23. Der Ne¬
ins Freie
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an en en enenen en unerenenserenenenene enen ene e
Neue Wiener Romane,
Von
Hr i
□ Willi Handl.
E7
II.*)
Mit Meistern des Romans ist das heutige Oesterreich ja ge¬
segnet. Sie sind aus der Unschuld des verliebten Anschauens und
der hingegebenen Schilderung längst heraus, streben in leichtem oder
in ernst bemühtem Anstieg der Bewältigung hochgipfeinder Probléme
zu. Daß diese immer noch, in der Anlage oder in den Versuchen der
Lösung, mit irgendeinem spezifisch österreichischen Element gemischt
sind, spricht nur für die tiefwurzelnde Echtheit und Bodenverwandtheit
dieser Dichter. Und von Wien kommen sie alle nicht los. So sehr
jeder von ihnen auch seinen Willen anstrengt, zu möglichst weit¬
ausgreifender Betrachtung menschlicher Schicksale, menschlicher Ge¬
schichte und Naturgeschichte vorzudringen; sein Sprungbrett bleibt doch
immer der vertraute Boden dieser Stadt. In Lurckhards „Die Insel
der Seligen***) wird das nicht nur an den Ideen, sondern auch in der
Formung offenbar — und leider mit der schreienden Deutlichkeit eines
technischen Mißstandes. Dort, wo das Epos hingleitet, so frisch, so
klug, so flott, wie nur irgendein geschriebenes oder getanes Werk von
Burckhard, da hat es auch seinen natürlichen Wiener Schaupiatz, der
nicht nur die Heimat seiner Menschen, sondernlauch die Heimat seiner
inneren Bewegung, seines Gedankentempos und seiner sprachlichen
Rhythmik ist. Sobald aber der Blick auf die Menschheit und ihre soziale
Natur eröffnet werden soll, springt die Erzählung mit einer Plötzlichkeit,
die nicht ganz angenehm überrascht, ins Wesenlose und allzu Will¬
*) Vergl. Heft 16.
Verlag S. Fischer, Berlin.
kürliche. Nicht nur das Milieu des Bodens die Insel der Seligen
ist namenlos und unvorstellbar, auch alles menschliche Geschehen
wird Theorie, Erläuterung, absichtlich prinzipielle Darstellung, verliert
an Bildkraft, an Plastik und damit an künstlerischem Wert. Nur ein
paar ernste, großblickende Gedanken bleiben noch und ein feines
Lächeln, das über die Gedanken wegführen kann, dorthin, wo der
Zweifel wieder beginnt, — aber ohne die Schmerzen seines Stachels.
Dieses Lächeln, das Verrat und Versöhnung in gleichem Maße in sich
hat, ist so nachdrücklich und so herzlich österreichisch, daß es immerhin
auch diesem zweiten Teile des Romans ein Stück der verlorenen
Echtheit wiederzugeben imstande ist. Mit dem Verlust des Kunstwerkes,
das sich mitten in der Entwicklung so plötzlich selbst zerstört, versöhnt
es doch, daß der Künstler, der es schuf, noch aus den ungeordneten
Stücken seiner Arbeit so hell und so lebendig zu erkennen ist.
Wie es denn überhaupt diesen Oesterreichern gemeinsam zu sein
scheint, daß sie, je reicher ihre Technik wird, nur um so mehr in
ihrer Kunst, ob sie es wollen oder nicht, von ihrer Person offenbaren
müssen. Niemals noch war Arthur Schnitzler den Problemen seines
eigenen Wesens so herzlich nahe, wie in seinem letzten Roman „Der
Weg ins Freie“.*) Was ihn und was an ihm beunruhigt hat, hier er¬
scheint es klar und deutlich aufgeschrieben: die Unsicherheit des Juden
in der modernen Kultur. Eine Handlung, so zart entwickelt und so
leicht hingeführt, wie nur seine Meisterschaft es vermag, umwickelt
sich auf das dichteste mit den trüb schattierten, unzerreißbar zähen
Fäden, die aus der europäischen Judenfrage gesponnen werden. Wie
diese Fäden alle Menschen untereinander verbinden und die Gedanken
einer ganzen Gesellschaft hin und herleiten, so schnüren sie auch den
freien Zug der Geschehnisse ein und pressen sich schwer um den eigent¬
lichen, den poetischen Körper dieses Kunstwerkes. Wer bedeutende
Gestaltung von Schicksalen erwartet, der wird enttäuscht. Nur
bedeutende Fragen nach einem Schicksal erfüllen dieses Werk der
inneren Schwere und der Bekenntnisse. Wienerisch ist die Farbe und
die sprachliche Art seiner Menschen, österreichisch der leichte Zug,
die gepflegte Noblesse seiner Führung. Aber das Gespinst seiner
Gedanken flicht sich um Probleme des Judentums, umklammert sie
mit jüdischem Eifer, durchhellt sie mit dem Lichte jüdischer Geistigkeit.
ins Freie
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an en en enenen en unerenenserenenenene enen ene e
Neue Wiener Romane,
Von
Hr i
□ Willi Handl.
E7
II.*)
Mit Meistern des Romans ist das heutige Oesterreich ja ge¬
segnet. Sie sind aus der Unschuld des verliebten Anschauens und
der hingegebenen Schilderung längst heraus, streben in leichtem oder
in ernst bemühtem Anstieg der Bewältigung hochgipfeinder Probléme
zu. Daß diese immer noch, in der Anlage oder in den Versuchen der
Lösung, mit irgendeinem spezifisch österreichischen Element gemischt
sind, spricht nur für die tiefwurzelnde Echtheit und Bodenverwandtheit
dieser Dichter. Und von Wien kommen sie alle nicht los. So sehr
jeder von ihnen auch seinen Willen anstrengt, zu möglichst weit¬
ausgreifender Betrachtung menschlicher Schicksale, menschlicher Ge¬
schichte und Naturgeschichte vorzudringen; sein Sprungbrett bleibt doch
immer der vertraute Boden dieser Stadt. In Lurckhards „Die Insel
der Seligen***) wird das nicht nur an den Ideen, sondern auch in der
Formung offenbar — und leider mit der schreienden Deutlichkeit eines
technischen Mißstandes. Dort, wo das Epos hingleitet, so frisch, so
klug, so flott, wie nur irgendein geschriebenes oder getanes Werk von
Burckhard, da hat es auch seinen natürlichen Wiener Schaupiatz, der
nicht nur die Heimat seiner Menschen, sondernlauch die Heimat seiner
inneren Bewegung, seines Gedankentempos und seiner sprachlichen
Rhythmik ist. Sobald aber der Blick auf die Menschheit und ihre soziale
Natur eröffnet werden soll, springt die Erzählung mit einer Plötzlichkeit,
die nicht ganz angenehm überrascht, ins Wesenlose und allzu Will¬
*) Vergl. Heft 16.
Verlag S. Fischer, Berlin.
kürliche. Nicht nur das Milieu des Bodens die Insel der Seligen
ist namenlos und unvorstellbar, auch alles menschliche Geschehen
wird Theorie, Erläuterung, absichtlich prinzipielle Darstellung, verliert
an Bildkraft, an Plastik und damit an künstlerischem Wert. Nur ein
paar ernste, großblickende Gedanken bleiben noch und ein feines
Lächeln, das über die Gedanken wegführen kann, dorthin, wo der
Zweifel wieder beginnt, — aber ohne die Schmerzen seines Stachels.
Dieses Lächeln, das Verrat und Versöhnung in gleichem Maße in sich
hat, ist so nachdrücklich und so herzlich österreichisch, daß es immerhin
auch diesem zweiten Teile des Romans ein Stück der verlorenen
Echtheit wiederzugeben imstande ist. Mit dem Verlust des Kunstwerkes,
das sich mitten in der Entwicklung so plötzlich selbst zerstört, versöhnt
es doch, daß der Künstler, der es schuf, noch aus den ungeordneten
Stücken seiner Arbeit so hell und so lebendig zu erkennen ist.
Wie es denn überhaupt diesen Oesterreichern gemeinsam zu sein
scheint, daß sie, je reicher ihre Technik wird, nur um so mehr in
ihrer Kunst, ob sie es wollen oder nicht, von ihrer Person offenbaren
müssen. Niemals noch war Arthur Schnitzler den Problemen seines
eigenen Wesens so herzlich nahe, wie in seinem letzten Roman „Der
Weg ins Freie“.*) Was ihn und was an ihm beunruhigt hat, hier er¬
scheint es klar und deutlich aufgeschrieben: die Unsicherheit des Juden
in der modernen Kultur. Eine Handlung, so zart entwickelt und so
leicht hingeführt, wie nur seine Meisterschaft es vermag, umwickelt
sich auf das dichteste mit den trüb schattierten, unzerreißbar zähen
Fäden, die aus der europäischen Judenfrage gesponnen werden. Wie
diese Fäden alle Menschen untereinander verbinden und die Gedanken
einer ganzen Gesellschaft hin und herleiten, so schnüren sie auch den
freien Zug der Geschehnisse ein und pressen sich schwer um den eigent¬
lichen, den poetischen Körper dieses Kunstwerkes. Wer bedeutende
Gestaltung von Schicksalen erwartet, der wird enttäuscht. Nur
bedeutende Fragen nach einem Schicksal erfüllen dieses Werk der
inneren Schwere und der Bekenntnisse. Wienerisch ist die Farbe und
die sprachliche Art seiner Menschen, österreichisch der leichte Zug,
die gepflegte Noblesse seiner Führung. Aber das Gespinst seiner
Gedanken flicht sich um Probleme des Judentums, umklammert sie
mit jüdischem Eifer, durchhellt sie mit dem Lichte jüdischer Geistigkeit.