I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 261

23. Der Neg ins Freie
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nicht ohne handfeste Deutlichkeit zwar das Zu¬
Erzählung eines jungen Bapern, C. B. Heinrichs:
sehen hat, aber des eigentlichen verheißenen
Karl Asenkofer““ dar. Die Geschichte einer
Vergnügens beraubt bleibt: zwölf Schicksale mit¬
harten Jugend voll Hunger und Not und doch
zuerleben. Mag er sich's, über die glückliche
voll reiner, schuldloser Freude wird mit edler
Hauptsache eines entzückten, frivol=heiligen Bei¬
Einfalt des Herzens mit einer sittlichen
agers beruhigt, an dem gelegentlichen, durch
Macht der Empfindung so schlechthin natur¬
prische Schilderungen kräftig unterstrichenen Be¬
ergeben berichtet, daß bei der inneren Nö¬
richt der sonstigen Vorfälle genügen lassen, der
tigung dieses Bekennens auch die stärkste künst¬
die Gesellen getrost in alle Winde verbläst.
So
lerische Wahrheit mit geradem Blick uns an
wird das Chema der Geschichte in ihrem Verlauf
schaut und durch die unverkümmerten schlichtesten
villkürlich verschoben, mit ihm der Standplatz
Ausdrücke einer Dolkssprache von echtem Korn
des Erzählers, der bald mitten in den Anschau¬
alles Gefühl liebend an sich zieht. Eben für
ungen seiner Leute weilt, bald sie ironisiert und
die Lauterkeit des Bekennenden spricht selbst der
das eben erhitzte Dathos selbst kalt übergießt
Mangel des zweiten Ceiles dieser Geschichte, die
und lächerlich macht. Für die Darstellung zwölf
zu gewissen Erlebnissen, die den Charakter
gleich gewichtiger Figuren wäre eine sinnreiche
verfeinert und vergeistigt haben, den richtigen
Rahmenerzählung, für die Entwicklung des ero¬
künstlerischen Abstand nicht zu finden weiß. Hier
tischen Turniers, in welches der Schelmenweg
verwirrt und trübt sich der bisher meisterliche
der Ereignisse schließlich mündet, eine von An¬
Klang ebenso, wie die haltung des Helden, wie
fang an gerechte und wohlerwogene Abschattung
die Ereignisse selbst. Wie so oft muß man da
der Gestalten angemessen gewesen, kurz die Sicher¬
auf den erlösenden Gang der Zeit hinweisen,
heit der Komposition, die intellektuelle Bestimmt¬
der die Kinder der Erde unvermerkt von allen.
heit des „Erfinders“ hält der Freudigkeit des in¬
bittersüßen Taten der Leidenschaft sacht hinweg
stinktiven, schauenden „Finders“ nicht die Wage,
und auf eine Höhe trägt, wo sie voll „künstleri¬
ein innerer Mangel an Harmonie, der sich, wie
cher Objektivität“. Gelassenheit und sicheren
immer, auch in der äußeren Unsicherheit der
Blickes das gelobte Land, nicht der Verheißung,
Form, des Wortes verrät, welches ohne Zucht
ondern der Vergangenheit, das nie mehr wieder¬
eines sachlich determinierten Stils improvisatorisch
zugewinnende betrachten dürfen.
lüchtig drauf los fährt, fast geflissentlich „cht öster¬
Wie die Lösung jedes poetischen Form¬
reichisch“ bis zur sogenannten „Schlamperei“, als
problems einen triftigen Schluß auf Stand und
wäre dies auch ein erlaubtes, lokales Charakteri
Wert einer Begabung nahelegt, zeigt sich als
ierungsmittel! Man braucht das Gewissen eines
an einem rechten Schulfall an den von Grete
Dichters wohl nicht erst auf die peinliche Sauber¬
Auer „herausgegebenen“ „Memoiren des
keit der Grillparzerschen, auf den zugleich ur¬
Chevaliers von Rocquesant“* Das deut¬
wienerischen und doch so reinen, klaren Bau der
iche, vorläufig allerdings mehr eklektisch bestimm¬
Saarschen Prosa zu verweisen. So kann z. B. dem
bare, als unabhängige Talent der Verfasserin
Dorworte „wegen“ nur ein — fast möchte man
ergeht sich hier in einer Art Bildungspoesie, ver¬
agen — sittlicher Mangel an Gefühl für die
leitet durch C. F. Mepers gewaltiges dichterisch¬
Unverletzlichkeit der deutschen Sprache den zweiten
historisches Vermögen und beschließt, von der
fall beharrlich verweigern und den „volkstüm¬
interessanten, genügend ausführlichen französischen
lichen“ dritten zukommen lassen. Solches hervor¬
Bekenntnislit ratur angeregt, einmal selbständig
zuheben, mag nur denen kleinlich scheinen, die
olche Memoiren zu erstellen. Das gibt nun einen
davon nichts ahnen, daß die Sprache, das Antlitz
komischen Verwechslungsvorgang. Die Tagebücher
der Gedanken, in ihrer Reinheit eine reine, in
dieser Zeit tragen alles Große und Kleine ohne
hrer Trübung eine fragwürdige Natur des
künstlerische Abschätzung und Gestaltung mit der
nneren Menschen verrät. Bei ihr beginnt die
Willkür augenblicklicher, subjektiver, historisch
Zucht, die ein Dichter sich, seinem Werk, der
politischer Wertung zusammen, so recht ein Roh¬
Delt selbst schuldet. Kein Einsichtigter wird dem
material für den Dichter, daraus einen wesent¬
der solche lachende und leidenschaftliche Szenen
ichen Charakter im Licht seiner Zeit und Sitte
mit flüchtiger Hand wie im Scherz der Stunde
zu kondensieren. So wäre etwa C. F. Ueper
hinzuwerfen vermocht, Begabung absprechen,
verfahren, überhaupt jeder Meister. Anders der
die freilich ein Glück ist. Aber man wird ge¬
Dilettant: ihn reizt der Memoirenstil an sich,
rade dem Glücklichen zur Erwägung geben
Memoiren zu reproduzieren, wobei er natürlich
dürfen, daß sie auch eine strenge Pflicht, ein
nichts anderes leisten kann, als den Dorrat an
Schicksal ist und ein Leben lang werden muß,
ernsten Dingen aus einem soliden alten Dalast
um zu dauern.
in einen nachgeahmten neuen zu übertragen.
Ein ergreifendes Gegenbild dieses fast leicht¬
Die eigentliche poetische Leistung: Darstellung
fertigen, selbst die innersten Kämpfe als Spiel
besonderer Ereignisse und Figuren gerät dadurch
empfindenden und die Kunst als Lustbarkeit ge¬
München, Albert Langen.
nießenden Naturburschenstücks stellt sich in der
* Stuttgart, Deutsche Verlagsanst alt.
„Osterreichische Rundschau“, XVIII. 1