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ins Freie
Der We
23 nnenene e te eeee
2 2 AU6 1900
Datum:
Feuilleton.
Der Charakter des Menschen sitzt nicht im Ver¬
stande, sondern im Herzen.
Jacobi.
N
Bücher.
Von Herman Bang.
Herman Bang, der berühmte dänksche Ro¬
mancier, zeigt in seinem dem „Leipziger Tageblatt“ zur,
Verfügung gestellten Aufsatz „Bücher",
wie sich die
Literatur unserer Zeit und vor allem der Deutschen im
Urteil eines nichtdeutschen Dichters spiegeln kann. Man
wird ihm nicht überall beistimmen, aber seine Meinung
auch dort, wo Widerspruch rege wird, als die eines inter¬
essanten Betrachters hören wollen. Die Red.
Ein junger Däne sagte zu mir:
„Herr Bang, Sie müssen gleich Gustav Wieds „Die Väter essen
Trauben“ lesen. Es ist merkwürdig. Wieds übrige Bücher habe ich
gelesen und darüber gelacht. Und bei den „Vätern“ habe ich auch gleich¬
sam eine Art Andacht gefühlt . . . Dieses Buch ist ganz gewiß ein Werk.“
Wenn es sich um Bücher handelt, macht mir nichts so starken Ein¬
druck wie die einfachen Worte eines klugen Menschen außerhalb des
Fachs — Worte, die selbst, wenn sie tasten, einem unmittelbaren Gefühl
Ausdruck geben.
Und ich nahm also die „Trauben“ mit nach Posen und las sie dort
weit draußen in Ostpreußen auf dem Wege nach Königsberg, der, wie
die
Leute yier sagen, der Weg zum Ende der Zivilisation' ist.
Ach, es ist ja natürlich im allgemeinen mein großer Fehler, daß ich
allzu wenig dänische Bücher lese. Aber mein Verbrechen ist vielleicht
nicht unverzeihlich. Man leht in einem fremden Lande, und man muß
in seinen vier Wänden leben. Da sucht man wenigstens durch die
Bücher jenes fremde Land kennen zu lernen, in das einen eine freiwillige
und
ausschließlich selbst gewollte Landesflucht geführt hat. Man
kehrt
zu Goethe zuruck und zu Hermann Grimm lder ein freier Geist
war
und einer der lebendigsten Prosakünstler, die je gelebt haben),
ucht die Neuen auf.
man
Es gibt jetzt in der deutschen Literatur viel zu erfahren. Sie hat
keinen einzigen Großmeister. Aber sie ist mannigfaltig wie das Land
selbst für den, der es kennt, mannigfaltig ist. Es führt ein langer Weg
mit weiten Ausblicken und wechselnden Menschengesichtern am Weges¬
rand
von Keyserling bis zu Hermann Hesse. Aber diese zwei
äußersten Pole der modernen deutschen Romankunst sind alle beide wert,
gekannt zu werden.
Graf Keyserling ist seiner Kunstsorm nach wenig „deutsch“. Man
spürt Rußlands Grenze und Turgenjews Nähe in den Romanen dieses
ostpreußischen oder baltischen Edelmannes, die zu den wenigen echten
Spiegelungen des Lebens und Wesens des preußischen Hochadels ge¬
hören. Viele Nebenfiguren bringen lebendige Kunde von dieser be¬
onderen und sehr abgeschlossenen Welt. Keyserlings Hauptgestalten
sind sich etwas zu ähnlich. Müde Männer, deren Herzen noch be¬
gehren, während ihre vom Leben verwundeten Füße über die Bretter
straucheln, die ihr Grab notdürftig decken — das ist der Typus, zu dem
er immer wieder zurückkehrt. Aber eine einzige Stimmuna, ein ein¬
zelnes Bild vermag er mit einem Stilgefühl und einer Macht fest¬
zuhalten, die ihn unter die Bedeutendsten der Gegenwart stellen würde,
wenn nicht ein sonderbarer Hang zum Romanhaften ihn ins Melodrama
und die bengalische Beleuchtung hinaustriebe
... Aber alles in allem,
hat man „Dumala“ und „Beate und Mareille“ und „Schwüle Tage
gelesen, hat man jedenfalls mit einem Milien und einem Manne
bekanntschaft gemacht. Wer die Gefühlsweise und die Lebensformen der
obersten Zweitausend in Norddeutschland kennen lernen will, muß diese
Bücher lesen, in denen zuweilen eine kurze Szene ein helles Licht über
Mannigfaches wirft, das der Fremde sonst am schwersten versteht
„„
Weit, wie gesagt ist der Weg von Keyserling zu Hermann Hesse.
Wie man bei Kenserling Rußlands nahe Grenze vernimmt,
fühlt man
bei Hesse die nächste Nähe der Schweiz. In Hesses Büchern —
meinen
Lieblingsbüchern in der modernen deutschen Literatur — ist die Klat¬
heit und Stärke der Beraluft. Jede geschriebene Seite ist hier das Werk
und Bekenntnis eines Mannes. Um so schöner und fester wird bei
Hermann Hesse die Erzählung, je kürzer sie ist. Schon das Naturell des
Dichters schenkt hier jene Durchsichtigkeit und Knappheit, die das oberste
Gesetz der Novelle bleibt. ... Hermann Hesses Darstellung wirkt wie die
Frische eines Bades. Schlichte und starke Worte fügen sich zu starken
und schlichten Sätzen zusammen, in denen eine tiefe Innerlichkeit einfach
pricht. Und wie steht er der Natur nahe. Man erzählt, daß Hermann
Hesse zu Fuß sein ganzes Vaterland durchstreift habe. Ich glaube es
gern. Die Vertrautheit des Fußgängers mit der Erde spricht aus diesen
Seiten, wo die junge Freude in das lichte Laub der Baume und in den
hohen Himmel guckt. ...
Welch weite Strecke wieder zwischen einem Hesse und einem Arthur
Schnitzler oder einem Jakob Wassermann.
Urthur Schnitzler ist in Dänemark bekannt. Vielleicht hauptsächlich
Dem Namen nach dafür so berühmt, d
n nach.
em Na
aß
ins Freie
Der We
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2 2 AU6 1900
Datum:
Feuilleton.
Der Charakter des Menschen sitzt nicht im Ver¬
stande, sondern im Herzen.
Jacobi.
N
Bücher.
Von Herman Bang.
Herman Bang, der berühmte dänksche Ro¬
mancier, zeigt in seinem dem „Leipziger Tageblatt“ zur,
Verfügung gestellten Aufsatz „Bücher",
wie sich die
Literatur unserer Zeit und vor allem der Deutschen im
Urteil eines nichtdeutschen Dichters spiegeln kann. Man
wird ihm nicht überall beistimmen, aber seine Meinung
auch dort, wo Widerspruch rege wird, als die eines inter¬
essanten Betrachters hören wollen. Die Red.
Ein junger Däne sagte zu mir:
„Herr Bang, Sie müssen gleich Gustav Wieds „Die Väter essen
Trauben“ lesen. Es ist merkwürdig. Wieds übrige Bücher habe ich
gelesen und darüber gelacht. Und bei den „Vätern“ habe ich auch gleich¬
sam eine Art Andacht gefühlt . . . Dieses Buch ist ganz gewiß ein Werk.“
Wenn es sich um Bücher handelt, macht mir nichts so starken Ein¬
druck wie die einfachen Worte eines klugen Menschen außerhalb des
Fachs — Worte, die selbst, wenn sie tasten, einem unmittelbaren Gefühl
Ausdruck geben.
Und ich nahm also die „Trauben“ mit nach Posen und las sie dort
weit draußen in Ostpreußen auf dem Wege nach Königsberg, der, wie
die
Leute yier sagen, der Weg zum Ende der Zivilisation' ist.
Ach, es ist ja natürlich im allgemeinen mein großer Fehler, daß ich
allzu wenig dänische Bücher lese. Aber mein Verbrechen ist vielleicht
nicht unverzeihlich. Man leht in einem fremden Lande, und man muß
in seinen vier Wänden leben. Da sucht man wenigstens durch die
Bücher jenes fremde Land kennen zu lernen, in das einen eine freiwillige
und
ausschließlich selbst gewollte Landesflucht geführt hat. Man
kehrt
zu Goethe zuruck und zu Hermann Grimm lder ein freier Geist
war
und einer der lebendigsten Prosakünstler, die je gelebt haben),
ucht die Neuen auf.
man
Es gibt jetzt in der deutschen Literatur viel zu erfahren. Sie hat
keinen einzigen Großmeister. Aber sie ist mannigfaltig wie das Land
selbst für den, der es kennt, mannigfaltig ist. Es führt ein langer Weg
mit weiten Ausblicken und wechselnden Menschengesichtern am Weges¬
rand
von Keyserling bis zu Hermann Hesse. Aber diese zwei
äußersten Pole der modernen deutschen Romankunst sind alle beide wert,
gekannt zu werden.
Graf Keyserling ist seiner Kunstsorm nach wenig „deutsch“. Man
spürt Rußlands Grenze und Turgenjews Nähe in den Romanen dieses
ostpreußischen oder baltischen Edelmannes, die zu den wenigen echten
Spiegelungen des Lebens und Wesens des preußischen Hochadels ge¬
hören. Viele Nebenfiguren bringen lebendige Kunde von dieser be¬
onderen und sehr abgeschlossenen Welt. Keyserlings Hauptgestalten
sind sich etwas zu ähnlich. Müde Männer, deren Herzen noch be¬
gehren, während ihre vom Leben verwundeten Füße über die Bretter
straucheln, die ihr Grab notdürftig decken — das ist der Typus, zu dem
er immer wieder zurückkehrt. Aber eine einzige Stimmuna, ein ein¬
zelnes Bild vermag er mit einem Stilgefühl und einer Macht fest¬
zuhalten, die ihn unter die Bedeutendsten der Gegenwart stellen würde,
wenn nicht ein sonderbarer Hang zum Romanhaften ihn ins Melodrama
und die bengalische Beleuchtung hinaustriebe
... Aber alles in allem,
hat man „Dumala“ und „Beate und Mareille“ und „Schwüle Tage
gelesen, hat man jedenfalls mit einem Milien und einem Manne
bekanntschaft gemacht. Wer die Gefühlsweise und die Lebensformen der
obersten Zweitausend in Norddeutschland kennen lernen will, muß diese
Bücher lesen, in denen zuweilen eine kurze Szene ein helles Licht über
Mannigfaches wirft, das der Fremde sonst am schwersten versteht
„„
Weit, wie gesagt ist der Weg von Keyserling zu Hermann Hesse.
Wie man bei Kenserling Rußlands nahe Grenze vernimmt,
fühlt man
bei Hesse die nächste Nähe der Schweiz. In Hesses Büchern —
meinen
Lieblingsbüchern in der modernen deutschen Literatur — ist die Klat¬
heit und Stärke der Beraluft. Jede geschriebene Seite ist hier das Werk
und Bekenntnis eines Mannes. Um so schöner und fester wird bei
Hermann Hesse die Erzählung, je kürzer sie ist. Schon das Naturell des
Dichters schenkt hier jene Durchsichtigkeit und Knappheit, die das oberste
Gesetz der Novelle bleibt. ... Hermann Hesses Darstellung wirkt wie die
Frische eines Bades. Schlichte und starke Worte fügen sich zu starken
und schlichten Sätzen zusammen, in denen eine tiefe Innerlichkeit einfach
pricht. Und wie steht er der Natur nahe. Man erzählt, daß Hermann
Hesse zu Fuß sein ganzes Vaterland durchstreift habe. Ich glaube es
gern. Die Vertrautheit des Fußgängers mit der Erde spricht aus diesen
Seiten, wo die junge Freude in das lichte Laub der Baume und in den
hohen Himmel guckt. ...
Welch weite Strecke wieder zwischen einem Hesse und einem Arthur
Schnitzler oder einem Jakob Wassermann.
Urthur Schnitzler ist in Dänemark bekannt. Vielleicht hauptsächlich
Dem Namen nach dafür so berühmt, d
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