I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 190

23. Der Neg ins Freie
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hr ist die Mutterschaft allch
nung „Roman“ sei ihr deshalb verziehen. Was nennt sich
was Heiliges und eine ichmerz¬
nicht alles heutzutage Roman?
ist also wieder ein Problem
Ebensowenig verdient diese Bezeichnung die erste große
even, das Problem von dem
Prosaschopfung des Wiener
und ihre Handlungsweise vor
wider stofflich noch gedanklich jene Breite und Weite des
lber das Problem wird nur
O
rizonts darbietet, die man von einem Roman in strengem
schweige denn erschöpft; weder
Sinne füglich verlangen darf. Aber es ist hier doch der
der Zeit — sagt die Ver¬
Virsuch gemacht, die Strahlungen einer Kultur, wenn
meisten Weib, am schutzbe¬
auch nicht in einem Brennpunkte zu sammeln, so doch in
Mann seiner Natur nach, weil
einger, schimmernden Fazetten spielen zu lassen. Zufälli¬
knis immer fremd und pein¬
gerweise steht auch im Mittelpunkte dieses Buches dasselbe
da müßten die Frauen selber
Motiv wie im Tränenhaus; die unverheiratete Frau, die
it zusammenschließen und sich
ich vor der Welt zurückzieht, um Mutter zu werden. Nur
Geschlechts nicht um eines
ist bei Schnitzler überhaupt nichts von Kampf, Konflikt,
Zeit der werdenden Mutter¬
Problem oder Tendenz zu spüren. Seine Anna Rosner ist
ten und verfolgen. Aber was
nicht in Unfrieden und Enttäuschung von dem Geliebten
Mutter gegen Mutter,
eschieden, sondern erfreut sich im Gegenteil der sorg¬
Vor dem ewig Gewaltigen,
ältigsten Teilnahme seinerseits. Das Endresultat ist aller¬
Leibe binden sollte, macht es
dings in beiden Büchern dasselbe: die Bande lösen sich leise
e, um die Schwester im Ge¬
und wehmütig und das stolze Zartgefühl der Frau, die
n sich richtige Gedanke findet
gab ohne zu fragen, und nun sieht, daß sie mehr gab als
elegentliche und flüchtige Be¬
ie empfing, öffnet selber dem Manne —
den Weg ins
Die Heldin selbst verbirgi
Freie. Es ist aber doch ein wesentlicher Unterschied vor¬
r und umgeht so den eigent¬
handen: Gabriele Reuters Cornelie Reimann trennt sich
blem als solches. Dieses zer¬
von dem Geliebten, weil sie nach langen Kämpfen zur Ein¬
en platonischen Aperaus So
icht gekommen, daß die Kluft, die Temperament und In¬
wäre das eigentliche Problem
inkte zwischen beiden gegraben, zu breit ist um überbrückt
der Erzählung gelegentlich ein¬
zu werden. Für sie ist die Trennung in höherem Sinne
lich tatsachlich so. Es ist mehr
ein Sieg: sie beginnt innerlich und vor der Welt ein neues
enes als Theorie und Doktrin
Leben als Mutter eines Kindes, dessen Vater diese Welt
her Hinsicht hat das Buch da¬
nicht kennt. Anna Rosner aber gibt ihren Freiherrn
erische Analyse seelischer Zu¬
Georg von Wergenthin frei, nur weil sie sieht, daß er ihrer
vor der lebendigen Schilde¬
überdrüssig geworden, und weil sie nicht mehr die Kraft
den Hintergrund. Die ganze
verspürt, seine erlöschende Liebe zu neuer Flamme zu ent¬
ses mit seiner rohen und ein¬
fachen. Sie hat geliebt, ist Mutter geworden und ihr Kind
den buntscheckigen Insassen
ist gestorben. Und sie kehrt wieder in die bürgerliche Ge¬
atellen darin, das alles ist mit
ellschaft zurück, als wäre nichts passiert, als dasselbe Fräu¬
egenständlichkeit und Schlicht¬
lein Rosner, das sie früher war. Und da ihre nächsten Ver¬
en, manchmal derben Humor
wandten die Angelegenheit mit derselben ruhigen Selbst¬
nd des Lesens keinen Augen¬
verständlichkeit behandeln und dem sorglos liebenswürdigen
roblem von weittragender Be¬
Freiherrn gegenüber dieselbe Kulanz beweisen wie sie selbst,
5 Vertiefung durch eine kräf¬
so durfte sie kaum einen nennenswerten Schaden davon¬
Gabriele Reuter zu Gebote
tragen, selbst wenn sie dieselbe Geschichte noch einmal erleben
beitgreifendes oder tiefbohren¬
sollte. Für diesen einfachen Novellenstoff hat ein Drittel
farbigste und saftigste Erzäh¬
des an 500 Seiten zählenden Buches genugt. Die übrigen
eschaffen. Auch die Bezeich¬
zwei Drittel sind mit endlosen Betrachtungen und Unter¬
haltungen über Oesterreich und vor allem über das Juden¬
tum angefüllt. Treffende, feine und kluge Unterhaltungen,
von scharfer Beobachtung und tiefer Kenntnis eingegeben
und nicht ohne eine persönliche Note schmerzvoller Bitter¬
keit aber was hat das alles mit der Liebesgeschichte des
nichts weniger als jüdischen Paares Georg — Anna zu
tun? Wir lernen eine ganze Reihe recht interessanter
Judentypen kennen: Juden, die sich schämen Juden zu
ein; solche, die im Gegenteil darauf stolz sind und nur
Angst haben, man könnte glauben, schämten sich; Juden,
die überall Antisemiten wittern, und solche, die selber die
rabiatesten Antisemiten sind, kurz, die ganze Tragikomödie
des heutigen Judentums. Aber alle diese Gestalten stehen
in gar keiner notwendigen Verbindung mit dem Grund¬
motiv und den Hauptpersonen der Erzahlung. Sie dienen
nur dazu, dem Verfasser einen Anlaß zu geben, sein Herz
auszuschütten; und da geht ihm der Mund über. Muß das
Buch also in der Komposition als durchaus verfehlt bezeich¬
net werden so genügt es auch im übrigen küinstlerisch nicht
den Anspruchen, die wir uns gewöhnt haben an Schnitzler
zu stellen. Die Eleganz und Grazie ist hier einer Müdig¬
leit und Monotonie gewichen die beinahe spleenartig wirkt.
Wir verlangen ja nicht gerade das obligate fesche Wiener¬
tum, aber wenn es in Wien mit der Leoens= und Arbeits¬
freude und mit der Kraft zu hassen und zu lieben so sehr
Matthäi am letzten ist, wie es sich in diesem Buche spiegelt,
dann kann man dem in tatenlosem Dilettantentum schier
verkommenden Georg v. Wergenthin von Herzen Glück
wünschen, daß er mit Hilfe der rücksichtsvollen Anna Ros¬
ner den Wea ins Freie — nach Deutschland findet