23. Der Neg ins Freie
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Aber wenn man solche Verallgemeinerungen,
die vielleicht dem Autor mehr unterschieben als
er beabsichtigt, auch abzuziehen bereit ist, um die
positiven Qualitäten des Romans zu erwägen,
bleibt all das Gewirr von Personen, Schauplätzen,
Dialogen, pspchologischen Erörterungen so grund¬
dürftig, daß der bescheidene Inhalt nur desto
nackter in seinen bunten Fetzen friert. Selbst
ein so gesellschaftsfremder Betrachter wie der
Schreiber dieser Zeilen glaubt unter den als höchst
porträtgetreu gerühmten Gestalten einige erkannt
zu haben, doch möchte er die äußerlich treffende
Photographie darum nicht mit der künstlerischen
inneren Wahrheit verwechseln und eine Cechnik
des Erzählens, die den gelungenen, in diesen
Kreisen üblichen Stimmkopien berühmter Schau¬
spieler gleicht, nicht für eigentliche Gestaltung
ausgeben, die sich eben nur in Schicksalen, in
eigentümlich logisch verketteten Lebenszusammen
hängen, nicht in Geh= und Steh= und Kniestücken
oder Salongruppen vollenden kann. Gewisse
Tppen und Situationen haben den fatalen Witz
und die traurige Lebenswahrheit jener „Lokalzugs¬
tudien“ aus der „Sonn= und Montagszeitung“,
die bisher noch niemand für Wiener Kunstwerke
erklärt hat. Was aber den sogenannten Geist,
die Schärfe, die pspchologische Tiefe und Fein¬
heit betrifft, so möchte der ganze Wortreichtum
keinen einzigen streng und klar formulierten,
dauernd wertvollen, gold= oder auch nur eisen¬
haltigen Gedanken ergeben. Der Rest —
Stimmung
— wird hervorgerufen durch jene
billigsten Assoziationen, die ein italienischer Orts¬
name, meinetwegen Cadenabbia, bei allen gut
mütig Bereitwilligen doch allzu wohlfeil auslöst.
So wird etwa die Cragik eines mit einem Kinde
schwangeren Dasers
— sein Erwartungszustand
ist das Problem — etwa durch die Betrachtung
mit dem fahlen Schein des Schicksals umwittert,
daß schon das Haus stehe, wo dieses Kind zur
Welt kommen wird. Ein Gedankengang, für
den, wie für eine spärliche Folge ähnlich tief¬
sinniger der Autor nicht die Verantwortung damit
ablehnen darf, er habe keine eigenen Weisheiten,
sondern nur die Gemüts= und Intellektzustände
einer Figuren zeigen wollen, denn er legt auf
alle diese Exkurse lprische und geistige Akzente
von subjektivem Gewicht, er identifiziert sich mit
dieser Dialektik, diesen „Werten" und Worten,
letzten Endes in schmerzvoller Selbsttäuschung
auch mit dem Helden, indem er ernstlich glaubt
und vorgibt, dieser „Weg ins Freie“ sei mehr
als eine Übersiedlung — nach Detmold.
Rudolf Hans Bartsch kommt aus einer
anderen Gegend, in seinem Buche weht ein fri¬
scher, lustiger, lebendiger Wind. Ein schönes
Stück Jugend braust in den „Zwölf aus der
Steiermark“ und ein unangekränkelter Instinkt
greift bis zur Ungebühr zu. Der Erlebnisgehalt
und Menschenkreis dieses Romanes wird durch
das Treiben munterer Studenten in Graz be¬
timmt. Wie stellt sich nun der „Erfinder“
zu
seinem Funde? Sein motivischer Einfall ist
fruchtbar: die Jugend ist es, welche die unver¬
kümmerten, tppischen Charaktere zeigt, die in
ihrer geraden Eigenart, mit ungehinderten Trieben
die Drobleme ihrer Zeit und Gesellschaft in
wenig Jahren dialektisch durchleben und bis zu einem
gewissen Grad auch bestimmend in Tat und Ge¬
taltung umsetzen. Nun heißt es, solche bezeich¬
nende junge Menschen auf die Beine und dem
Sd ksal entgegenstellen. Die Zuversicht des
Autors, der recht in der erfreulichen Art des
heißen Anfanges nach mehr Hunger hat, als er
zwingen kann, greift gleich ein ganzes Dutzend
heraus. Das gibt nun eine allzu schwere Auf¬
gabe: zwölf Figuren in aller Besonderheit dar¬
zustellen, in bezeichnende Ereignisse hinein
und rechtzeitig wieder herauszuwickeln und dabei
ein völliges, rundes Ganzes zu drehen. Eine solche
Zusammenfassung ist im Epischen unmöglich bei
durchgängiger Gleichwertigkeit der Figuren, wes¬
halb denn schon von Anbeginn etliche der Kum¬
pane in die Dersenkung der Belanglosigkeit fallen,
während drei oder vier immerhin im ersten Licht
stehen. Aber die eigensinnige Zähigkeit des Mo¬
tivs, zwölf Burschen durchaus zu einer trotzigen
Freudengemeinschaft zu vereinigen, zwingt den
Dichter, statt eine episch gelöste Entwicklung von
Einzelschicksalen zu geben, immer wieder die
schwerfällige, kompakte Gruppe beisammen zu
halten und auf eine wirkliche erzählende Steige¬
rung zu verzichten, indem er einem malerischen
Zustand nur den Schein des Cransitorischen, des
Werdens und Wachsens zu geben sucht. Er grup¬
piert nämlich — auch dies ein glücklicher, nur
kein räumlich und zeitlich episch auszudehnender
Einfall — seine zwölf Paladine um ein schönes,
heiteres, liebenswürdiges Frauenzimmer. Das
macht nun ein vergnügliches Gemälde, das sich
eine umständliche Erzählung hindurch in mannig
faltigen Beleuchtungsunterschieden wiederholt,
wobei das innere Crescendo sich bei der Bruta¬
lität dieser jungen Jahre nur durch die tief¬
empfundene Erkenntnis herstellt, daß schließlich
das trefflichste Weib, von zwölf Schwärmern um¬
worben, einem anfallen muß. Dieser weitwen¬
dige Drozeß hätte in freieren Zeiten und Himmels¬
strichen, etwa im Italien der Renaissance oder
im „gauloisen“ Frankreich ganz wohl ein Dutzend
Anbeter in aller Offentlichkeit und Deutlichkeit
beschäftigt und einem mitbeteiligten Dichter den
anmutigen Stoff zu den blühendsten Oktaven ge¬
geben, während der heutige Autor im kühleren,
freundlich strengeren Milieu einer österreichischen
Kleinstadt nur eben halbwegs privat den End¬
kampf zwischen drei Leuten, zuletzt, naturgemäß
für die Beteiligten höchst beseligend, zwischen
zweien zum Austrag bringen darf, indes die
übrige Gesellschaft das Nachsehen und der Leser
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Aber wenn man solche Verallgemeinerungen,
die vielleicht dem Autor mehr unterschieben als
er beabsichtigt, auch abzuziehen bereit ist, um die
positiven Qualitäten des Romans zu erwägen,
bleibt all das Gewirr von Personen, Schauplätzen,
Dialogen, pspchologischen Erörterungen so grund¬
dürftig, daß der bescheidene Inhalt nur desto
nackter in seinen bunten Fetzen friert. Selbst
ein so gesellschaftsfremder Betrachter wie der
Schreiber dieser Zeilen glaubt unter den als höchst
porträtgetreu gerühmten Gestalten einige erkannt
zu haben, doch möchte er die äußerlich treffende
Photographie darum nicht mit der künstlerischen
inneren Wahrheit verwechseln und eine Cechnik
des Erzählens, die den gelungenen, in diesen
Kreisen üblichen Stimmkopien berühmter Schau¬
spieler gleicht, nicht für eigentliche Gestaltung
ausgeben, die sich eben nur in Schicksalen, in
eigentümlich logisch verketteten Lebenszusammen
hängen, nicht in Geh= und Steh= und Kniestücken
oder Salongruppen vollenden kann. Gewisse
Tppen und Situationen haben den fatalen Witz
und die traurige Lebenswahrheit jener „Lokalzugs¬
tudien“ aus der „Sonn= und Montagszeitung“,
die bisher noch niemand für Wiener Kunstwerke
erklärt hat. Was aber den sogenannten Geist,
die Schärfe, die pspchologische Tiefe und Fein¬
heit betrifft, so möchte der ganze Wortreichtum
keinen einzigen streng und klar formulierten,
dauernd wertvollen, gold= oder auch nur eisen¬
haltigen Gedanken ergeben. Der Rest —
Stimmung
— wird hervorgerufen durch jene
billigsten Assoziationen, die ein italienischer Orts¬
name, meinetwegen Cadenabbia, bei allen gut
mütig Bereitwilligen doch allzu wohlfeil auslöst.
So wird etwa die Cragik eines mit einem Kinde
schwangeren Dasers
— sein Erwartungszustand
ist das Problem — etwa durch die Betrachtung
mit dem fahlen Schein des Schicksals umwittert,
daß schon das Haus stehe, wo dieses Kind zur
Welt kommen wird. Ein Gedankengang, für
den, wie für eine spärliche Folge ähnlich tief¬
sinniger der Autor nicht die Verantwortung damit
ablehnen darf, er habe keine eigenen Weisheiten,
sondern nur die Gemüts= und Intellektzustände
einer Figuren zeigen wollen, denn er legt auf
alle diese Exkurse lprische und geistige Akzente
von subjektivem Gewicht, er identifiziert sich mit
dieser Dialektik, diesen „Werten" und Worten,
letzten Endes in schmerzvoller Selbsttäuschung
auch mit dem Helden, indem er ernstlich glaubt
und vorgibt, dieser „Weg ins Freie“ sei mehr
als eine Übersiedlung — nach Detmold.
Rudolf Hans Bartsch kommt aus einer
anderen Gegend, in seinem Buche weht ein fri¬
scher, lustiger, lebendiger Wind. Ein schönes
Stück Jugend braust in den „Zwölf aus der
Steiermark“ und ein unangekränkelter Instinkt
greift bis zur Ungebühr zu. Der Erlebnisgehalt
und Menschenkreis dieses Romanes wird durch
das Treiben munterer Studenten in Graz be¬
timmt. Wie stellt sich nun der „Erfinder“
zu
seinem Funde? Sein motivischer Einfall ist
fruchtbar: die Jugend ist es, welche die unver¬
kümmerten, tppischen Charaktere zeigt, die in
ihrer geraden Eigenart, mit ungehinderten Trieben
die Drobleme ihrer Zeit und Gesellschaft in
wenig Jahren dialektisch durchleben und bis zu einem
gewissen Grad auch bestimmend in Tat und Ge¬
taltung umsetzen. Nun heißt es, solche bezeich¬
nende junge Menschen auf die Beine und dem
Sd ksal entgegenstellen. Die Zuversicht des
Autors, der recht in der erfreulichen Art des
heißen Anfanges nach mehr Hunger hat, als er
zwingen kann, greift gleich ein ganzes Dutzend
heraus. Das gibt nun eine allzu schwere Auf¬
gabe: zwölf Figuren in aller Besonderheit dar¬
zustellen, in bezeichnende Ereignisse hinein
und rechtzeitig wieder herauszuwickeln und dabei
ein völliges, rundes Ganzes zu drehen. Eine solche
Zusammenfassung ist im Epischen unmöglich bei
durchgängiger Gleichwertigkeit der Figuren, wes¬
halb denn schon von Anbeginn etliche der Kum¬
pane in die Dersenkung der Belanglosigkeit fallen,
während drei oder vier immerhin im ersten Licht
stehen. Aber die eigensinnige Zähigkeit des Mo¬
tivs, zwölf Burschen durchaus zu einer trotzigen
Freudengemeinschaft zu vereinigen, zwingt den
Dichter, statt eine episch gelöste Entwicklung von
Einzelschicksalen zu geben, immer wieder die
schwerfällige, kompakte Gruppe beisammen zu
halten und auf eine wirkliche erzählende Steige¬
rung zu verzichten, indem er einem malerischen
Zustand nur den Schein des Cransitorischen, des
Werdens und Wachsens zu geben sucht. Er grup¬
piert nämlich — auch dies ein glücklicher, nur
kein räumlich und zeitlich episch auszudehnender
Einfall — seine zwölf Paladine um ein schönes,
heiteres, liebenswürdiges Frauenzimmer. Das
macht nun ein vergnügliches Gemälde, das sich
eine umständliche Erzählung hindurch in mannig
faltigen Beleuchtungsunterschieden wiederholt,
wobei das innere Crescendo sich bei der Bruta¬
lität dieser jungen Jahre nur durch die tief¬
empfundene Erkenntnis herstellt, daß schließlich
das trefflichste Weib, von zwölf Schwärmern um¬
worben, einem anfallen muß. Dieser weitwen¬
dige Drozeß hätte in freieren Zeiten und Himmels¬
strichen, etwa im Italien der Renaissance oder
im „gauloisen“ Frankreich ganz wohl ein Dutzend
Anbeter in aller Offentlichkeit und Deutlichkeit
beschäftigt und einem mitbeteiligten Dichter den
anmutigen Stoff zu den blühendsten Oktaven ge¬
geben, während der heutige Autor im kühleren,
freundlich strengeren Milieu einer österreichischen
Kleinstadt nur eben halbwegs privat den End¬
kampf zwischen drei Leuten, zuletzt, naturgemäß
für die Beteiligten höchst beseligend, zwischen
zweien zum Austrag bringen darf, indes die
übrige Gesellschaft das Nachsehen und der Leser