I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 283

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Der Wec ins Freie
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Wilhelm von Polenz
Trübe, Lebensausschnitte aus dem Dasein armer Sachsengänger, das Schicksal
Verstoßner, wie es schon die ersten Novellen an andern Stoffen gegeben hatten.
Plastisch tritt aus dem Kreise der kleinern Schwestern die 1899 erschienene
Novelle „Wald“ hervor. Hier handelt es sich nicht um Standestypen, um große,
breite Lebensschilderung wie in den Romanen der Reife, sondern um zwei
Menschen, die in der Abgeschlossenheit eines riesigen Forstes mit Naturnot¬
wendigkeit über die Schranken einer liebeleeren Ehe hinweg durch ihr Blut
zueinander getrieben werden. Mit feiner Kunst spinnt Polenz seine Gestalten
und uns mit ihnen in das Schweigen und das lautlose Werden des Waldes
ein, der dieses Geschickes Werden und Fallen umgibt. Ganz unsensationell, ohne
die Zuspitzung seiner ersten Novelle verläuft der Konflikt bis zu einem Ende,
das unvermittelt erschiene, wenn es nicht wie aus dem Walde selbst heraus¬
geschritten käme; denn als Opfer des Waldes fällt der Held der Erzählung
von der Hand eines Wilddiebes, fällt, da er eben seine Pflicht erkannt hat und
ausgegangen ist, seine Schuld durch männlich offne Tat zu sühnen. „Wald“
ist eins der schönsten unter den Werken, die dieser Dichter uns hinterlassen
hat, zugleich das mit den stärksten lyrischen Reizen.
Wilhelm von Polenz war kein Poet wie etwa Detlev von Liliencron oder
Carl Spitteler, weder so groß noch so ganz absoluter Dichter. Mit Gotthelf
war er verwandt, aber doch nicht Volksschriftsteller wie dieser, sondern weit
mehr Kulturschriftsteller, weniger naiv, wie es der große Schweizer trotz seiner
umfassenden Bildung immer blieb, aber darin freilich ihm und Gustav Freytag
nahe, daß er die Wirkung auf sein Volk immer im Auge hatte. Er war in
jeder Zeile echt und wahr, unromantisch und schon darum nicht gut Zola an
die Seite zu stellen, mit dem ihn Bartels zusammenhält. Er sah ja das Leben,
soweit es sich ihm auftat, viel klarer und echter als der große Franzose. Und
ich empfinde nicht recht, warum Bartels diese Parallele überhaupt gebraucht.
Ich meine, es genügt zu sagen, daß Polenz ein großer Schriftsteller, ein be¬
deutender Lebensdarsteller, vor allem ein ganz natürlicher Schriftsteller war,
wenn auch selten ein naturalistischer, was nicht immer dasselbe ist. Er hat
von den Gesetzen der Flur gesagt: „Stille sein in Frömmigkeit lehren sie uns,
aber auch jenen unbezwinglichen Optimismus, der Glauben gibt, Glauben an
das Leben, den Mut, es auf uns zu nehmen, das Bewußtsein unsrer Kräfte
und den Willen, sie zur Entfaltung zu bringen.“ Ein echt deutsches Bekenntnis
im Sinne jenes tiefen Raabischen Wortes, das da beginnt: „Was wird, wird
still; eine Blume, die sich erschließt, macht keinen Lärm.“ Und so bedeutet denn
Wilhelm von Polenz gerade in Zeiten, da die Dichter dem politischen Leben,
den täglichen Nöten unsers Volks abgewandt dastehn, eine kaum zu überschätzende
Kraft. Er kann uns da selbstverständlich viel mehr sein als große Ausländer,
mögen sie ihn auch poetisch überragen. Und er hat durchaus das Zeug dazu,
mit seinen besten Werken, auch rein auf das Dichterische hin angesehn, noch
sehr lange zu leben. Auch sein „Büttnerbauer“ ist, wie Gotthelfs erstes Werk,