I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 284

Der Neg
ins Freie
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# A. n B — aap — A. 2 .
Apotheke „zum goldenen Hirschen“, Kohlmarkt II, in Wien.
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sie nirgend anderswo zu subtilerer, weltabgewandterer
schöner als von irgend einem früheren Uebersetzer wieder¬
Ver¬
Entwicklung gelangte, daß ihr Zweck wurde, sich aus sich
gegeben. Selbst Asklepiadeen, große wie kleine, gelingen
ben,
selbst zu steigern und zu verfeinern, den berauschenden
ihm gut. Die großen macht er durch Zerlegung in drei
icht¬
Duft der Künste in das Treibhaus des Aesthetentums
Zeilen dem Leser verständlich.
der
zu sperren, von außen, dort, wo das Volk in Mühe und
Es widerstrebt mirz hier einzelne Stellen aus
Sturm um seine Entsaltung kämpft, keinen Hauch ein¬
Straubs Buch herauszuklauben, wo die Uebersetzung,
ber¬
dringen zu lassen, sich zu verschließen vor allem, was
sei es dem Sinne nach, sei es sprachlich oder metrisch,
ürde
nicht die geheimen Abzeichen der Künstlerzunft verrät.
weniger gelungen ist. Es wäre mir ein leichtes, einige
Die blaue Blume der Moderne wurde nirgends
Spalten mit Beanstandungen zu süllen, aber ich würde
Un¬
inniger verehrt als in Oesterreich. Eine neue, farben¬
dadurch den Eindruck verdunkein, den ich vor auem durch
men
schillernde, von den Extrakten aller großen, vergangenen
diese Anzeige hervorrufen möchte, daß Straubs „Lieder¬
gen.
Menschheitskulturen genährte Romantik blühte bei uns
dichtung und Spruchweisheit der alten Hellenen“ im
illes
auf, die von unseren Nachbarn mit Staunen und leisem
ganzen genommen eine bewundernswerte, durch Wissen,
enn
Spott betrachtet wurde. In Frankreich, in Deutschland,
Kunst, Fleiß und dichterisches Talent hervorragende Arbeit
in den skandinavischen Ländern, in Rußland hat überall
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ist. Eine Sammlung, die so viele altgriechische Gedichte,
die moderne Kunst die innigste Berührung mit dem
und unter ihnen so viele in wahrhaft erfreulicher Form,
ücke,
Leben des Volkes gesucht und gesunden. Die großen
liche
verdeutscht unter einen Einbanddeckel bringt, haben wir
Modernen dieser Länder — ich nenne hier nur aufs
setzer
bisher nicht besessen. Das Buch wird eine reiche Quelle
Geratewohl Zola, Ibsen, Garborg, Kielland, Gogol,
ößte
des Genusses für den des Griechischen unkundigen Leser
Dostojewski, Gorti, Hauptmann — haben mit kühnem
sein, eine noch reichere für den des Griechischen kundigen.
Griff bisher von den Dichtern unerkanntes Leben an
rnde
Denn wer die Originale kennt, wird sich besonders
ihre Brust gezogen, an ihr Herz gedrückt. Durch ihre
freuen, sie in seiner Muitersprache abgespiegelt wieder zu
Adern pulste das brausende Leben der modernen Gesell¬
schen
erkennen. Je besser die Uebersetzung, desto größeres Ver¬
schaft, der großen sozialen und politischen Entwicklungen.
Ver¬
langen weckt sie nach dem Original.
Sie waren nicht nur Künstler, sie waren auch Menschen
schen
der Zeit und Kämpfer.
ge¬
Ein österreichischer Hochschulroman.
Was mußten wir hier in Oesterreich, in Wien er¬
kann
leben? Blasses, müdes Aestheteatum wand sich schwan¬
Von Max Messer.
Form
kend auf fremdem Stützholz. Bald war es das Griechen¬
(der
Die große Welle der modernen Kunstbewegung, die
tum, bald die Renaissance, bald jene lieben, großmütter¬
schen.
das europäische Geistesleben vor ungefähr drei Jahr¬
lich verzopften und bestaubten Zeiten, das krause Barock,
nicht
zehnten überflutete, die so viel Morsches niederriß und
das zierliche, lüsterne Rokoko, in die sich unsere am Leben
maße
tausend Keimen jugendlicher Freiheitssehnsucht Kraft und
kranken, jungen Dichter flüchteten. Das grobe Hemd der
prache
Saft zu ungehemmter Entwicklung schuf, ist, spät und ab¬
Prosa ward in den Winkel geworfen und die zarte, durch¬
geschwächt, auch zu uns nach Oesterreich gedrungen.
schimmernde, geschmeidige Seide des Verses glitt durch
im
Während sie draußen im Deutschen Reich den ganzen
die schmalen und blassen, wohlgepflegten Finger der
Boden mit Fruchtbarkeit übergossen hat und so eine
jungen Dichter. Das waren keine Fäuste, die das zauber¬
nicht
gleichmäßige Erhöhung des geistigen Lebens, der geistigen
volle Ungetüm Leben mit derbem Kraftgriff nieder¬
setzer
Energien bewirkte, hat sie in Oesterreich unter der Viel¬
zwingen konnten, das waren keine tollen Balzäc=Herzen,
den
fältigkeit der Nationen und Parteien, unter dem so
die jeden Tropfen des Lebens in sich einsaugen wollten,
wechselvollen kulturellen Klima des Landes nur an be¬
inals
um das ganze, große Leben in unerhörten Kunstwerken
erns¬
sonders günstigen, nahrungs= und entwicklungsdurstigen
aus sich wiederzugebären. Nein, das waren ephebenhafte
unter
Stellen Leben und Aufschwung, ja üppigere Blüten, be¬
Träumer, die sich in duftende Gespinste einhüllten, welt¬
ndlich
zaubernderes Leben als irgend anderswo gezeugt.
fremd, lebensfern, in schmerzlicher Vereinsamung schaffend.
Die große Welle der modernen Geistesbewegung hat
doch,
Kam in jenen Tagen, die noch nicht lange vorüber
in Wien und in einzelnen Provinzstädten Oesterreichs
auf
sind, ein Wiener Literat ins Ausland, etwa nach Berlin,
wundervolle Keime aufsprießen und sich entfalten lassen,
Er
und verschloß er sich dort nicht in einem Kreis von
aber sie hat den Gesamtorganismus dieses alten Reiches
Unter
Snobs — das l'art pour l'art der Wiener fand auf dem
noch nicht ganz verjüngen können, Dem neuen Blut der
3 be¬
gesünderen Boden Deutschlands nur snobistischen Nach¬
jugendlichen Ideen widersetzte sich der zähe Bau über¬
ischer
— so hörte er von allen Seiten Rufe
klang und Anhang
kommener Anschauungen länger als bei den westlichen
und
des Staunens, ja der Empörung. Habt ihr keine Augen
Nachbarn, die sie uns brachten. Stürmischen Zukunfts¬
für die Leiden, für die Kämpfe eures Volkes? Gäbe
experimenten widersetzte sich störrisch und mißtranisch die
Be¬
es in dieser Zeit keine Geschichte, sondern nur Literatur,
Tradition.
hische
so würde die Nachwelt nichts ahnen von dem Streit der
Und so ist es vielleicht erklärbar, daß die Literatur
zwei
Völker in Oesterreich, von der Bedrängnis der Deutschen,
in Oesterreich eine „Kunst für die Künstler“ wurde, daß
wohl
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