herkunft und etliche Schwächen und Unarten:
psychologischer und physiologischer Kenntnisse dargestellt. Und dann,
Artur Schnitzler. Von seinen allerersten Novelletten an zeigt er sich
als das Kind tot zur Welt kommt, was für Georg das Ende aller
sofort als berufener Wiener Erzähler, der das Wienerische und Oester¬
bürgerlichen und verliebten Pläne und den Anfang einer ernsten,
reichische nicht bloß prahlerisch und großtnerisch mit Würde führt,
strengen Künstlerschaft bedeutet, da erhebt sich diese simple Wiener
ohne einen inneren Zusammenhang damit zu haben wie die anderen.
Liebesgeschichte zu erstaunlicher und ergreifender Größe. So schlicht
Bei Artur Schnitzler spürt man den Wiener Ton, die österreichische
und innig die Gestaltung dieser Fabe' ist so kompliziert und subtil
Art und Weise auch dort, wo darüber nichts Näheres und Deutlicheres
ist alles übrige im Roman. Die Ausschnitte aus den aristokratischen
gesagt wird, und selbst wenn er das Kostüm fremder Länder und
und jüdischen, aus den literarischen und politischen Kreisen des Wien
ferner Zeiten anlegt, man merkt sofort: das hat ein Oesterreicher ge¬
von heute sind durchsetzt mit verblüffend scharfen Beobachtungen, mit
schrieben. Das erinnert an das „wienerische Griechentum", das Laube
einer kostbaren und weisen Nachdenklichkeit, die den ganzen edeln,
Geillparzers Dramen nachsagte oder an Friedrich Halm, der durch die
sittlichen Ernst zeigt, mit dem Artur Schnitzler an diesem Buch ge¬
ganze Wellgeschichte und um den ganzen Globus gewandert ist und
arbeitet hat. Aber so wertvoll und charakteristisch dies alles auch ist,
dennoch unter den exotischesten Breitegraden der nämliche öster¬
in technischer und künstlerischer Hinsicht wird das Buch durch diese
schische Beamte blies. Oesterreichertum läßt sich nicht so leicht ab¬
Fülle von Nebenfiguren und Nebenproblemen zweifelsohne beein¬
und das mag ein Nachteil sein, es ist aber auch der best¬

trächtigt. Die reife, ruhige Erzählungskunst, die das Buch von der
üfsein für die Echtheit unserer heimischen Dichter und
Mögii
ersten bis zur letzten Seite erfüllt, verliert durch diesen unökonomischen.
Künsti# Bei Schüitler verschwindet das aufdringlich Jungwienerische
Hang zum Breiten und Schleppenden. Aber das ist schließlich alles
das Heimatliche wird in einer vornehm abge¬
immer mehr und i
belangles im Vergleich mit der allgemeinen größeren Bedeutung, die
tönten Weise, wie hinter einem Schleier sichtbar. Das gilt insbesondere
dieser Roman hat. Für die Wiener Literatur vor allem, für die
der dem Romaue nit einer
von dem Novellenbande „Tämm#ten“
Jüngeren und Jüngsten, die von Schnitzler manches profitieren
Verheißung vorangeht. Und nun nege bieser Roman, an dem der
können. Und dann für den Dichter selbst, der ja in diesem Buche
Buchform vor uns.
Dichter wohl einige Jahre gearbeitet hat, i
strenge Abrechnung hält, mit sich und mit seiner ganzen Zeit. Das
Zuerst ist er bekanntlich in der „Neuen Rundschau“ erschi#
ganze ist ein Werk, das den Menschen vielleicht noch mehr ehrt als
beschwerlich, ein ernstes großes Werk mit monatlichen Unterbreihungen
Heft 4
„Wiener Mode“ XXII.
211
den Dichter, ein Roman, desten künstlerische Schwächen lauter
im hellen Firnenlicht frei da, lebensvoll und unbedingt überzeugend.
menschliche Vorzüge sind, und der nur deshalb nicht die höchste Voll¬
Servaes hat als Autor — und vielleicht ohne es besonders zu beab¬
endung erlangen konnte, weil er mit vollem, mit übervollem Herzen
sichtigen — von Segantinis vielberühmter Maltechnik angezogen und
geschrieben wurde.
Ludwig Hirschfeld (Wien).
ein Buch geschoffen, das so rein und erquicklich wirkt wie ein echter
Giovanni Seguntini. Sein Leben und sein Werk. Von Franz
Segantini. Wie einer von den Reifsten und Besten! Servaes gibt das
Servaes. Verlag von Klinkhardt & Biermann, Leipzig. Preis
Lebensbild des Künstlers, das an wechselreichen Irrfahrten seines¬
8 Mark. — Diese Biographie des großen Meisters erschien im
gleichen sucht, einen erhabenen, von innerer Begeisterung durchglühten
Jahre 1902 zum erstenmal und bildete damals den textlichen Teil
Hymnus auf das Lebenswerk des Meisters dessen rechtes Verständnis
eines vom österreichischen Ministeriums für Kultus und Unterricht
hier erschlossen wird. Die Auswahl der Illustrationen erfolgte von
ini Sein Leben
dem Gesichtspunkte aus, Unbekanntes aus Tageslicht zu ziehen und
S##raktoristischem das Werk selbst zu erklären.
a. Tr.
Nerztin. Aufzeichnungen aus der
#oudlund.