I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 206

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23. Der Nec ins Freie
10 K. 1. K1 n S . Ad an0 a aen . 30
Frankfurter
skarkikisches
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Herausgeber: Salt Geis.
6. Jahrgang.
Donnerstag, den 30. Kislew 5669 (24. Dezember 1908).
Nr. 50.
Senen enenen
2
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burts= und Standesprivilegien, Preß= und Ver= Die Inden in Schnitzlers neuestem
mann die Publikation jener von mir aus dem „Bund“
einsreglementierungen, Sprachen= und Rassenstrei¬
zitierten antisemitischen Verse, die der Staatsbürger¬
MAT
tigkeiten nichts weiß, Gegensätze bestehen, die all¬
zeitung alle Ehre gemacht hätten, nur als einen
Ven Dr. Marek Schextag=Wien.
mählich Beunruhigung selbst bei den phlegma¬
Unartissen Spaß bezeichnet.
tisch veranlagten Söhnen Tell's erregen. Und
Es gab eine Zeit, ws das Judentum für
Ich lasse mich mit Herrn Dr. Widmann auch
wir Schweizer Juden haben, wie selbstverständ¬
den Westjuden lediglich ein Begriff war, abstrakt
schon deshalb in keine Diskussion ein, weil er in
lich, erst recht Veranlassung, nicht sorglos zu
und fremd. Da kam der Zionismus und lehrte
Bezug auf Inden und Judentum eine doppelte Buch¬
sein.
auch den Westjuden, sein Volkstum als etwas
führung führt. In Bern antisemitelt er, was er kann;
Bis vor wenigen Jahren gab es in der
Reales empfinden, als eine Gemeinschaft,
die
vor seinen jüdischen Freunden in Deutschland aber
Schweiz nicht die Spur eines die Oeffentlichkeit
lebt und leidet. Er besann sich auf sich selbst
will er als ein Philosemit dastehen. Schon der
interessierenden Antisemitismus. Allerdings hatte
und verbarg seine Abstammung nicht mehr. Zum
Titel seines letzten Anti=Stein=Artikels ist für seine
das Schächtverbot von 1894 die in unserer Re¬
erstenmal begann auch dem feinfühlenden Arier
wahre Gesinnung bezeichnend: „Prof. Stein und
publik schlummernden judenfeindlichen Instinkte
die Bezeichnung Jude in einer ganz neuen,
Israel“,
offenbart; aber durch die folgenden zehn Jahre
gleichsam düsteren Beleuchtung aufzugehen. „Eine
Ich will keinem Antisemiten seine Ueberzeugung
schlief der Haß, wenigstens in der Oeffentlich¬
Ahnung von dieses Volkes geheimnisvollem Los
und Gesinnung rauben: aber, was ich auch von
keit. Erst als vor vier Jahren hunderte vor
dämmerte in ihm auf, das sich irgendwie in
jedem unserer Feinde verlangen kann, ist
nicht
den russischen Henkern und Schindern flüchtende
jedem aussprach, der ihm entsprossen war; nicht
feige sein, sondern offen seine Meinung vertreten!
Judenfamilien nach der Schweiz sich wendeten
minder in jenen, die diesem Ursprung zu ent¬
Herr Dr. Widmann spricht in seiner Zeitung von der
und daselbst in den größeren Städten ihre Zelte
fliehen trachteten wie einer Schmach, einem Leid
„jüdischen Kritik“ mit derselben Verachtung wie Bar¬
errichteten, ließen sich in größeren schweizerischen
oder einem Märchen, das sie nichts kümmerte
tels auch,
#e anscheinend, weil die Berliner Kri¬
Zeitungen Unkenrufe vernehmen, die täuschend
als in jenen, die mit Hartnäckigkeit auf ihn
tiker, darunter auch der Jnde Alfred Kerr, sein
denjenigen ähnelten, die man im deutschen Reich
zurückwiesen, wie auf ein Schicksal, eine Ehre oder
Stück „Jenseits von Gut und Bös“ nicht nach seinem
seit Stöcker zu hören gewohnt war. In dem
eine Tatsache der Geschichte, die unverrückbar fest¬
Wunsche besprochen hat. Ich meine daher: Ein Mann
für allgemein ruhig und neutral sich verhalten¬
stand.“ Diese Worte, die Arthur Schnitzler auf
von solcher ausgesprochenen judenfeindlichen Gesin¬
den Basel tauchte plötzlich im Mai 1905 ein
den Helden seines im Verlac Fischer, Berlin,
nung soll mindestens den Mut haben, auch seinen
splendid ausgestattetes Wochenblatt „Der Sams¬
jüngst erschienenen Romalis „Der Weg ins Freie
jüdischen Freunden gegenüber seine Meinung zu
tag“ auf, das angeblich baslerisch künstlerischen,
bezieht, werfen ein treffendes Sti
sagen und nicht in Bern antisemiteln und in Deutsch¬
heimatlichen Interessen dienen sollte, im Grunde
heutige Jndentum.
lund als der Philosemit gelten wollen.
aber, wie sich sehr bald herausstellte, Juden¬
Schnitzler begnügt sich aber nicht mit diesem
Die Juden (Widmann sagt mit Verachtung
hetze unter dünnem Firniß kultivierte. Der hohe
Streiflicht, er versucht vielmehr, ein ausgeführ¬
„Israel“) werden jetzt wissen, was für einen „Freund“
Abonnementspreis, die exklusive Tendenz und, wie
tes Bild zu geben, zumal der jüdischen Gesell¬
sie in Herrn Dr. Widmann haben. Vor solchen
gesagt, der schrille antisemitische Ton bewirkten
schaft in Wien.
Freunden schütze uns Gott.
indes, daß das große Publikum und auch die
So sehen wir da vor allem den Bankjuden
Maxime Le Maitre.
besseren Kreise von diesem Blatt nichts wissen
S. Ehrenberg, der eine Ausnahme zu den
Unter den inzwischen eingetretenen Umständen
wollten und nach mehreren Versuchen, sich
Gesellschaften, die seine Gattin gibt, am liebsten
lehnen wir es ab, den von uns in der vorwöchent¬
über Wasser zu halten, entschlummerte es wieder
im Kaftau erscheinen würde und seine Absicht,
lichen für die vorliegende Nummer zum Abdruck
sanft. Aber vor zehn Monaten ist es wieder
eine Vergnügungsreise nach Palästina zu machen,
abisierten Brief des Herrn Dr. Widmann zu ver¬
erwacht. Die Nummer kostet 30 Rappen, also
folgendermaßen erklärt: „Vielleicht ist es nur,
öffentlichen. Herr Dr. Widmann hätte mindestens
für das Volk keine Kost; dafür lesen es die
weil man älter wird, vielleicht, weil man so
das Erscheinen seines Briefes in unserer Zeitung
oberen Kreise, zwar nicht durchgängig; aber
viel vom Zionismus liest und dergleichen, aber
abwarten müssen, ehe er sich in seiner Zeitung mit der
Tatsache ist, daß das Blättchen sich gut rentiert
ich kann mir nicht helfen, ich möcht' Jerusalem
Angelegenheit beschäftigen durfte, — und nun hat
und in Antisemitismus einen Rekord mit jeder
gesehen habe, eh' ich sterbe.“ Und da Madame
Herr Dr. Widmann nicht allein gegen diese selbst¬ neuen Nummer schafft. Langsam, aber sicher, saßt
Ehrenberg, sonst eine verständige, geistreiche und