I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 189

Freie
23. Der Heg. ins

(eldne
Neue Bücher.7
Gabriele Reuter. Do's. Tränenhaus. Roman. Berlin,
S. Fischer. 1oh 254 S. M. 3.50.
Arthur Schnitzle#/Der Weg ins Freie. Roman.
Ebenda. 1908 491S
Arthur Holitscher. Der Golem. Ghettolegende in drei
Aufzugen. Ebenda. 1968. 135. S.
Theodor Duimchen. Monarchen und Mammon¬
archen. M, 4.50. Berlin. Weißische Verlagsbuch¬
handlung. 1908. XX, 445 S.
Ernst von Wolzogen. Augurenbriefe. Erster Band.
Berlin, F. Fontane u. Ko. 1908. 161. S.
Peter Nansen. Jugend und Liebe. Ausgewählte
Novellen. M. 3.50. Berlin, S. Fischer. 1909.
328 S.
Dr. Oskar Bloch. Vom Tode. Eine gemeinverständ¬
liche Darstellung. M. 1.20. Stuttgart, Axel Juncker.
Lieferung I. 40 und 32 S.
Cubriele Reuter ist durch ihr Erstlingsbuch „Aus
guter Familie“ rasch berühmt geworden. Vielleicht trug
zu dem Ruhm auch zum guten Teil das persönliche Schick¬
al der tapferen Frau bei. Denn ihre künstlerische Prodüt¬
tion drohte ganz in das breite Gewässer der besseren Unter¬
haltungsliteratur einzumünden. Mit ihrem letzten Buch
teigt sie wieder zur Kunst empor. Das Tränenhaus ist ein
baufälliges Landhaus irgendwo in ländlicher Stille des
Schwabenlandes, wo die dicke Hebamme Uffenbacher
Frauen, die ihren Zustand vor der Welt verbergen müssen
in der Regel sind es Fräuleins), in Pflege nimmt und
ihnen in ihrer schweren Stunde beisteht. Und seinen Namen
hat es von dem Wimmern und Weinen, das so oft und herz¬
zerreißend innerhalb seiner morschen Wände ertönt. Hier
webt und lebt eine Zwischenwelt, die weder ganz im Dunkel
eines lichtscheuen Gewerbes versinken noch ganz im Tages¬
licht des reinen Gewissens sich zeigen mag. Mädchen ver¬
schiedensten Standes, Bildungsgrades und Wesens finden
sich hier zusammen, leiden und verschwinden wieder. Und
jedesmal ist dann

falls nicht der ersehnte Tod dazwischen
— das benachbarte Dorf um ein Ziehkind reicher.
Denn den Mädchen, die hier Mutter werden, ist es meist
nicht um das Kind, sondern nur um den Geliebten zu tun.
Cornelie Reimann, die Heldin des Buches, gebört nicht
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zu dieser leichten Ware. Ihr ist die Mutterschaft##ch
ohne Trauring am Finger etwas Heiliges und eine schmerz
elige Verantwortung. Es ist also wieder ein Probles
aus dem modernen Frauenleben, das Problem von den
Mädchen, das Mutter wird und ihre Handlungsweise vor
der Welt vertreten will. Aber das Problem wird nur
angetippt, nicht ausgeführt, geschweige denn erschöpft; weder
sychologisch noch soziat. In der Zeit —
agt die Ver¬
asserin — wo das Weib am meisten Weib, am schutzbe¬
dürftigsten ist, da versagt der Mann seiner Natur nach, weil
er diesem letzten Weibgeheimnis immer fremd und pein¬
voll gegenüber stehen wird; da müßten die Frauen selbet
sich in Liebe zu einer Einheit zusammenschließen und sich
im Interesse ihres eigenen Geschlechts nicht um eines
geschieht in der Regel? Zur Zeit der werdenden Mutter¬
Dogmas willen hassen, verachten und verfolgen. Aber was
chaft eines Mädchens wütet Mutter gegen Mutter,
Schwester gegen Schwester. Vor dem ewig Gewaltigen,
das eisern das Weib zum Weibe binden sollte, macht es
Gemeinschaft mit dem Manne, um die Schwester im Ge¬
schlecht zu morden. Dieser an sich richtige Gedanke findet
aber im Buche selber nur gelegentliche und flüchtige Be¬
tätigung an Nebenpersonen. Die Heldin selbst verbirgt
ihren Zustand vor der Mutter und umgeht so den eigent¬
lichen Konflikt und das Problem als solches. Dieses zer¬
lattert infolgedessen in einigen platonischen Apergus. So
hat man den Eindruck, als wäre das eigentliche Problem
der Verfasserin erst im Laufe der Erzählung gelegentlich ein¬
gefallen. Vielleicht ist dem auch tatsächlich so. Es ist meht
Selbsterlebtes, Selbstdurchlittenes als Theorie und Doktrin
in dem Buche. In künstlerischer Hinsicht hat das Buch da¬
durch gewonnen. Die grüblerische Analyse seelischer Zu¬
stände, das Tendenziöse tritt vor der lebendigen Schilde¬
rung des Selbstgeschauten in den Hintergrund. Die ganze
Atmosphäre dieses Tränenhauses mit seiner rohen und ein¬
fältig schlauen Wirtin und den buntscheckigen Insassen
nebst all den Sorgen und Bagatellen darin, das alles ist mit
einer solchen handgreiflichen Gegenständlichkeit und Schlicht¬
heit, mit einem solchen köstlichen, manchmal derben Humor
gegeben, daß man es während des Lesens keinen Augen¬
blick vermißt, daß hier ein Problem von weittragender Be¬
deutung seiner Gestaltung und Vertiefung durch eine kräf¬
tigere Hand harrt, als sie Gabriele Reuter zu Gebote
steht. Alles in allem, kein weitgreifendes ooer tiefbohren¬
des Buch, aber vielleicht die farbigste und saftigste Erzäh¬
lung, die Gabriele Reuter geschaffen. Auch die Bezeich¬
nung „Roman“ sei ihr deshalb
Ebensowenig verdient diese B
Prosaschopfung des Wieners A
weder stofflich noch gebanklich j
Hirizonts darbietet, die man von
Sinne füglich verlangen darf.
Virsuch gemacht, die Strahlun
auch nicht in einem Brennpunk
eingen schimmernden Fazetten
gerweise steht auch im Mittelpur
Motiv wie im Tränenhaus: die
ich vor der Welt zurückzieht, un
ist bei Schnitzler überhaupt ni¬
Problem oder Tendenz zu spüren
nicht in Unfrieden und Enttäu
geschieden, sondern erfreut sich
ältigsten Teilnahme seinerseits.
dings in beiden Büchern dasselbe
und wehmütig und das stolze
gab ohne zu fragen, und nun
si
ie empfing, öffnet selber dem
Freie. Es ist aber doch ein we
anden: Gabriele Reuters Corr
von dem Geliebten, weil sie nach
sicht gekommen, daß die Kluft, d
stinkte zwischen beiden gegraben,
zu werden. Für sie ist die Tre
ein Sieg: sie beginnt innerlich um
Leben als Mutter eines Kindes
nicht kennt. Anna Rosner ab
Georg von Wergenthin frei, nur
überdrüssig geworden, und weil
verspürt, seine erlöschende Liebe
achen. Sie hat geliebt, ist Mutt
ist gestorben. Und sie kehrt wie
sellschaft zurück, als wäre nichts
lein Rosner, das sie früher war.
wandten die Angelegenheit mit
verständlichkeit behandeln und der
Freiherrn gegenüber dieselbe Kul¬
so dürfte sie kaum einen nenne##
tragen, selbst wenn sie dieselbe Ge
ollte. Für diesen einfachen No##
des an 500 Seiten zählenden Bu
zwei Drittel sind mit endlosen