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23. Der Neg ins Freie
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„en ner r #stehur
24. 3e FX
Der Weg ins Freie.
Roman von Arthur Schnitzler.
Berlin 1908. Verlag von S Fischer.
Von Schnitzler ein Roman! Das muß s ein prächtiges Kultur¬
bild Wiens sein, denn wer kennt die Kaiserstedt a. der Donau besser
als er. Und seine Mädchenköpfe werden uns mit ihren schelmischen
lugen ansehen, und mit ihnen werden wir in den Strom sprudelnden
Lebens hineingerissen? Denn wer hat diese Art Lebensgenießer
besser in seinen Novellen geschildert als der Lebenskünstler Schnitz¬
ler. Unsere Erwartungen werden allerdings auch zum Teil erfüllt,
und doch ist der Roman als Ganzes betrachtet ein mißglücktes Werk.
Von Anfang bis zum Schluß sind deutlich zwei Teile zu erkennen,
die eigentlich garnichts miteinander zu tun haben und jedesmal ge¬
waltsam zusammengebracht werden, damit es ein Ganzes gibt. Das
eine ist die Novelle von dem Baron und dem Bürgermädchen, die
aufungs zusammen musizieren, bis es dann schließlich kommt, wie
es kommen mußte, bis ein Kind geboren wird und dann die beiden
nach dem genossenen Glück ihre Hände von einander lösen auf Nim¬
menwiedersehen. Im zweiten Teil macht der Oesterreicher und Jude
Schnitzler in Form von allerhand Meditationen und Diskussionen
ich gebrauche hier mit Absicht diese Fremdwörter, um das künstlich
Gesuchte anzugeben), die er den Nebenpersonen, Juden und Jüdin¬
nen, in den Mund legt, seinem Herzen Luft. Diese Erörterungen
lassen den gewöhnlichen Sterblichen vollkommen gleichgültig, zumal
ie immer aufs neue wiederholt werden und dasselbe bald in grüner,
bald in roter Beleuchtung zeigen. Könnte man solche Kafseehaus¬
stimmungen aus dem Roman herauslösen, würde es einige ganz in¬
teressante Bilder aus gewissen jüdischen Kreisen geben. Denn im
Kaffeehaus und in den Gesellschaftskreisen ist Schnitzler zuharse Mit
Kunst hat es aber wenig zu tun, denn die Personen bilden nur Staf¬
sage für des Dichters Herzenserleichterungen über österreichische Zu¬
stände und über die Judenfrage. Besonders viel wirh über den
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Zionismus hin und her geredet. Wie dies künstlerisch zu gestanen
wäre, müßte Schnitzler bei seinem Hamburger Kollegen Huldschiner
in seinem Roman „Die stille Stadt“ nachlesen. Ebenso könnte man
aus den fast fünfhundert Seiten des Romans auf etwa fünfzig Seiten
die Novelle herauslösen. Dann hätte man eine neue, künstlerisch in¬
teressante und eigenartige Novelle Schnitzlers. Die Anna ist allere
dings so dunkel wie moglich gezeichnet, aber ihre Gefühle sind die
einer „Stummen des Himmels“ die wenig spricht, aber umso tiefer
empfindet. Sie macht dem Liebhaber keine Schwierigkeiten und läßt
ihn seinen „Weg ins Freie“ wieder gehen, nachdem sie nit echt weib¬
lichem Gefühl bald gemerkt hat, daß er ihren Händen schon längst
entglitten ist. Ob der Herr Baron aber überall so vernünftige
Eltern und ein äußerlich so ruhiges Mädchen findet, wenn er sich
auf neue Liebesfahrten begibt? Der al#e Arzt hat Recht. Man kann
noch so modern empfinden, und doch bleibt bei solchen Erlebnissen
ein gewisses Etwas in einem zurück, und es dauert lange, bis man
sich in die Wirklichkeit wieder mit einem Ruck hineingefunden hat.
Dies läßt er uns bei den Eltern und dem Mädchen nicht fühlen.
Seine ganze Kunst hat er darauf verwendet, uns den Baron zu cha¬
rakterisieren. Das ist denn auch eine sehr interessante Studie ge¬
worden, und besonders die Untertöne, die leise mitschwingenden und
nachklingenden Gefühle, die man nie in Worte faßt und oft sich selber
nicht gesteht, sind hier von dem Seelenkenne# Schnitzler fein ange¬
deutet worden. Die Gestalt des Barons stett och lange vor unseren
Augen, wenn wir alles andere, auch die liebe Anna, vergessen haben.
lnd wir können dem guten Menschen wirklich nicht sehr böse sein,
der sich und uns so Ergreifendes bei der Geburt und dem Tode seines
Kindes sagt, wenn er im Arm der Liebe an alte Abentener denkt
oder auf neue sinni. Und doch bleibt es eine herzlose Kunst. Wir
möchten wohl mit dem Baron „nachtmahlen“ und sein Kaffeehaus be¬
suchen und doch nicht Arm in Arm mit ihm herumschlendern und
K L.
ihr einen Freund nennen.
aenesee, Aanierrsg
2 hw. 18
— Arthur Schnitzler Der „Weg ins
Freie. Roman. Verlag S. Fischer“ Berlin. Der
so viel wir wilsen erste große Rontan, Schnitzlers be¬
antwortet die Frage, oh ein Marn das Recht,
a unter Umständen die Pflicht/(hat, das Ver
hältnis zu einem Mädchen zu rösen, welches sich
ihm ganz zu eigen gageben hat und das ihm geistig
gleichsteht, sobalb dies Verhöltnis ihm für seine wei¬
tere Entwickelung, um nicht Fortkommen zu sagen. hin¬
derlich ist. Der Schriftsteller beantwortet diese Frage
bejabend. Georg von Wergenthin löst sein Verhältnis
zu Anna Rosner, als er Kapellmeister in Dessau wer¬
den soll und er sein Verhältnis als etwas empfindet.
was ihn „unfrei“ macht; als er den „Weg ins Freie“
zu gehen persönlich dringend wünscht. Anna gibt ihn
rei. und da das Kind, das bei der Geburt gestorben,
auch kein Bindeglied ist, wäre ja alles in schönster
Ordnung. Bei näyerer Prüfung scheint es aber, als
habe der Schriftsteller die Angelegenheit doch sehr par¬
teiisch vorgetragen, um den Freispruch für Georg bei
der Jurn durchzubrücken. Die Frage, ob dem Manne
das ethische Recht zusteht, den Weg ins Freie zu neh
men, kann nicht davon abhängig gemacht werden, ob
der andere Teil zustimmt, denn je höher das Mädchen
ieht, je seiner es empfindet, je eher wird es der ge¬
wünschten Lösung zustimmen, je weniger wird es aber
nach der Lösuna, für sich selbst und für die Welt wie¬
der sein, was es vorher war. Da aber nun der Mann
nach der Lösung wieder ist, was er vorher war — s
ist es doch einmal im Leben — so trägt die Frau
allein die in der Natur der beiden Geschlechter begrün¬
— zusammen
deten Folgen ihres einstigen Entschlusses
zu leben, und der Mann geht geistig, körperlich und
bürgerlich frei aus. Nur die Herrenmoral kann diese
ungleiche Verteilung von Pflichten auf Kosten des weib¬
lichen Geschlechts für gerecht und schön halten. Uebri¬
gens empfind; dies der Schriftsteller auch selbst, we¬
nigstens läßt er es in dem letzten Gespräch zwischen
Georg und Leo durchblicken. Die zynische Bemerkung
von Leo, daß eigentlich der eventuelle zukünftige Ehe¬
mann der Anna Rosner dem Georg noch dankbar
sein müsse, ist natürlich nur ein schlechter Witz. Selbst¬
verständlich gibt es ein Recht der Selbsterhaltung, wie
es ein Recht der Notwehr gibt, und damit gibt es auch
ein Recht auf den Weg ins Freie, aus einem nicht le¬
galisierten Verhältnis, wie aus der bürgerlich geschles¬
enen Ehe, denn vom rein ethischen Standpunkt aus
betta#tet, müßten doch beide Verhältnisse, wenn sie
auch nun. bürgerlich gleich, doch eigentlich sittlich gleich
zu behandeln sein. Dies Recht der Selbsterhaltung
kann aber, wenigstens wie der Schriftsteller Altna Ros¬
ner geschildert hat, Georg nicht in Anspruch nehmen.
Auch Georg fühlt dies vollkommen, und so kommt er
n der Beantwortung, daß der Mann nach der Lösung
schuldig wäre, wenn er sich schuldig fühlte. Der
Leser wird gestehen, eine sehr sehr seine Beantwortung,
die aber doch, richtig verstanden, im großen und gan
zen auf das oben Gesagte hinauskommt. Muß der
Mann, natürlich auch die Frau, das Verhältnis lösen
im berechtiaten Selbsterhaltungstrieb, so ist es kein
Unrecht, löst ein Teil aber das Verhältnis, und natür¬
lich am leichtesten das bürgerlich nicht anerkannte und
damit so einfach lösbare Verhältnis im Gefühle nur
des Ueberdrusses, nach der Sättigung, so bleibt es ein
Unrecht — und dies Unrecht begeht Georg, trotz aller
Scheingründe. Der Roman in seiner reichen Gliede¬
rung, seiner seinen Schilderung Lebens in den
Wiener Künstlerkreisen, gehört zu din besten Erschei¬
nungen der enten Jahre; eine Empfehlung erübrigt
sich selbse.
B.
23. Der Neg ins Freie
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„en ner r #stehur
24. 3e FX
Der Weg ins Freie.
Roman von Arthur Schnitzler.
Berlin 1908. Verlag von S Fischer.
Von Schnitzler ein Roman! Das muß s ein prächtiges Kultur¬
bild Wiens sein, denn wer kennt die Kaiserstedt a. der Donau besser
als er. Und seine Mädchenköpfe werden uns mit ihren schelmischen
lugen ansehen, und mit ihnen werden wir in den Strom sprudelnden
Lebens hineingerissen? Denn wer hat diese Art Lebensgenießer
besser in seinen Novellen geschildert als der Lebenskünstler Schnitz¬
ler. Unsere Erwartungen werden allerdings auch zum Teil erfüllt,
und doch ist der Roman als Ganzes betrachtet ein mißglücktes Werk.
Von Anfang bis zum Schluß sind deutlich zwei Teile zu erkennen,
die eigentlich garnichts miteinander zu tun haben und jedesmal ge¬
waltsam zusammengebracht werden, damit es ein Ganzes gibt. Das
eine ist die Novelle von dem Baron und dem Bürgermädchen, die
aufungs zusammen musizieren, bis es dann schließlich kommt, wie
es kommen mußte, bis ein Kind geboren wird und dann die beiden
nach dem genossenen Glück ihre Hände von einander lösen auf Nim¬
menwiedersehen. Im zweiten Teil macht der Oesterreicher und Jude
Schnitzler in Form von allerhand Meditationen und Diskussionen
ich gebrauche hier mit Absicht diese Fremdwörter, um das künstlich
Gesuchte anzugeben), die er den Nebenpersonen, Juden und Jüdin¬
nen, in den Mund legt, seinem Herzen Luft. Diese Erörterungen
lassen den gewöhnlichen Sterblichen vollkommen gleichgültig, zumal
ie immer aufs neue wiederholt werden und dasselbe bald in grüner,
bald in roter Beleuchtung zeigen. Könnte man solche Kafseehaus¬
stimmungen aus dem Roman herauslösen, würde es einige ganz in¬
teressante Bilder aus gewissen jüdischen Kreisen geben. Denn im
Kaffeehaus und in den Gesellschaftskreisen ist Schnitzler zuharse Mit
Kunst hat es aber wenig zu tun, denn die Personen bilden nur Staf¬
sage für des Dichters Herzenserleichterungen über österreichische Zu¬
stände und über die Judenfrage. Besonders viel wirh über den
„1
Zionismus hin und her geredet. Wie dies künstlerisch zu gestanen
wäre, müßte Schnitzler bei seinem Hamburger Kollegen Huldschiner
in seinem Roman „Die stille Stadt“ nachlesen. Ebenso könnte man
aus den fast fünfhundert Seiten des Romans auf etwa fünfzig Seiten
die Novelle herauslösen. Dann hätte man eine neue, künstlerisch in¬
teressante und eigenartige Novelle Schnitzlers. Die Anna ist allere
dings so dunkel wie moglich gezeichnet, aber ihre Gefühle sind die
einer „Stummen des Himmels“ die wenig spricht, aber umso tiefer
empfindet. Sie macht dem Liebhaber keine Schwierigkeiten und läßt
ihn seinen „Weg ins Freie“ wieder gehen, nachdem sie nit echt weib¬
lichem Gefühl bald gemerkt hat, daß er ihren Händen schon längst
entglitten ist. Ob der Herr Baron aber überall so vernünftige
Eltern und ein äußerlich so ruhiges Mädchen findet, wenn er sich
auf neue Liebesfahrten begibt? Der al#e Arzt hat Recht. Man kann
noch so modern empfinden, und doch bleibt bei solchen Erlebnissen
ein gewisses Etwas in einem zurück, und es dauert lange, bis man
sich in die Wirklichkeit wieder mit einem Ruck hineingefunden hat.
Dies läßt er uns bei den Eltern und dem Mädchen nicht fühlen.
Seine ganze Kunst hat er darauf verwendet, uns den Baron zu cha¬
rakterisieren. Das ist denn auch eine sehr interessante Studie ge¬
worden, und besonders die Untertöne, die leise mitschwingenden und
nachklingenden Gefühle, die man nie in Worte faßt und oft sich selber
nicht gesteht, sind hier von dem Seelenkenne# Schnitzler fein ange¬
deutet worden. Die Gestalt des Barons stett och lange vor unseren
Augen, wenn wir alles andere, auch die liebe Anna, vergessen haben.
lnd wir können dem guten Menschen wirklich nicht sehr böse sein,
der sich und uns so Ergreifendes bei der Geburt und dem Tode seines
Kindes sagt, wenn er im Arm der Liebe an alte Abentener denkt
oder auf neue sinni. Und doch bleibt es eine herzlose Kunst. Wir
möchten wohl mit dem Baron „nachtmahlen“ und sein Kaffeehaus be¬
suchen und doch nicht Arm in Arm mit ihm herumschlendern und
K L.
ihr einen Freund nennen.
aenesee, Aanierrsg
2 hw. 18
— Arthur Schnitzler Der „Weg ins
Freie. Roman. Verlag S. Fischer“ Berlin. Der
so viel wir wilsen erste große Rontan, Schnitzlers be¬
antwortet die Frage, oh ein Marn das Recht,
a unter Umständen die Pflicht/(hat, das Ver
hältnis zu einem Mädchen zu rösen, welches sich
ihm ganz zu eigen gageben hat und das ihm geistig
gleichsteht, sobalb dies Verhöltnis ihm für seine wei¬
tere Entwickelung, um nicht Fortkommen zu sagen. hin¬
derlich ist. Der Schriftsteller beantwortet diese Frage
bejabend. Georg von Wergenthin löst sein Verhältnis
zu Anna Rosner, als er Kapellmeister in Dessau wer¬
den soll und er sein Verhältnis als etwas empfindet.
was ihn „unfrei“ macht; als er den „Weg ins Freie“
zu gehen persönlich dringend wünscht. Anna gibt ihn
rei. und da das Kind, das bei der Geburt gestorben,
auch kein Bindeglied ist, wäre ja alles in schönster
Ordnung. Bei näyerer Prüfung scheint es aber, als
habe der Schriftsteller die Angelegenheit doch sehr par¬
teiisch vorgetragen, um den Freispruch für Georg bei
der Jurn durchzubrücken. Die Frage, ob dem Manne
das ethische Recht zusteht, den Weg ins Freie zu neh
men, kann nicht davon abhängig gemacht werden, ob
der andere Teil zustimmt, denn je höher das Mädchen
ieht, je seiner es empfindet, je eher wird es der ge¬
wünschten Lösung zustimmen, je weniger wird es aber
nach der Lösuna, für sich selbst und für die Welt wie¬
der sein, was es vorher war. Da aber nun der Mann
nach der Lösung wieder ist, was er vorher war — s
ist es doch einmal im Leben — so trägt die Frau
allein die in der Natur der beiden Geschlechter begrün¬
— zusammen
deten Folgen ihres einstigen Entschlusses
zu leben, und der Mann geht geistig, körperlich und
bürgerlich frei aus. Nur die Herrenmoral kann diese
ungleiche Verteilung von Pflichten auf Kosten des weib¬
lichen Geschlechts für gerecht und schön halten. Uebri¬
gens empfind; dies der Schriftsteller auch selbst, we¬
nigstens läßt er es in dem letzten Gespräch zwischen
Georg und Leo durchblicken. Die zynische Bemerkung
von Leo, daß eigentlich der eventuelle zukünftige Ehe¬
mann der Anna Rosner dem Georg noch dankbar
sein müsse, ist natürlich nur ein schlechter Witz. Selbst¬
verständlich gibt es ein Recht der Selbsterhaltung, wie
es ein Recht der Notwehr gibt, und damit gibt es auch
ein Recht auf den Weg ins Freie, aus einem nicht le¬
galisierten Verhältnis, wie aus der bürgerlich geschles¬
enen Ehe, denn vom rein ethischen Standpunkt aus
betta#tet, müßten doch beide Verhältnisse, wenn sie
auch nun. bürgerlich gleich, doch eigentlich sittlich gleich
zu behandeln sein. Dies Recht der Selbsterhaltung
kann aber, wenigstens wie der Schriftsteller Altna Ros¬
ner geschildert hat, Georg nicht in Anspruch nehmen.
Auch Georg fühlt dies vollkommen, und so kommt er
n der Beantwortung, daß der Mann nach der Lösung
schuldig wäre, wenn er sich schuldig fühlte. Der
Leser wird gestehen, eine sehr sehr seine Beantwortung,
die aber doch, richtig verstanden, im großen und gan
zen auf das oben Gesagte hinauskommt. Muß der
Mann, natürlich auch die Frau, das Verhältnis lösen
im berechtiaten Selbsterhaltungstrieb, so ist es kein
Unrecht, löst ein Teil aber das Verhältnis, und natür¬
lich am leichtesten das bürgerlich nicht anerkannte und
damit so einfach lösbare Verhältnis im Gefühle nur
des Ueberdrusses, nach der Sättigung, so bleibt es ein
Unrecht — und dies Unrecht begeht Georg, trotz aller
Scheingründe. Der Roman in seiner reichen Gliede¬
rung, seiner seinen Schilderung Lebens in den
Wiener Künstlerkreisen, gehört zu din besten Erschei¬
nungen der enten Jahre; eine Empfehlung erübrigt
sich selbse.
B.