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23. Der Neg ins Freie
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Neue Romane und Novellen
549
Sicherlich nicht zu der soliden Künstlerarbeit, an die der junge Mann doch
selbst nicht glaubt, sondern — zu einem andern süßen Mädel. Ich leugne
natürlich nicht, daß es solche Menschen gibt, aber wir haben an ihrer
Schilderung nun wirklich so genug, daß ein geschmackvoller Künstler
— und
das ist doch der Dichter des „Schleiers der Beatrice“ — endlich einmal auf¬
hören sollte, uns immer wieder diese Dinge vorzusetzen. Daß dabei ein paar feine
Szenen, hübsche Gespräche mit unterlaufen, ist, glaube ich, ein Lob, das sich
Schnitzler beinahe verbitten müßte. Und das Buch wirkt um so unerquicklicher
dadurch, daß um den sophistischen Edelmann ein Kreis von Juden steht, die
unablässig über die Judenfrage disputieren. Man merkt: es ist Schnitzler
mit diesem Problem sehr ernst; warum dann die Einschachtelung in diesen
zum vollen Scheffel noch das allerletzte Korn fügenden Liebesroman? Warum
dann nicht wirklich ein Bild dieser Leidenschaften, die in Wien stärker als
anderswo gegeneinander auflodern? Oder, wenn auch diese nur, wie wir
manchmal glauben möchten, ein halbes Feuer sind, warum dann nicht
wenigstens an irgendeiner Stelle den Konflikt auf die letzte Formel bringen,
warum dies Ausweichen? Man merkt immer wieder, daß der Held nur
Maske ist, daß Schnitzler im Grunde mitten drin steht in diesem Kampf, und
daß er sich die rührteilnehmende Objektivität des befreundeten Betrachters
nur mühsam anzüchtet. Wir hätten gern gerade von einem jüdischen Dichter
einmal den großen Hauptgegensatz innerhalb des Judentums herausheben
sehen: den zwischen den Zionisten und den allmählich zur Assimilation und
zum Christentum hinübergleitenden andern Juden. In einer Zeit, wo diese
Gegensätze immer schärfer werden und gerade dadurch die Judenfrage ganz
von selbst immer einfacher wird, hätten wir ihre Darstellung von einer
Hand wie der Schnitzlers gern empfangen, die uns jetzt doch nicht mehr als
ein redseliges, uns immer wieder entgleitendes, uneinheitliches Buch ge¬
geben hat.
Ein andrer jüdischer Roman „Die Familie Lowositz“ von Auguste
Hauschner (Berlin, Egon Fleischel & Co.) steht an künstlerischem Werte im
einzelnen durchaus unter Schnitzlers Buch; als Ganzes hat es vor ihm die
Geschlossenheit voraus und die Entschlossenheit, mit der Auguste Hauschner
sich auf die Familie beschränkt, ihr kleines Netz ausspannt und nun alles in
den Kreis tretende wirklich von einem Punkt aus ergreift. Nur freilich, daß
Rudolf Lowositz wieder kein Handelnder, immer nur ein Getriebner ist, und
daß er, wie seine Erfinderin, aus dem klug gesponnenen Netz herausgerissen,
schließlich, ganz unmotivierterweise, innerhalb des nationalen Kampfes in Prag
steht. Das gibt dem Schluß des Buches etwas Gequältes, etwas unnötig
Schielendes. Um uns die Entwicklung Rudolfs und seines Hauses klar zu
machen, hätte es dieser herangeholten Dinge nicht erst bedurft.
Ein dritter Österreicher, Max Burckhardt, macht wenigstens kein Hehl
daraus, daß er seinen Roman „Die Insel der Seligen“ (Berlin, S. Fischer)
geschrieben hat als Konstruktionsmaterial für einen juristischen Schulfall. Er
will die sittliche Unmöglichkeit der Todesstrafe, den Satz, daß der Staat auf
sie kein Recht habe, erweisen an der Geschichte eines Mörders, dessen eigne Tat
unentdeckt blieb, und der nun durch eine Kette verhängnisvoller Umstände für
das Verbrechen eines andern hingerichtet werden soll. Die Insel der Seligen
ist da nur so etwas wie eine „Zuwag“, nicht ohne allerlei politische Spitzen
des Juristen gegen die österreichische Regierung, bis dann schließlich die
Grenzboten IV 1908
23. Der Neg ins Freie
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Sicherlich nicht zu der soliden Künstlerarbeit, an die der junge Mann doch
selbst nicht glaubt, sondern — zu einem andern süßen Mädel. Ich leugne
natürlich nicht, daß es solche Menschen gibt, aber wir haben an ihrer
Schilderung nun wirklich so genug, daß ein geschmackvoller Künstler
— und
das ist doch der Dichter des „Schleiers der Beatrice“ — endlich einmal auf¬
hören sollte, uns immer wieder diese Dinge vorzusetzen. Daß dabei ein paar feine
Szenen, hübsche Gespräche mit unterlaufen, ist, glaube ich, ein Lob, das sich
Schnitzler beinahe verbitten müßte. Und das Buch wirkt um so unerquicklicher
dadurch, daß um den sophistischen Edelmann ein Kreis von Juden steht, die
unablässig über die Judenfrage disputieren. Man merkt: es ist Schnitzler
mit diesem Problem sehr ernst; warum dann die Einschachtelung in diesen
zum vollen Scheffel noch das allerletzte Korn fügenden Liebesroman? Warum
dann nicht wirklich ein Bild dieser Leidenschaften, die in Wien stärker als
anderswo gegeneinander auflodern? Oder, wenn auch diese nur, wie wir
manchmal glauben möchten, ein halbes Feuer sind, warum dann nicht
wenigstens an irgendeiner Stelle den Konflikt auf die letzte Formel bringen,
warum dies Ausweichen? Man merkt immer wieder, daß der Held nur
Maske ist, daß Schnitzler im Grunde mitten drin steht in diesem Kampf, und
daß er sich die rührteilnehmende Objektivität des befreundeten Betrachters
nur mühsam anzüchtet. Wir hätten gern gerade von einem jüdischen Dichter
einmal den großen Hauptgegensatz innerhalb des Judentums herausheben
sehen: den zwischen den Zionisten und den allmählich zur Assimilation und
zum Christentum hinübergleitenden andern Juden. In einer Zeit, wo diese
Gegensätze immer schärfer werden und gerade dadurch die Judenfrage ganz
von selbst immer einfacher wird, hätten wir ihre Darstellung von einer
Hand wie der Schnitzlers gern empfangen, die uns jetzt doch nicht mehr als
ein redseliges, uns immer wieder entgleitendes, uneinheitliches Buch ge¬
geben hat.
Ein andrer jüdischer Roman „Die Familie Lowositz“ von Auguste
Hauschner (Berlin, Egon Fleischel & Co.) steht an künstlerischem Werte im
einzelnen durchaus unter Schnitzlers Buch; als Ganzes hat es vor ihm die
Geschlossenheit voraus und die Entschlossenheit, mit der Auguste Hauschner
sich auf die Familie beschränkt, ihr kleines Netz ausspannt und nun alles in
den Kreis tretende wirklich von einem Punkt aus ergreift. Nur freilich, daß
Rudolf Lowositz wieder kein Handelnder, immer nur ein Getriebner ist, und
daß er, wie seine Erfinderin, aus dem klug gesponnenen Netz herausgerissen,
schließlich, ganz unmotivierterweise, innerhalb des nationalen Kampfes in Prag
steht. Das gibt dem Schluß des Buches etwas Gequältes, etwas unnötig
Schielendes. Um uns die Entwicklung Rudolfs und seines Hauses klar zu
machen, hätte es dieser herangeholten Dinge nicht erst bedurft.
Ein dritter Österreicher, Max Burckhardt, macht wenigstens kein Hehl
daraus, daß er seinen Roman „Die Insel der Seligen“ (Berlin, S. Fischer)
geschrieben hat als Konstruktionsmaterial für einen juristischen Schulfall. Er
will die sittliche Unmöglichkeit der Todesstrafe, den Satz, daß der Staat auf
sie kein Recht habe, erweisen an der Geschichte eines Mörders, dessen eigne Tat
unentdeckt blieb, und der nun durch eine Kette verhängnisvoller Umstände für
das Verbrechen eines andern hingerichtet werden soll. Die Insel der Seligen
ist da nur so etwas wie eine „Zuwag“, nicht ohne allerlei politische Spitzen
des Juristen gegen die österreichische Regierung, bis dann schließlich die
Grenzboten IV 1908