I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 183

(„Tantris der Narr“, Drama in fünf Aufzügen von Ernst Hardt.)
„Als Tantris hier und dort Tristan.“
(Jsolde.)
„Der Kampf ums Rosenrote“ heißt ein Lustspiel des sympa¬
thischen Weimarer Dichters Ernst Hardt. Die Väter sind darin noch
Philister, die Kinder nicht mehr. Natürlich leugnen die Väter das
Rosenrote, für die Kinder aber gibt es nur dieses. Auch Ernst
Hardt ist ein solches Kind. Auch er kämpft um das Rosenrote; be¬
sonders wenn es ins Himmelblaue schillert und pechkohlrabenschwarze
Schlagschatten wirft. Wenn recht viel Leben und Tod dabei ist und
Himmelslust und Höllenqual. Darum flüchtet ja die Welt, sobald
sie wieder einmal romantisch wird, in die Sage zurück. Ins schöne
Mittelalter, wo es teils so still, teils so toll herging, so blöd und
klug durcheinander, wo die bunten Mären blühten, in denen jeder
sein leises Sehnen wiederfand und sein glühendes Verlangen. Das
waren denn ewige Stoffe, an denen die Jahrhunderte weiterkauten
und verdauten. Tristan und Jsolde; seit Richard Wagner wieder
den meisten Menschen ein Stück Seele. Was gibt es denn Elemen¬
tareres, als wie Meister Gottfried von Straßburg es so unerhört
lapidar ausdrückt:
„ein man, ein wip; ein wip, ein man:
Tristan, Isolt; Isolt, Tristan!“
Unsere neuromantische Zeit konnte nicht umhin, neuen Geschmack
zu gewinnen an den alten Schmackhaftigkeiten, von ungebrochener
Naturkraft und unauslöschlicher Flamme. Die zwanziatausend Verse
Meister Gottfrieds sind den Leuten zwar zu zahlreich, zumal man
auch noch die Fortsetzung dieses Kolossaltorsos, von Heinrich von
Freiberg, dazulesen mußte. Aber der köstliche Prosaroman, in seinen
verschiedenen letztmodern ausgestatteten Neubearbeitungen, liest sich so
prickelfrisch und herzenswarm zugleich. Der Pariser Bedier hat damit
vor einigen Jahren Marktglück gemacht und seine schöne Verdeutschung
desgleichen. Und der gediegene Tristanforscher Wolfgang Golther
brachte voriges Jahr sein überaus lesenswertes Buch: „Tristan und
Jsolde in den Dichtungen des Mittelalters und der neuen Zeit“
(Leipzia, Hirzel), darin erscheinen die sua fata dieses Libells an
sich schon wieder ganz romantisch. Was haben die Völker
und ihre Sprachen nicht alles am Tristan herumgedichtet diese acht
Jahrhunderte hindurch. Selbst die Byzantiner in ihrem verspäteten
Griechisch. Selbst die Insulaner der Faröer, bei denen, nebenbei
gesagt, Tristan am Schlusse gehängt wird. Ländlich sittlich. Denn
das Schicksal dieser beliebten Liebenden seltsam herauszuputzen,
brachte allezeit Chance beim Publikum. Und wie seltsam! In
einer Bearbeitung sehnt sich Isolde, mit Tristan im Bauche des
nämlichen Meerfisches begraben zu sein. Ganz reizende Nüancen erfinden
die Dichter, den Fall zu illustrieren, zu illüminieren vielmehr. Forderte
nicht der Liebestrank etwa geradezu zum Erfinden auf? Bei einem Poeten
leckt Tristans Hund Husdan den Becher des Liebestrankes hinterher
aus; daher seine fabelhafte Treue zu seinem Herrn. Bei Immermann
wirft Brangäne den geleerten Becher ins Meer, worauf ein gro߬
artiges Meerleuchten entsteht. Immer wieder die wundertätige Welt¬
macht des Liebeszaubers. Die ganze Schöpfung beugt sich ihm; der
Hund, das Meer, wie nicht auch „ein Mann, ein Weib“? Natur¬
kraft, Weltgesetz, das war im allgemeinen Bewußtsein die unsterb¬
liche Entschuldigung jeder möglichen Eheirrung. Selbst die falschen
Unschuldseide, die Isolde mit heutzutage etwas störender Geläufig¬
keit schwört, waren im vorhinein entschuldigt; sie selbst war ja
wirklich unschuldig, denn der Liebestrank war der Verbrecher. Dem
hätte König Marke selber nicht widerstanden. Der neuzeitliche
Dichter ist da wahrlich in einer argen Klemme; d. h. wenn er
kein Genie ist wie Richard Wagner. Sein niemals irrender
dramatischer Instinkt, der stärkste seit Schiller, und vor diesem
seit Shakespeare, und vor diesem seit jenen drei Griechen, griff
mit sicherem Finger sofort das verhängnisvolle Rädchen in der
Maschinerie und rückte es zurecht. Bei ihm glauben „diese zwei lieben
Menschen (wie der alte deutsche Roman sie nennt) den Todesbecher
zu trinken; daß es durch Brangänes Schuld der Liebesbecher ist,
wissen sie nicht. Dann wirkt „das unselig getrank“ mechanisch weiter.
Freilich hat er nur eine Liebe entfesselt, die schon vorher da war,
und das erhebt das Liebespaar wieder zu dramatischem Selbstleben,
über die Marionette am Schicksalsdrähtlein hinaus. Das war eben
Richard Wagner, der Großmeister im Motivieren einer (wie Hans
Sachs sich ausdrückt) „unorndlichen“ Liebe.
Unser junger Poet findet das Problem weit schwieriger und
weicht ihm eigentlich aus. Der Liebestrank wird fast nur beiläufig erwähnt,
zitatweise gleichsam, und sein Verhältnis zu Schuld und Unschuld,
das einer bürgerlicheren, mehr „motivierenden“ Zeit die plocho¬
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vieles im Unklaren schweben
und einige Zusammenhänge
sind überhaupt nur dem Kenner der Tristangeschichte ganz
hell. Er geht den Stoff als moderner Nervenschilderer an. Wie
Hofmannsthal in seinen Elektrastücken eigentlich nur die Regie¬
bemerkungen früherer Uebersetzer ausführlich dramatifiert. Bei den
Griechen hört man zwei Schreie, Klytämnestra ist tot.
Bei Aegisth ist schon ein Schrei „im Hause“ genug. Bei Hofmanns¬
thal wird das alles gespielt, für Aug und Ohr, mit Hand und
Fuß. Abschlachtung, zu der die Nerven ihre ganze Polyphonie er¬
klingen lassen. Ebenso bei Gerhart Hauptmann, im „Armen
Nervendame des Stückes, deren Hysterien dramatisch ausgestaltet und
ausgedeutet werden, so bei Hardt Isolde. Tristan ist nur eine un¬
heimliche, verfängliche Arabeske um sie her. Ernst Hardt will vor
allem die Seele Isoldens ausmalen, in allen ihren Entfärbungen
und Polarisierungen der Stimmung, bis ins Unbewußte hinüber.
Im ersten Akte ist Isolde Goldhaar zehn Jahre von dem
„treulosen“ Tristan getrennt, der mittlerweile Isolde Weißhand ge¬
heiratet hat. Sie flucht ihm, das heißt sie liebt ihn. Schwebende
Pein in mancherlei Schattierungen. Dazu dumpfe Angst vor dem
eisernen Herzog Denovalin, der sie durchaus besitzen will und aus
Eifersucht das Paar schon einmal auf den Holzstoß gebracht hat
(„Gott blies das Feuer aus"“) und nun noch Schwärzeres droht. Er
hat Tristan im Walde reiten sehen, im Morgennebel. Er ist wieder
da, und darauf steht der Tod für sie beide. Damals, vom Holzstoß
weg, wurde er verbannt, und sie unterschrieben beide mit Blut den
Vertrag: Tod, wenn er jemals wiederkehrt. Und noch ein Eid,
zwischen Tristan und Isolde selbst. Wenn ihn je irgendwo irgendwer
in ihrem Namen stehen heißt, werde er stehen; und wenn ihr je
irgendwer irgendwo ihren Ring mit dem grünen Stein bringt, woird sie

dem Ringe folgen. Und nun will Denovalin Tristan in Isoldens Namen
angerufen haben und der Ritter sei geflohen. Neuer Verrat also.
Im zweiten Akte steht Isolde, von Denovalin angeklagt, vor ihren
Richtern. Erst hier erfährt man genaues, uch all dem Erratenlassen
im dunkel gestimmten ersten Akt; Ibsensche Methode. König Marke
wütet. Ihm hat der Dichter überhaupt die Fähigkeit der Wut ver¬
liehen, da der herkömmliche Biedermann heute zu schlechte Figur
macht. Es wird sogar eine Schauermär erzählt, von einem auf sein
Geheiß gebratenen Herzen. Isolde ist würdig, königlich, spricht aber
zu viel und gut, in so verzweifelter Lage. Sie weiß ja schon, daß
der Holzstoß keine leere Drohung ist. Sie schließt den zenisch srefflich
geführten Akt mit einem neuen hochpathetischen, aber recht zwei¬
deutigen Haupteid, daß sie tat, lich keinen geliebt, als den Mann,
umfangen. So tat sie sch. a vor
der sie zum ersten Mal bräuft
ihr damals geholfen. Auch Gott
dem ersten Holzstoß und Gol¬
tfrieds zu sein, das sich in der
scheint mit dem Publikum Meister
Poesie unbedentlich für die Liebe erklärte und alle List, allen Lug
und Trug der Liebenden mit schadenfroher Zustimmung begrußte.
Heute sieht das natürlich in einem gesprochenen Drama anders aus.
Man mußte es eben machen können. Einem Hebbel etwa wäre es
zuzutrauen, der ginge aber dem Eid, ob rein ob „mein, mit seiner
haarscharfen Loail an den Leib. In dieser ganzen Luft schwirrt es
o von Eiden, Schwüren, Gelübden, Verträgen kreuz und quer, von
überflüssig vielen sogar denn nicht aus allen werden wirklich Folge¬
rungen gezogen, sie haben nur gelegentlich als Hilfen für eine
Situation zu dienen. So später der grüne Stein. Und bei alledem
ist so viel Hinterhältigkeit, galanter Betrug; Isolde ist die Heldin
der reservatio mentalis. Man begreift, daß König Marke nach ihrem
neuen Eidschwur ratlos ausruft: „Schütz mich vor ihren Schwüren,
wer mich liebt!“
Nun, den Holzstoß erläßt er ihr, aber er „schenkt“ sie den
Siechen von St. Lubin. Er macht sie zur „Braut“ sämtlicher Aus¬
sätzigen der Provinz. Und schon kommen sie herangeklappert, die
vielen armen Heinriche und wollen ihr Teil an ihr. Das ist der dritte
Akt, die schauerliche Szene im Burghofe, wo der Henker ihr Krone
und Purpurmantel abnimmt und ihr dann entschuldigend den Fuß
küßt. Nackt, nur vom Mantel ihres blonden Haares umwallt, soll
sie dastehen. Isolde Blondhaar, die immer blonder wird; so sagt
König Marke schon im ersten Akt. Es herrscht förmlich ein Haar¬
fetischismus in dem Stücke. Mit der Nacktheit findet die Bühne sich
natürlich irgendwie ab. Wie schon in „Monna Vanna, im
„Teufel“ u.s.f. Es wäre eigentlich schon geschmackvoll, dieses
fopperische Motiv für hundert Jahre fallen zu lassen. Nächstens
wird man die Urnackte, Lady Godiva, nackt durch die Straßen von
Coventry reiten lassen. Wink für den Zirkus. Nun, Isoldens
Nacktheit hat sich zu einem grauen Büßerhemd verdichtet. Und