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ins Freie
Der Nec
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Feuilleton.
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Der Weg ins Freie.*) 1
In diesem neuen Roman von Arthur Schnitzlex, der eigentlich
sein erster ist, wird die Hauptfigur durch die Bemerkung gekenn¬
zeichnet, daß sie kein Programm habe. Mit diesem Mangel, den
das Leben eher als die Kunst leidet, ließe sich auch der Roman
selbst charakterisieren. Um im Stil des achtzehnten Jahrhunderts zu
reden, es gibt heute in Deutschland und auch in Europa kaum
einen Schriftsteller, der so viel zur Belustigung des Verstandes und
Witzes zu leisten vermag, wie dieser delikateste Kenner der
modernen Seele. Aber wenn man ihm auch Blatt für Blatt
eine höchst scharfsinnigen und dabei mühelos zufließenden
Beobachtungen bestätigt, man weiß am Ende nicht, was er als
Ganzes bestätigt haben will und von welcher Seite man es über¬
haupt ansehen soll. Der Schriftsteller könnte einwenden, daß es
ihm nicht auf unsere Antwort und nicht einmal auf die eigene an¬
kommt, und daß er dieses überaus vieldeutige Leben um keine
Möglichkeit einer Deutung gebracht haben möchte. Aber es handelt
sich nicht darum, daß am Ende eine Reihe von Frage= und Aus¬
rufungszeichen steht, der moderne Roman wird sich ohne willkürliche
schließen, sondern das Ganze leidet an einem Zwiespalt der Orga¬
nisation, an dem Mißverhältnis zweier Hauptteile, die zusammen¬
genommen keine Gleichgewichtslage finden.
Schnitzler erzählt in diesem Roman eine Liebesgeschichte des Barons
Georg, der seine éducation sentimentale vollendet, und er setzt auf
diese Novelle einen unverhältnismäßig schweren Überbau, der das
irrationale und tragische Geschick des Judentums im heutigen Öster¬
reich tragen soll. Diesen beiden Motiven fehlt die gemeinsame
Wurzel, und die Verästelung wird nur recht obenhin dadurch her¬
gestellt, daß der junge Kavalier vorzugsweise mit Juden verkehrt,
eine Neigung, die ihm seine Erfahrungen eigentlich verleiden
sollten. Denn alle diese Bekanntschaften aus Neigung oder
Ungefähr ermüden ihn durch den fatalen Eigensinn, mit dem
sie auch ohne die geringste Veranlassung immer wieder auf das
Problem des Jndentums zurückkommen. Jedenfalls könnte
er seine Privatgeschichte ganz außer Zusammenhang mit allen diesen
stachlichen Diskussionen erleben, die das Thema bis ins Unendliche
variieren, ohne es weiter zu bringen. Und so mag die Novelle, auf
die der Roman des Judentums gesetzt worden ist, schnell vorweg¬
genommen werden. Sie stammt von dem Meister der „Liebelei“
nur daß er um fünfzehn Jahre älter und härter geworden ist.
Baron Georg besitzt mehr Reife und Besonnenheit als Schnitzlers
erste jugendliche Helden, ein wenig Leichtsinn noch, ein wenig
Unbeständigkeit zu einer vertiefteren Bildung, jedenfalls ein Mann,
der sich genug erprobt hat, um nicht mehr die Zügel ganz zu ver¬
lieren. Die kapriziöse Grace hat er gerade versetzt, er flirtet
mit der und jener interessanten Jüdin, aber eine Neigung
*) Berlin S. Fischer Verlaa 1908.
von starkem Vertrauen und tieferer Anhänglichkeit führt
ihn zu der stillen, vornehmen Anna, die ihrer bürgerlichen Familie
zu einem höheren Fluge entwichen wäre, wenn sie nicht ihre Stimme
verloren hätte. So hat sich eine berufene Künstlerin in die be¬
scheidene Existenz einer Musiklehrerin gehüllt, eine von den selb¬
ständigen, selbstdenkenden, beherrschten Frauen, die schamhaft stolz
verschlossen nichts verlangen, als was ihnen freiwillig gegeben wird,
und die wieder durch ihre klare Offenheit aus jeder Sitnation ihre
Würde retten. Das Verhältnis bleibt nicht ohne Folgen, aber die
vor allem zur Mutter Bestimmte bringt ein totes Kind zur Welt.
Es ist der Reiz und der Wert dieser Liebesgeschichte, daß sie mit
feinster Umsicht ganz ohne Schwärmerei und ohne Empfindsamkeit durch¬
geführt wird. Sie stammt von einem subtilen Kenner, der sich durchaus
zwischen Stendhal und Flaubert behaupten kann. Schnitzler hat
alles getan, um sich die Banalität einer bürgerlichen Tragödie vom
Leibe zu halten, um nicht das soziale Pathos eines Musikus Miller
gegen den adkigen Verführer aufzurufen, und es scheint mir fast,
dat er zu viel getan hat, um diese ehrbare Familie Rosner in Ruhe
zu halten. Die Distanz zwischen einem Baron und einem unbe¬
choltenen Bürgerhause ist denn schließlich doch nicht groß genug, um
olche Gefügigkeit und Passivität selbstverständlich zu machen. Anna
liebt bedingungslos, während Georg seine Leidenschaft als eine
amour à concession behandelt, die sich mit egoistischen Rücksichten,
mit Bequemlichkeiten und Halbheiten aller Art vertragen
muß.
Er ist kein Mann, um bedingungslos vorher Ja
oder Nein zu sagen. Wär das Kind am Leben geblieben, wahr¬
scheinlich hätte er es durch die Ehe legitimiert; so aber entgleitet
er der Geliebten allmählich wieder, einfach weil er sich noch nicht
für immer binden kann, und Anna hält ihn nicht; denn sie weiß
diese Ehrlichkeit des Egoismus höher zu schätzen als bloßes Mitleid
oder auferlegtes Pflichtgebot, das ihr einfacher Sinn durchschauen
und ihr Stolz nicht ertragen würde. Auf keinen Fall wird sie ihre
Haltung verlieren; vielleicht wird sie die Lieder dieses beinahe ge¬
wissenhaften Clavigo nicht mehr singen mögen, der nun als Kapell¬
meister in eine kleine deutsche Residenz geht, um dort oder wo
anders gewiß als Intendant zu enden. Aber er wird es
ihr als die Frucht ihrer ehrlich fordernden und prüfen¬
den Klarheit danken, wenn der Dilettant seine ungedul¬
digen und unbeständigen Fähigkeiten zusammenraffen lernt,
um noch als schaffender Künstler mit Anstand zu gelten. Diese Ge¬
schichte, die man sich auf feinste Schnitzlersche Art vorgetragen und
ausgelegt denken muß, ließe sich aus dem Roman herauslösen, um
für sich als eine Studie von hoher künstlerischer Besonnenheit zu
existieren, die ihre psychologischen Projektionen über diesen Fall von
einem starken und einem schwachen Herzen weit hinauswirft. Das
Kind hat einen Augenblick gelebt und in diesem Augenblick stand
Georg zwischen zwei Generationen, das empfangene Leben weiter¬
gebend und seinem großen einfachen Willen dienend, der nur die
Gattung kennt und unser bißchen Individualität so erhebend zu
demütigen weiß. Das große Normale hat er vorwegnehmend durch¬
lebt, und wieder aus Reih' und Glied geworfen, ist er auf den
früheren Zustand des Irregulären egoistisch zurückgewichen, nur daß
er seine kleinen Abenten
geringerem Einsa“ und
Schnitzler hat sich dur
besondere Ehrenqualität
Zurückhaltung; er treibt
Glänzende, und es ist
samkeit, verbunden mit
eckigeren und rücksichts
Passivität verlöschen läß
in Anspruch genommen,
Jndentum zu ertragen, d
füllt. Dem Künstler und
kehr mit seinen Standesge
von den jüdischen Salons,
Sphäre liegen, und in
gegenwart, mit irgend
kann. Diese Ehrenberg
typisch sein. Die Fraue
seitigkeit, die sich mit Na
und trotz ihrer dauernde
drucksfähigkeit ermüden
Frivolität doch an irgend
Anhänglichkeit, einer Ver
gepflegte Lustigkeit hauch
der Einsamkeit an, die
grundlos vermuten.
mit einer letzten großen
verstummen müßte.
In
einen Typus des Extren
Geschäftsmann, möchte d
zu haben, und der Jun
gang schon so ausgezeich
portal vorübergehen
herum lernt nun Dat
tums kennen, von
Kavalier, der jedem verf
nicht glauben würde, un
Pistole hat für den Fall
nur mit dem unwillkürli
beantworten sollte. All
Baron, kommen nie zu
zu ausdrücklich betonen
nicht zur Ruhe kommen,
sönlichkeit ohne irgend ei
chäftigen kann.
Die Juden mögen ihr
lieben, sie werden immer
daß es Gefühle, Instinkt
so geht aus dieser Unsich
eine Nervosität hervor,
macht, nicht zuletzt übr
eine der unfruchtbarsten
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In diesem neuen Roman von Arthur Schnitzlex, der eigentlich
sein erster ist, wird die Hauptfigur durch die Bemerkung gekenn¬
zeichnet, daß sie kein Programm habe. Mit diesem Mangel, den
das Leben eher als die Kunst leidet, ließe sich auch der Roman
selbst charakterisieren. Um im Stil des achtzehnten Jahrhunderts zu
reden, es gibt heute in Deutschland und auch in Europa kaum
einen Schriftsteller, der so viel zur Belustigung des Verstandes und
Witzes zu leisten vermag, wie dieser delikateste Kenner der
modernen Seele. Aber wenn man ihm auch Blatt für Blatt
eine höchst scharfsinnigen und dabei mühelos zufließenden
Beobachtungen bestätigt, man weiß am Ende nicht, was er als
Ganzes bestätigt haben will und von welcher Seite man es über¬
haupt ansehen soll. Der Schriftsteller könnte einwenden, daß es
ihm nicht auf unsere Antwort und nicht einmal auf die eigene an¬
kommt, und daß er dieses überaus vieldeutige Leben um keine
Möglichkeit einer Deutung gebracht haben möchte. Aber es handelt
sich nicht darum, daß am Ende eine Reihe von Frage= und Aus¬
rufungszeichen steht, der moderne Roman wird sich ohne willkürliche
schließen, sondern das Ganze leidet an einem Zwiespalt der Orga¬
nisation, an dem Mißverhältnis zweier Hauptteile, die zusammen¬
genommen keine Gleichgewichtslage finden.
Schnitzler erzählt in diesem Roman eine Liebesgeschichte des Barons
Georg, der seine éducation sentimentale vollendet, und er setzt auf
diese Novelle einen unverhältnismäßig schweren Überbau, der das
irrationale und tragische Geschick des Judentums im heutigen Öster¬
reich tragen soll. Diesen beiden Motiven fehlt die gemeinsame
Wurzel, und die Verästelung wird nur recht obenhin dadurch her¬
gestellt, daß der junge Kavalier vorzugsweise mit Juden verkehrt,
eine Neigung, die ihm seine Erfahrungen eigentlich verleiden
sollten. Denn alle diese Bekanntschaften aus Neigung oder
Ungefähr ermüden ihn durch den fatalen Eigensinn, mit dem
sie auch ohne die geringste Veranlassung immer wieder auf das
Problem des Jndentums zurückkommen. Jedenfalls könnte
er seine Privatgeschichte ganz außer Zusammenhang mit allen diesen
stachlichen Diskussionen erleben, die das Thema bis ins Unendliche
variieren, ohne es weiter zu bringen. Und so mag die Novelle, auf
die der Roman des Judentums gesetzt worden ist, schnell vorweg¬
genommen werden. Sie stammt von dem Meister der „Liebelei“
nur daß er um fünfzehn Jahre älter und härter geworden ist.
Baron Georg besitzt mehr Reife und Besonnenheit als Schnitzlers
erste jugendliche Helden, ein wenig Leichtsinn noch, ein wenig
Unbeständigkeit zu einer vertiefteren Bildung, jedenfalls ein Mann,
der sich genug erprobt hat, um nicht mehr die Zügel ganz zu ver¬
lieren. Die kapriziöse Grace hat er gerade versetzt, er flirtet
mit der und jener interessanten Jüdin, aber eine Neigung
*) Berlin S. Fischer Verlaa 1908.
von starkem Vertrauen und tieferer Anhänglichkeit führt
ihn zu der stillen, vornehmen Anna, die ihrer bürgerlichen Familie
zu einem höheren Fluge entwichen wäre, wenn sie nicht ihre Stimme
verloren hätte. So hat sich eine berufene Künstlerin in die be¬
scheidene Existenz einer Musiklehrerin gehüllt, eine von den selb¬
ständigen, selbstdenkenden, beherrschten Frauen, die schamhaft stolz
verschlossen nichts verlangen, als was ihnen freiwillig gegeben wird,
und die wieder durch ihre klare Offenheit aus jeder Sitnation ihre
Würde retten. Das Verhältnis bleibt nicht ohne Folgen, aber die
vor allem zur Mutter Bestimmte bringt ein totes Kind zur Welt.
Es ist der Reiz und der Wert dieser Liebesgeschichte, daß sie mit
feinster Umsicht ganz ohne Schwärmerei und ohne Empfindsamkeit durch¬
geführt wird. Sie stammt von einem subtilen Kenner, der sich durchaus
zwischen Stendhal und Flaubert behaupten kann. Schnitzler hat
alles getan, um sich die Banalität einer bürgerlichen Tragödie vom
Leibe zu halten, um nicht das soziale Pathos eines Musikus Miller
gegen den adkigen Verführer aufzurufen, und es scheint mir fast,
dat er zu viel getan hat, um diese ehrbare Familie Rosner in Ruhe
zu halten. Die Distanz zwischen einem Baron und einem unbe¬
choltenen Bürgerhause ist denn schließlich doch nicht groß genug, um
olche Gefügigkeit und Passivität selbstverständlich zu machen. Anna
liebt bedingungslos, während Georg seine Leidenschaft als eine
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mit Bequemlichkeiten und Halbheiten aller Art vertragen
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scheinlich hätte er es durch die Ehe legitimiert; so aber entgleitet
er der Geliebten allmählich wieder, einfach weil er sich noch nicht
für immer binden kann, und Anna hält ihn nicht; denn sie weiß
diese Ehrlichkeit des Egoismus höher zu schätzen als bloßes Mitleid
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für sich als eine Studie von hoher künstlerischer Besonnenheit zu
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einem starken und einem schwachen Herzen weit hinauswirft. Das
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Georg zwischen zwei Generationen, das empfangene Leben weiter¬
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Anhänglichkeit, einer Ver
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grundlos vermuten.
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