I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 207

ins Freie
23. Der Neg
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Seite 2.
gutmütige Person, die Achseln zuckt, sagt er:
„Das sind Sachen, die meine Frau nicht ver¬
20 Meugtae
und meine Kinder noch weniger.
steht
Aber wenn man so liest, was in der Welt
vorgeht, man möcht' selber manchmal glauben,
es gibt für uns keinen andern Ausweg.“ Die¬
ser verklausulierte Auch=Zionist, der eigemlich
keiner ist, ist der Vertreter jener im Aussterben
befindlichen Spezies des kaum dem Ghetto ent¬
wachsenen Geldjuden, der noch gern ein Sammt¬
käppchen trägt und Gott dankbar ist, daß er
ihm bei den Spekulationen oder sonstigen Ge¬
schäften sichtlich begünstigte, und fürwahr es ver¬
lohnt sich schon, einem so guten, braven Gott
treu zu bleiben.
Nicht immer wirken sie unsympathisch, diese
alten Ehrenbergs. .... Das schien auch Schnitz¬
ler zu empfinden; er schildert zwar recht an¬
schaulich, mit welchen Augen die nächste Um¬
gebung den etwas selbstbewußten, kauderwelschen¬
den Salomon Ehrenberg ansieht, aber er ver¬
leiht ihm eine gewisse wehmutdurchsetzte Größe.
In der Zeichnung dieser Gestalt zeigt sich
die ganze reife Cyarakterisierungskunst Schnitz¬
lers. Ein kleiner Zug genügt ihm, um uns in
eine ganze Welt von Gefühlen und Anschau¬
ungen blicken zu lassen.
Als ein Gast, der Schriftsteller Nürnberger,
dem alten Ehrenberg eröffnet, daß er sich nie
als Jude gefühlt habe, ruft er ihm erregt zu:
„Wenn man Ihnen einmal den Zylinder ein¬
schlägt auf der Ringstraße, weil Sie, mit Ver¬
laub, eine etwas jüdische Nase haben, werden
Sie sich schon als Jude getroffen fühlen, ver¬
lassen Sie sich darauf.“
Nach seiner Heimkehr aus Palästina wil
er zuerst nicht recht mit der Sprache heraus.
Endlich gesteht er seine Enttäuschung und Ver¬
stimmung ein.
Darauf bemerkt derselbe Nürnberger: „Also,
wir haben begründete Hoffnung, Sie hier zu
behalten, selbst für den Fall, daß der Juden¬
staat im Laufe der nächsten Zeit gegründel wer¬
den sollte?“ Unwirsch erwidert Ehrenberg:
„Hab' ich Ihnen je gesagt, daß ich die Ab¬
sicht habe, auszuwandern? Ich bin zu alt dazu
„Ach so,“ sagt Nürnberger, „ich wußte nicht,
daß Sie sich die Gegend drüben nur Ihren
Kindern zuliebe angesehen haben. Jetzt findet
der alte Mann die beste Abfuhr für den kon¬
fessionslosen Planderer: „Lieber Herr Nürnber¬
ger, ich werd' mich da nicht mit Ihnen strei¬
ten; der Zionismus ist auch wahrhaftig zu gut
für ein Tischgespräch!“ — Wieviele Bankjuden
in Wien mögen so groß und so richtig vom
Zionismus denken?
S. Ehrenberg ist, wie gesagt, eine Aus¬
nahme. Was würde es aber dem Judentum
nützen, wenn alle Bankiers so wären wie er?
Krankt er doch an dem unheilvollen Fehler, sei
nen Kindern gegenüber hilflos, ja lächerlich, da¬
zustehen. Nichts Jüdisches vermochte er ihnen
beizubringen, weder Verständnis für die Ueber¬
lieferung des Volkes, noch Liebe zu diesem selbst.
So kommt es, daß über seinen Sohn Oskar
ein Freund sagen kann: „Was übrigens Oskar
anbelangt, so möchte er gewiß lieber katholisch
sein. Aber das Vergnügen, beichten gehen zu
dürfen, käme ihm vorläufig noch zu teuer zu
stehen. Es wird wohl auch im Testament vor¬
nicht überhüpft.“
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Frankfurter Israelitisches Familienblatt.
hergestellt ist, geht er auf Reisen. Das ist sein
Weg ins Freie.
Seine Schwester Else, ein melancholisches,
kluges Wesen, heiratet einen anglisierten Juden,
James Wyner, und bleibt im Lande.
(Schluß folgt.)
Aus aller Welt.
Deutsches Reich.
Oerlin. Die Generalversammlung der
Gesellschaft zur Förderung der Wissen¬
schaft des Indentums,
welche am 28. Dezember abends 8 Uhr in der Aula
der Knabenschule der jüdischen Gemeinde, Große Ham¬
burgerstraße 27, abgehalten wird, hat folgende
Tagesordnung: 1. Bericht; 2. Decharge; 3. Antrag
des Ausschusses betr. Ergänzung der Satzungen. § 3c
erhält folgenden Zusatz: Der Vorstand ist berechtigt
Lehrern an Elementar= und Religionsschulen auf
hren Antrag den Jahresbeitrag auf 4,50 ¾ zu
ermäßigen; 4. Wahlen; 5. Vortrag des Professors
an der Universität zu Berlin, Dr. Nikolaus Müller:
Ueber den ältesten jüdischen Friedhof im Abendland,
die Katakombe vor der Porta Portese in Rom, au
Grund seiner Ausgrabungen und Forschungen.
Karlsruhe i. B. Der durch seine Agitation in
der Gebeibuchfrage in der gesamten badischen Juden¬
heit populär gewordene
Verein zur Wahrung der Interessen des
gesetzestreuen Judentums in Baden
beruft auf den 10. Januar 3½ Uhr in das hiesige
Hotel Lion seine Generalversammlung ein.
Auf der Tagesordnung steht u. a. ein Vortrag
des Herrn Moritz A. Loeb=Frankfurt.
Breslau. Die verstorbene Witwe des Bankiers
Hille hat
eine Million Mark
für eine
Altersversorgungsstiftung
vermacht, deren Insassen mindestens zur Hälfte Juden
sein müssen.
Oesterreich=Ungarn.
Wien. Allwöchentlich treten hier durchschnittlich
12 Juden zum Christentum über. In der
jüngsten Austrittsliste aus dem
Judentume
inden wir neben Dienstmädchen, Arbeitern, Schülern
olgende Namen: Landesgerichtsrat Samuel Waller¬
stein, Arzt Dr. Eugen Marcovici, Advokaturskan¬
didat Dr. Marcell Soial, Victor Porges Ritter
on Portheim, Arzt Rudolf Blum, Kapellmeister
Julius Katay, Pauline von Suppé, k. k. Hofschau¬
pieler Alexander Epstein (Elmhorst).
Trotz des fortgesetzten großen Abfalls bekommen
die sogenannten jüdischen Führer keine Einsicht.
Wien. Wäbrend ihm die 480 000 Protestanten
700000 Kronen jährlich kosten, hat
der Staat für die Kultusbedürfnisse
der Juden,
die 1¼ Million Seelen zählen, nicht mehr als
nämlich 10000 Kr. für
12000 Kronen übrig, —
die „Israel.=theolog. Lehranstalt“ in Wien und 2000
Kronen für die „Privatanstalt zur Heranbildung
der Lehrer für den mosaischen Religionsunterricht“
in Lemberg.
Wien. Die zion. Abgeordneten Dr. Straucher
und Genossen haben an die Regierung eine
Interpellation
wegen der „Judenpässe“
die den nach Rußland reisenden Juden auf¬
gezivungen werden. gerichtet. In dieser Interpella¬
tion heißt es: „Die Abfertigung der Inhaber von
„Judenpässen“ erfolgt an der Grenze erst nach der
Abfertigung aller übrigen Reisenden. In einzelnen
Städten, so in Kiew und Moskau, dürfen die Juden
die besseren Hotels nicht bewohnen. Laut verläß
licher Mitteilungen von solchen Reisenden werden die
Inhaber sogenannter „Judenpässe“ allerhand Schi¬
kanen ausgesetzt, denen zumeist erst durch erhebliche
Opfer abgehalfen werden kann.
Dieses vertragswidrige und feindselige Vorgehen
russischer Behörden und Amtsorgane gegenüber öster¬
reichischen Staatsangehörigen mosaischer Konfession,
die nach Rußland reisen, wird von den russischen
W
Nr. 50
der rund eine Viertelmillion Mark! — Chanul
Preisfrage: Wie lange dauert es in Berlin (ok
anderswo außerhalb Englands und Amerikas),
ür einen ähnlichen Zweck eine annähernd g'eic
Summe erzielt wird? Wie viele „Aufrufe“ un
„Spendenlisten“ müssen erst gedruckt werden??
Rußland.
Petersburg. Der Urheber der in den letzt
Tagen viel besprochenen Duma=Interpellation üb
Wohnrecht der Juden,
die in einer der letzten Sitzungen eingebra
wurde, war der Bauern=Abgeordnete Andre
chuk aus dem Gouvernement Wolhynien.
sich über die Stimmung der Duma zu vergewisser
ließ er einen Aufruf zirkulieren, in welchem
ausführt, die Interpellation sei nicht aus nati
nalem Haß zustandegekommen, sondern habe rein ök
nomische Ursachen. Andrejtschuk kam nun mit seine
Aufruf auch zu einem andren Bauern=Abgeordnet
Gouverneme
namens Kropotow aus dem
Wjatka (Nordost=Rußland). Zwischen den beid
entspann sich folgendes Gespräch:
„Um was handelt es sich bei der Inte
pellation?“ fragte Kropotow.
„Die Juden sollen sich nicht außerhalb d
Ansiedlungsrayons niederlassen dürfen.“
„Woher seit Ihr denn?“
„Aus dem Gouvernement Wolhnnien.“
„In Eurer Gegend dürfen doch aber
schon die Juden wohnen?“
„Jawohl.“
„Nun allo, warum beunruhigt Ihr Euch
ragte Kropotow weiter. „Wenn die Juden vo
Euch weggehen und zu uns kommen, so müßtet Il
och Gott danken, wenn Ihr sie los werdet! La
sie also gehen und freut Euch! Ihr schre
immerfort, daß die Juden schlechtsin!
und jetzt kommt Ihr zu uns und bitt
uns, man solle sie ja bei Euch lasse
Tragt Ihr vielleicht Sorge um unser Woyl? Dan
seid nur unbekümmert, denn wir haben unse
eigenen „orthodoxen“ Sorgen, die vielleicht bi
schlimmer sind als Eure „jüdischen“
Darauf blieb das Wolhynische Bäuerlein
Antwort schuldig.
Helsingfors. Mitten im rauhen Winter sind je
30 arme jüdische Familien
aus Finnland ausgewiesen worden, ein Scht
sal, das jeden Tag zahlreiche weitere jüdische Fam
lien treffen kann. Darf doch gesetzlich ein In
nur
in den finnischen Städten Helsingfors, A
und Wiborg wohnen, und auch dieses Wohnred
ist mit unglaublich entwürdigenden Bestimmung
verbunden. Obwohl die meisten Juden im Lan
geboren sind, muß dessenungeachtet ein jeder vo
hnen alle 6 Monate einen Aufenthaltsschein
helten, in dem angegeben wird, daß er nur m
Zigaretten, alten Kleidern und dergleichen hande
darf. Heiratet ein Jude, so soll er nach dem Gese
aus dem Lande gewiesen werden.
Personalien.
Berlin. Im Alter von 76 Jahren verschi
Frau Geh. Kommerzienrat Alwine Lachman
geb. Kalmus, Mutter des Justizrats E. Lachman
des Vorsitzenden des Verbandes der Deutschen Jude
und Schwiegermutter des Professors Dr. Felix Liebe
mann.
Berlin. Professor Dr. Lazarus, dirigierend
Arzt des Marienkrankenhauses, erhielt das Kontu
krenz des russischen Stanislaus=Or
dens mit dem Stern.
Mainz. Bei der Vorstandswahl
israelit. Gemeinde wurde Herr S. Cah
wiedergewählt, Herr Justizrat Dr. Loeb
kannt durch seine Rede auf dem letzten deutsche
Judentag in Frankfurt a. M. — und Herr Loe
E. G.
wvensberg neu gewählt.
Kalk bei Köln. Herm. Cahn, Vorstand
nitglied der isegel. Gemeinde, wurde zum Stab
verordneten gewählt.
Braunschweig. Dr Schäfer, seit 35 Jahre
6
Oberlehrer an der Jacobson=Schule in Seesen,
hielt den Titel Prosessor Landtagsabgeordnet