I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 184

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Deite 18
Adel
— *
Wien, Freitag
da beginnt denn in ihren Nerven das große Spuken und dauert
dritthalb Akte hindurch. Mit geschlossenen Augen, in Bewußtlosig¬
keit entrückt, steht sie dem Entsetzlichen gegenüber. Der „widerlichen
Geschichte“ (Golther), die selbst Hans Sachs, ja schon der alte
Heinrich von Freiberg weggelassen hat, der Nervenmoderne aber
nicht missen mag. Ihre verwirrien Sinne erkennen selbst Tristan
nicht mehr, der als Siecher verkleidet sie rettet, indem er das an¬
steckende Gefindel kurz und klein schlägt und auch den Erzfeind
Denovalin ersticht. Und auch die nächsten zwei Akte hindurch erkennt
sie ihn nicht mehr. Nun kommt er als Taniris der Narr verkleidet
und sagt ihr zwei Akte lang lauter Sachen, die nur sie beide wissen
können. Sogar den Ring mit dem grünen Stein führt er ins Feld.
Unnütz; sie erkennt ihn nicht. Für sie trägt er (offenbar) seit seinem
„Treubruch“ eine undurchdringliche Maske. Sie erahnt ihn, so blitz¬
weise, und gleich wieder ist er ihr in einer Wolke von Trug ver¬
sunken. Man sieht ja ungefähr, wie es der Dichter gemeint haben
möchte. Aber zweieinhalb Akte lang erträgt man diese zah aus¬
gesponnene Unzurechnungsfähigkeit nicht. Tristan ist der bitterste
Narr seit Lear, Isolde die schmerzlichst heraufbeschworene Astarte
eit Manfred, aber wir sind dem Halt des Dichters bereits ent¬
schlüpft.
Zuletzt will Isolde doch Klarheit. Sein Hund Husdent, dieses
verwilderte Untier, von König Marke im Verließ gehalten, offenbar
als Erkennungszeuge, wenn Tristan je in Verkleidung kommen
ollte, dieses Ungehener, das schon drei Wärter zerrissen, soll nun
seine Identität beweisen. Zerreißt er ihn, so war es nicht Tristan.
Aber Husdent erkennt ihn sofort und folgt ihm mit wütendem
Jubelgebell hinaus ins Weite. Denn Tristan geht, ohne den Dank,
Däme, zu begehren. Warum kam er? Er wollte ... sie noch ein
letztesmal sehen, vor seinem Tode. Das ist ein matter Schluß für
ein Tristan=Drama. Ein Schluß aus unserem landläufigen Alltags¬
leben. Mir fiel, unabweislich, der neue, in seiner ungeschminsten
Naturwahrheit so anziehende Roman Artur Schnitziers
ein, den ich auf der Sommerreise las. „Der Weg ins Freie“ heißt
er. Der Baron, der ein Verhältnis mit einer Klavierspielerin gehobt,
geht zuletzt einfach weg. Ins Freie; ich glaube nach Detmold, um
eine Kapellmeisterstelle anzurreten. Anna ist es zufrieden; d. h. sie
findet sich darein. Das Verhältnis ist bis auf den Grund ausgelebt,
es hat beiden gegeben, was es zu geben hatte. Dann kommt, wie
schon in Säkkingen alle Trompeter blasen, das „Auseinandergehen“
Das Leben war eben diesmal nicht anders aufgelegt. Bei Tristan
freilich liegt die Sache nicht so. Tristan darf nicht nach Detmold
gehen; wenn auch sein wunderbares Harfenspiel in Meister Gott¬
frieds Sang ihn zu einer Kapellmeisterstelle gewiß befähigte.
So darf man über „Tantris der Narr“ urteilen: die erste
Hälfte, mit den erwähnten Beschränkungen im Einzelnen, vortrefflich.
Echtes Gedicht, starke Stimmung, kluge Verwertung des exotischen
Moments (Zauberhündlein Petikru im Käfig), meisterlich in Sprache
und Tonfall, sinnliche Illusion, krättige Führung; die zweite Hälfte
ein jäher Abfall, in Verschleppung, in spintisierte Innerlichkeit. Wie
ein anzügliches Symbol leuchtet über dem Stücke der halbe deutsche
Schillerpreis (den Schillerpreis des Volkes hat es ganz erhalten).
Es ist, als habe man nur die erste Hälfte des „Tantris“ preis¬
würdig gefunden. Daß er bei den Preiskomitees so einschlug, ist für
mich kein Wunder, seitdem ich als Mitglied eines solchen viele
Dutzende neuer deutscher Dramen habe lesen müssen. So trostlose Ab¬
holzung des ganzen Parnaß hatte ich mir doch nicht vorgestellt. Und hier
kommt nun ein wirklicher Dichter, von wirklichem Niveau, Seelen¬
kraft ausströmend und formbeherrschend zugleich, auch mit dem
Theatersinn begabt. Er siegt nur halb, aber er siegt.
Die Ausarbeitung der Novität am Burgtheater war überaus
sorgfältig. Den Szenenbildern sah man doch an, daß Roller nicht
vergebens gelebt hat. Man baute Räume aus großen einfachen
Elementen, mitunter doch zu kahl, für eine Kemenate etwa. Die
Halle der Burg im Mondenschein, mit einigen breiten Schatten¬
streifen querdurch, war das beste Bild. Zu bemerken übrigens, daß
bei so taghellem Mondschein die Sterne nicht so groß am Himmel
stehen. Das können sich die Szenenerfinder alle nicht merken. Die
vorschriftlich statuarischen Kostüme Isoldens wurden sehr gut ge¬
tragen. Ueberhaupt war diese Gestalt durch Frau Römpler¬
Bleibtreu tadellos in Form und Stimmung gesetzt. Sie
ist eines heroischen Stiles fähig, und das ist heutzutage nicht zu
bezahlen. Herr Kainz fand im zweimal verkleideten Tristan ein
Doppelproblem, das er spielend löste. Wenn er auftritt,
ist
eine Siene. ia
EDH Krtltr.Ar
Saen
Nr. 320

Wärme des Bluts. Herr Devrient war ein unheimlicher
Denovalin, wird aber die drohenden Reden etwas furchtbarer zu
nehmen haben. Als sein gutartiges Gegengewicht, Herr Dinas, der
Treueste der Treuen, war Herr Löwe ganz an seinem Platze. Und
Herr Thimig spielte den Narren Ugrin mit einer Plumpheit, die
ganz Herz war. Fräulein Kutschera als netter Page und Frau
Häberle — wir haben sie seit dreihundert Jahren nicht gesehen
als Brangäne seien nicht vergessen. Ratsam wird es sein, dem
Narren Ugrin das viele Zitieren aus bekannten deutschen Klassikern
zu streichen. Er variiert sogar aus Goethes „Faust“ das Lied,
„Es war einmal ein König, der hatte eine ... Frau“ usw. Im
zwölften Jahrhundert war der „Faust“ doch noch nicht so allgemein
bekannt. Im ganzen darf das Burgtheater mit dem Erfolge des
Dichters, und dieser mit dem des Buratheaters zufrieden sein. Das
Publikum war zwar so konfus wie noch nie und wußte wirklich nicht,
ob es klatschen oder etwas anderes sollte. Also benahm es sich sehr
gemäßigt, jedenfalls freundlich und nach den guten Aktschlüssen an¬
erkennend. Nach dem dritten war der Beifall am stärksten, der jugendliche
Dichter konnte aber schon vom zweiten an getrost und wiederholt
erscheinen. Für das Repertoire ist zunächst ein dankbares Spielstück
gesichert, und dabei kann man sich freuen, daß es doch kein leidiges
L. H—1.
Glücksstück nach dem Durchschnitt gewesen ist.


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