I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 253

23. Der Ne
ins Freie
a. in a. d K S . un aen een uch en . —
77
box
Literarische Rundschau.

Neue Romane.

Das Kreuz im Venn. Roman von Clara Viebig. Berlin, Fleischel. 1908.
Der Wegins Freie. Roman von Arthur Schnitzler. Berlin, Fischer. 1908.
Henriette Jacoby. Roman von Georg Hermann. Berlin, Fleischel. 1908.
Der Mittler. Roman von Walther Nithack=Stahn. Halle, Fricke. O. J.
Richards Junge (Der Schönheitssucher). Roman von Richard Voß. Stuttgari und
Berlin, Cotta. 1908.
Es ist keine im Kunstgebiet übel angebrachte Galanterie, wenn wir der Dichterin
den Vortritt lassen, denn Clara Viebig steht auf dem Boden ihrer Vollkraft, der
für sie noch günstiger und fruchtbarer ist als die polnische Ebene oder Berlins Keller¬
wohnungen. Sie hat die Eifel dichterisch erobert, wie Karl Friedrich Lessing sie
dereinst malerisch entdeckt hat. So sagt hier der Bürgermeister Leykuhlen von
Heckenbroich, ein aus hartem Holz geschnitzter, im Grunde weicher Mann, zu dem
korrekten Herrn Landrat, dieser liebe das Land mit dem Verstande: „Ich aber lieb
es mit der Seele. Und dadrin liegt der Unterschied. Und darum versteh ich Sie
manchmal nit und Sie mich nit.“ Das neue Werk ist kein geschlossener Roman
mit ausgetragenen Handlungen und Konflikten, sondern ohne festes Ineinandergreifen
der Glieder ein umfassendes Bild dessen, was das Venn, das hohe Moorplateau
zwischen Eifel und Ardennen, landschaftlich und menschlich an triebkräftigen Motiven
aufweist. Wir kehren in der nahen Stadt ein, wo die schöne Helene den Gästen
des „Weißen Schwans“ Bowle und Minne kredenzt und den kleinen Leutnant zu¬
grunde richtet; wir beobachten das industrielle Treiben; wir werden heimisch in dem
Dorf oben, an das der militärische Schießplatz und die ihr Heideland rodende Straf¬
kolonie grenzen. Schon einmal hat Frau Viebig unter diesen Elenden halt gemacht,
sie versteht nun den Befehlshaber des Trupps so sicher zu gestalten wie den fahlen,
von Sinnenlust durchfieberten Rotfuchs, der vor dem Kathrinchen, vor der Bestie in
ihm selbst entfliehen möchte. Sie ist mit der alten und jungen, männlichen und
weiblichen Bevölkerung vom Schulzenhof bis zur dürftigen Hütte, ihrem Hausrat
samt dem frommen Wandspruch, ihren geistlichen Liedern, ihrem wiederum voll¬
angeschlagenen Dialekt innig vertraut und entfaltet die schwere Prüfung eines
Dorfes, das vom Typhus befallen wird, weil es keine Wasserleitung, aber eine
prächtige neue Kirche hat. Und auf dem hohen Kreuz der Marienley sammelt sich
durch die streichenden Nebelschwaden das Licht: „Ob sie das Kreuz wie einen Trost,
wie eine Verheißung sahen, ob es ihnen drohend erschien? Sie alle waren ja ans
Kreuz geschlagen? Wer im Leben wäre das nicht?“ Aber unsre Realistin, deren
„Schlafendes Heer“ ja auch ein örtliches Sinnbild in den Mittelpunkt stellte, ver¬
zichtet auf eine klare, bindende Symvolik, und die Meisterin der lenzenden oder