I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 263

23. Der Nec ins Freie
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bescheidener Retter wird und so das geheime
Bündnis bekräftigt, in welchem die Wesen der
Erde miteinander verknüpft sind, das gibt ein
Bild von so großartiger Durchdringung nationaler
Sittlichkeit mit künstlerischer Bildung und Freudig¬
keit, wie es nur den größten Dichtererziehern
Daterlandes zehnfach mit Verklärung und Dank
erwidern und erst wahr machen. Auch die kleine
*
Sammlung „Schwester Olives Geschichte“
wenngleich den großen Schöpfungen der Tager
öf nicht gewachsen, enthält einzelne Anekdoten
wie sie von Deutschen nur Hebel und Gotthelf
männlich kräftiger, aber nicht mit so phantasie¬
voller Anmut und Zartheit hervorgebracht haben.
Schon in unserer letzten Chronik taten wir der
Gesamtausgabe der Dichtungen J. J. Davids*
Erwähnung. Seien nun einige Bemerkungen
nachgetragen. Zuerst: die Freunde, deren Be¬
mühungen diese Vereinigung der Schriften zu
danken ist, hätten den Druck selbst wohl auch
lässigen Fehlern entstellten Satz billig vermeiden
ollen. Sachlich ist die Sammlung durch sich selbst
gerechtfertigt, denn in diesen Dichtungen drückt
ich eine starke, wenn auch nicht allzu tiefe, eine
eigenartige, wenn auch nicht zarte Natur mit
Aufrichtigkeit aus.
Das Erinnerungsbild wirkt freilich dumpf
trüb, unfreundlich, wie eine gewisse Enge und
Kargheit eben das Schicksal dieses Dichters
war, der von Brotsorgen und Alltagsmisère
bedrückt, auch schaffend nicht zur goldenen
Fülle der Welt fand. Gleichwohl bleibt seine
eigentümliche Orosa ergreifend, in der ein kurz¬
sichtiges Auge die versagte Sehkraft durch einen
geistigen Scharfblick, ein taubes Ohr den verküm¬
merten Wohlklang durch ein vertieftes Sprach¬
gewissen wettmacht; die Gedichte vollends ent¬
halten einzelnes, das zu dauern verdient, weil
sich eine ehrliche, schwere Empfindung mit einem
der Größe nicht entbehrenden Gehorsam einer
strengen Notwendigkeit der Form, gleichsam den
edelsten Fesseln selbst willig fügt und so die Not
einer Seele in reinen Klang löst und verklärt.
Aus der unermeßlichen Fülle des Heutigen
pflegt diese Betrachtung sich schließlich zur
bleibenden Schönheit des Vergangenen zu flüchten
das durch die eigentümliche Verschwisterung der
Gefühlskräfte und der ordnenden Fähigkeiten des
Verstandes seinen dauernden Wert erhält. Auch
heute sei auf einige solcher Werke verwiesen, die
der Fleiß, die historische Laune von Herausgebern
und Verlegern und etwa auch die Spekulation
einer antiquarischen Tagesmode anbietet. Möchte
man auch kaum die absolute Bedeutung der einst
so berühmten Richardsonschen „Clarissa“““ für
München, Albert Langen.
** München, R. Diper & Co.
*** Berlin, Wiegandt & Grieber 1908.
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das heutige Empfinden gelten lassen, so nimmt
man sie als einen interessanten Beitrag zur Ge¬
chichte des Gefühlslebens und Geschmackes, als
eine repräsentative Schöpfung gern auf, ist sie
doch für die literarischen Instinkte des 18. Jahr¬
hunderts so bezeichnend, wie manche ähnliche
sentimentale Geschwätzigkeiten und verzierte
Brutalitäten von geringerer Beobachtungsgabe
für die Urteilskraft des heutigen.
Besonders der Inselverlag entwickelt in
einem historischen Zweige eine unermüdliche
Tätigkeit, er gibt vielseitige, wertvolle Hublika¬
tionen in bester Form heraus, er wird mannig¬
fachen Bedürfnissen gerecht: neben Nietzsches
Briefen und seinem barock=ungeheuerlichen Ecce
homo erscheinen allerhand einfache, wohl er¬
schwingliche, würdig ausgestattete Herlen der
Goethe=Literatur, die Briefe an Frau v. Stein
die der Frau Rat, die Sprüche in Dersen und
Prosa, Auszüge aus den Tagebüchern, ferner
Grimms „deutsche Sagen“, eine Auswahl aus
des „Knaben Wunderhorn“, neben Zeugnissen
der deutschen Romantik die wundervolle
Welt des arabischen Ostens, die Märchen
der 1001 Nächte, neben einer der schönen
Ausgrabungen Haul Ernsts, der Meinhardt¬
chen „Bernsteinhexe“ Walter Paters inter¬
essantestes „imaginäres Porträt“ des Epikurä¬
ers „Marius“ eine pspchologische Aufhellung des
Gefühls= und Intellekthintergrundes, aus welchem
aus dem leise absterbenden Hellenismus des
mediocren Rom die Instinkt= und Geisteseinfalt des
Christentums den ersten blühenden Zweig trieb,
endlich eine willkommene Neuausgabe von
Balzacs „menschlicher Komödie“.
War je der Vergleich eines Erzählers mit
Shakespeare zulässig und gerechtfertigt, so ist's
bei Balzac. Das einzige, was ihn von den
großen, eigentlichen Urepen trennt, ist bei der
ungeheuren Ausdehnung seiner Stoffe die minu¬
tiöse Einzeldurchbildung, doch hat er gleichwohl
das echte Rhapsodengefühl der innersten Einheit
ichkeit seines Sagens und bindet mit einer Gro߬
artigkeit und Weltkenntnis, die nur durch ihre
naive, geniale Selbstverständlichkeit überboten
wird, das Gegebene zu einer umfassenden Kom¬
position untrennbar zusammen. Seine Erfahrung,
an Tatsächlichkeit, Verstand, Intensität, an Un¬
zähligkeit der Beispiele, der Fakten über die in¬
dividuelle Möglichkeit schier hinausgreifend, ent¬
hält das Bewußtsein einer ganzen Rasse. Das
ist der Monumentalbau der „menschlichen Ko¬
mödie“, eine epische Zusammenfassung von er¬
zählenden Einzelgebilden, wie sie in der modernen
Welt noch nicht gewagt worden und wie sie nur
eben dem französischen Genie, dem natürlichen
Erben der politischen und sozialen Begabung
Roms, der Romanen, möglich war. Die eigent
liche Vereinsamung und Vertiefung des besonderen
Menschen ist das schöpferische Grundproblem des
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