I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 223

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ins Freie
23. Der Neg
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Mlnsier in Werden. Mieligt guick er in, ieleicht unch miat¬
Vielleicht geht seine weiche, von Impulsen beherrschte Natur neuen
Abenteuern entgegen, in denen sich seine Kraft verbraucht, ohne
fruchtbar zu werden; möglich, daß auch seine Freiheit nur eine
scheinbare ist und ein Schatten sich an sein Tun und Genießen heftet.
Schnitzlers Buch ist ein Buch der Fragen, und um das frag¬
liche Schicksal des Helden ranken sich ungelöste Probleme der Ge¬
sellschaft. Wergenthin ist mitten in einen Kreis von vermeintlichen
Lebenskünstlern, die doch alle am Leben kranken, in jene moderne
Wiener Gesellschaft hineingestellt, durch die der Zug einer durch¬
geistigten Sinnlichkeit hindurchgeht, die graziös mit dem verwegensten
Skeptizismus spielt und dabei doch die alte Empfindlichkeit gegen jede
Art des Vorurteils bewahrt hat. Viele Typen der überreizten oberen
Zehntausend drängen aus diesem Kreise plastisch hervor: der geborene
und der imitierte Kavalier, alle Arten moderner Mädchen, die exaltierte
Sozialpolitikerin, die auch ihre persönlichen Abenteuer wie ein
Mann erledigt, die wohlerzogene Haustochter, die im Denken und
Fühlen über alles hinaus ist und dennoch ihr Leben mit dem
sicheren Takte der Weiblichkeit umhegt, die Gesellschaftsdame, die
ihre kranke Phantasie in frechen Gesprächen befriedigt, das Dirnen¬
temperament, das sich schlau und anschmiegsam in die Formen des
Salons zu fügen weiß, der reiche jüdische Finanzmann, der sich in
seinem überfeinerten Heim fremd fühlt und wie ein Stück Demos
an seinem Nationaljudentum festhält, und sein christelnder Sohn
der das Leben darin setzt, es den klerikalen Kavalieren gleich zu
tun, Künstler und Dilettanten von wirklicher und gespielter Origi¬
nalität und eine Gruppe von Literaten, die sich in beißender
Ironie mit dem Leben abfinden oder ihre Natur an unauslösbaren
Antinömien zerreiben. Mit seltenem Mute der Wahrhaftigkeit ohne
Einseitigkeit und Schönfärberei, läßt Schnitzler dabei die auf¬
wühlende Wirkung, die der soziale Antisemitismus an bedeuten¬
deren Menschen jüdischer Herkunft hervorgebracht hat, in allen
Farben aufleuchten und in wunderlichem Wogenspiele aufschäumen.
Nicht um äußere Bestimmungen, Gesetze und Vorschriften handelt es
sich da, wie einst in den älteren Romanen, die in den Tagen der
Judenemanzipation entstanden, sondern um das Gift der Fremd¬
heit, der Reserve, der geheimen Abschließung und der verstohlenen
Geringschätzung, das den Verkehr der Intellektuellen durchsetzt, und
vor allem um die grübelnde Selbstprüfung, in der die Opfer eines
schleichenden Vorurteils ein gut Teil ihrer inneren Kraft verzehren.
Ganz eigenartig ist der Held, der viel in jüdischen Schriftsteller¬
kreisen verkehrt und sich da bis zu einem gewissen Grade assimiliert,
ohne im Geiste dieser Welt ganz aufzugehen mit den mannig¬
fachen Episoden, in denen die soziale Hydra ihre wechselnde
Gefalt zeig, vertmüpft. Bergenthin ist ein unbewuhtes
der sie am
Freundschaftsgenie, nichts weniger als enthusiastisch in der
daß schon d
Annäherung, aber ein ausdauernder Kamerad, einer von
an den r
dem seltenen Geschlechte der guten Hörer; von der stillen
Rassengefüh
Teilnahme seines nachgiebigen, energielosen Wesens geht ein Hauch
wie stump
aus, der die Saiten im Innern der Freunde wie Aeolsharfen er¬
von den hr
klingen macht. So vertrauen sich ihm alle an, ohne ihm menschlich
dieser Geda
allzu nahe zu kommen. Der Ironiker, der aus seiner stillen Ueber¬
Resultaten
legenheit und stolzen Einsamkeit einen Panzer gegen die Stiche der
zweiungen
feinsten Antipathie geschmiedet hat, der Zionist, der gegen die still¬
den andeut
schweigende Ausweisung aus dem engeren Nationalverbande eine
die zum Na
Zuflucht in einem neuen, angeblich alten Nationalgefühl sucht, das
Lebendigen,
keine Wurzeln in der lebendigen Kultur hat und das sich krampfhaft
den natürli
an eine geschichtliche Fiktion klammert, und der tiefsinnige Grübler,
Außerorden
der den Zweifel von allen gegen sich selbst kehrt und durch rastlose
Vermittelun
Zergliederung seines Wesens bis zur Selbstzerrüttung gelangt. Es
in Atem ha
ist ein eigentümliches Virtuosenstück Schnitzlers, alle diese Spiel¬
Schicksale.
arten der Stimmung, die der Antisemitismus erweckt, in Gesprächen
Keine
und Episoden, die außerhalb der Haupthandlung liegen, breit zu
die nach der
entfalten und uns dennoch nicht zu ermüden. Ich möchte keinem
sozialen be
zweiten Autor raten, ein ähnliches Wagestück auszuführen, seinen
gegen alles
Helden so zum Publikum einer Gruppe von Sprechern zu machen,
den Intellek
die auf sein Schicksal keinen Einfluß haben und deren leises Nach¬
hafter Treff
klingen in seinem Gemüte nur der feingestimmte Leser erraten
verstrickt sin
kann. Schnitzler hat die Macht der Darstellung, diesen im Sinne
klammern
der herkömmlichen Komposition unergiebigen Gesprächen einen zwei¬
Shakespeare
fach fesselnden Reiz zu geben: einmal in der Art, wie sich der
den „Weg in
Hörende, der unbewußt einen wortkargen Chorus bildet, aufnehmend
Zeit so an d
und beobachtend charakterisiert, dann durch die wechselnde Beleuchtung
einen kleinet
des Problems in tatkräftigen, streitenden und leidenden Naturen.
Kämpfen d
Was die verschiedenartigen Menschen darüber aussagen, steht
trägt, ihr
ganz im Zuge ihrer persönlichen Bedingtheit, so daß wir das
troffen und
Leben selbst zu hören meinen, und der gestaltende Dichter unterläßt
Lebens un
es durchweg, aus diesen Protokollen einen Schluß zu ziehen und
müssen. 1
seinerseits ein inappelables Urteil zu fälten. Tiefes wird ausge¬
Buch ein 9
sprochen, namentlich von dem leidenschaftlichen, unbarmherzigen
nicht, daß de
Denker Heinrich Bermann, das tiefste vielleicht dort, wo dieser
dessen De
Grübler, den Wergenthin lächelnd beschuldigt, selbst ein Antisemit
die Anschaut
zu sein, darauf erwiedert: „Im gewissen Sinne haben Sie schon
Naturen ben
recht; ich gestatte mir ja schließlich auch Anti=Arier zu sein, jede Rasse
freiende Kra
als solche ist natürlich widerwärtig. Nur der Einzelne vermag uns
Geheimn
zuweilen mit den Widerlichkeiten seiner Rasse zu versöhnen.“ Er
bekeiine:
oder Schnitzler hätte hinzufügen können, daß in der Regel derjenige
künstleri
die allerbreiteste Basis seines Selbstgefühls, also die der Rasse, sucht, Freig ge
er